Zum Jahresauftakt

Einmal Zukunft und zurück


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wo beginnen wir die heutige Reise? Ganz nah, auf dem heimischen Gabentisch! Niemand will der kreative Schenker gewesen sein – von diesem kuriosen Päckchen mit einem noch exotischeren Inhalt namens Zeitmaschine.

Was für ein Quatsch, ab in den Müll damit! Wer will uns hier veralbern? Oder steckt doch ein genialer Querkopf aus US-Hightech-Schmieden dahinter? Verlockend-geheimnisvoll sieht sie ja schon aus: der simple, schillernde Startknopf, Highlight ist ein Rädchen, mit dem man eine Jahreszahl in der Zukunft einstellen kann.

Wollen wir das riskieren, den Sprung in die Zukunft? Eine Verlockung in diesen Zeiten! Die Neugier überwiegt. Welche Jahreszahl stellen wir ein? Risikoarm das nächste oder übernächste Jahr? Dann haben sich mit einiger Wahrscheinlichkeit manch weltpolitische Verwerfungen gelegt. Eine Lauterbachsche Gesundheitsreform hat wohl ebenfalls Form angenommen. Wie (schlecht) werden wir dabei wegkommen?

Drehen wir das Rädchen lieber weiter. Wie wäre es mit 2030? Sieben Jahre, da kann viel passieren, doch allzu Umwerfendes wohl noch nicht. Zumindest nicht in technisch-wissenschaftlicher Hinsicht. Die Auswirkungen menschlicher Dummheit und Unbeherrschtheit sind freilich grenzenlos. Der "schwarze Schwan" wird uns stets begleiten, Zeitmaschine hin oder her. Apotheken und Arztpraxen gibt es weiterhin. Das typische Apothekensortiment sieht immer noch fast gleich aus. Doch sind wir dann bereits bei 14.000 oder gar 12.000 Apotheken angekommen? Führt das wirklich zu Versorgungslücken, oder funktioniert alles geräuschlos weiter? Sind wir nach dieser Konsolidierung wirtschaftlich wieder auf dem aufsteigenden Ast, oder befinden wir uns auf einer konstant abschüssigen Bahn?

Da springen wir doch gleich ins Jahr 2050. Unser heutiges Geschäftsmodell beginnt zu verschwimmen. Wie viele "Schächtelchen" wandern noch über den Tisch? Was leisten die inzwischen viel billigeren High-Tech- und Gentherapien abseits der Apotheke? Was fängt eine breit etablierte Frühdiagnostik ab? Hat sich die Apotheke zu einem "Life-Science-Center" gewandelt, mit "Life Data Managern" und Gesundheitscoachs, weitgehend unabhängig vom klassischen Produktverkauf, der nun über ausgelagerte Logistiksysteme abgewickelt wird? Es spricht einiges dafür.

Drehen wir das Rad auf 2100? Ist Bremen da bereits das neue Venedig des Nordens mit malerischen, bootsbefahrenen Grachten? Ist der demografische Niedergang das neue Menschheitsproblem? Haben harte Auseinandersetzungen um die Ressourcen der Erde tiefe Spuren hinterlassen, nebst erschreckend wahrscheinlichen Pandemien, gegen die Corona ein milder Abklatsch war? Oder sind vielmehr weite Teile der Welt eine Art friedliches Altenheim geworden, in welchem dank der Fortschritte der Medizin hundert Lenze die heutigen siebzig sind? Ein Apotheken-Paradies, auch wenn diese, wie schon 2050, nicht mehr so heißen und ganz andere, aber hochrentable Dinge tun?

Drehen wir das Zeitrad nun noch weiter? Die Qual der Wahl! Der Kopf raucht ...

Ach ja: Duftete die Zeitmaschine nicht so eigentümlich-exotisch, als man am Zeitrad drehte? Nun, hier kommt die Auflösung. Nichts mit futuristischer Zeitmaschine! Ein kleiner Verdampfer sorgt im Innern für ein bunt-raffiniertes Gemisch mikrodosierter, verdampfbarer LSD-, Opioid- und Psilocybin-Derivate, je nachdem, wie weit man am Rädchen dreht. Die Zeitreise als Psychedelika-induzierter Traum mit biografischen Kristallisationskeimen in der eigenen Realität. Ein Spiegel des Ich und der eigenen Erwartungen! Zumindest für einige Stunden.

Doch dann heißt es wieder glasklar: Willkommen zurück in der Gegenwart …

Ja, viele wünschten sich in diesen Zeiten eine echte Zeitmaschine, aber hoffentlich nicht die blanke Flucht in (Drogen-)Illusionen. Doch selbst, wenn es die Zeitreise ohne Wiederkehr gäbe – würden Sie sie wirklich antreten wollen? Sie müssten mit dem vorlieb nehmen, was andere bis dahin ge- oder verunstaltet haben. Warum sollten Sie Ihre Gestaltungsmacht im Hier und Jetzt dergestalt aus der Hand geben? Da behalten wir doch lieber das Steuer heute fest in der Hand. Dafür wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute, Kraft, Kreativität und eben den Mut zur Gestaltung – für das kommende neue Jahr, und zwar ganz konkret, und nicht geträumt!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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