Ökonomie im Gesundheitswesen

Erst die Heilslehre, dann des Teufels?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es ist bemerkenswert, wenn ein Gesundheitsminister sagt, „man habe die Ökonomisierung zu weit getrieben“ und nun „weniger Ökonomie, mehr Medizin“ einfordert. Dazu brauche es nicht weniger als eine „Revolution“. Ein Schwerpunkt: Der Klinikbereich, der mit fast einem Drittel der Leistungsausgaben mit Abstand größter Posten ist. Kritikpunkt ist das Fallpauschalen-System mit seinen Fehlanreizen. Nur war das frühere Prinzip der Pflegetage auch nicht der Weisheit letzter Schluss; es setzte ebenfalls teure Fehlanreize, nämlich Patienten so lange dazubehalten, wie Betten frei waren.

Angesichts dieses vermeintlichen Paradigmenwechsels reibt man sich erst einmal die Augen, denn seit Jahrzehnten bestimmt ein enges Korsett an Regeln das Tagesgeschäft. Allesamt haben sie das Ziel, Kosten zu dämpfen, nicht über gewisse „Deckel“ hinauswachsen zu lassen oder Leistungen gar nicht mehr zu erstatten – in allen Segmenten des Gesundheitswesens. Allein im Arzneimittelbereich greifen Dutzende Regulierungen. Doch selbst das engste Korsett lässt sich in einem solch komplexen System nicht so umfassend schnüren, dass es nicht Schlupflöcher gäbe. Und so steht von Zeit zu Zeit eine Gesundheitsreform an, nicht zuletzt, um den medizinischen Fortschritt kostenmäßig einzufangen. Um nicht vollends in das Phlegma eines Beamtensystems abzugleiten, setzt man Gewinnanreize für alle Beteiligten, wenngleich vielfach eingebremst.

Sind nun Ökonomie und Gesundheit unvereinbare Gegensätze? Das Teufelszeug schlechthin unter ethischen Aspekten? Oder gehören Versorgungsqualität, Ethik und Ökonomie nicht sogar untrennbar zusammen?

Ökonomie bedeutet im Idealfall optimaler Ressourceneinsatz unter den Randbedingungen einer „Güterknappheit“. Mag alles im Überfluss vorhanden sein, erscheint Ökonomie entbehrlich. Nur ist dieser scheinbar paradiesische Zustand des Dauer-Überflusses nirgends Realität, nicht mal in der üppigsten Natur. Alles ist limitiert, am Ende schlicht die Lebens- und Arbeitszeit. Wir müssen also mit knappen Ressourcen haushalten – die klassische Aufgabe der Ökonomie. Nebenbei: Unnütz an einer Stelle wie dem Gesundheitswesen ausgegebenes Geld fehlt woanders, z. B. für Zukunftsaufgaben bei Bildung, Forschung oder Infrastruktur. Das kann ebenfalls ernste Folgen für die Gesellschaft haben, vor allem langfristig.

So sind es Verteilungsfragen: Für was geben wir wie viel unserer Verteilungsmasse aus? Und wie setzen wir diese Masse unterhalb der limitierenden Obergrenzen Wirtschaftsleistung und Volksvermögen an? Da ist es bequem, „mehr Geld ins System“ einzufordern und Qualität, bessere Arbeitsbedingungen und vieles mehr auf den langen Wunschzettel von rund 6 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu setzen. Doch überwinden wir damit die Erfordernisse ökonomischer Vernunft, oder schieben wir sie nur auf? Werden die Behandlungen wirklich besser? Haben die Patienten tatsächlich viel davon, wenn niedergelassene Ärzte eine Vier-Tage-Woche schieben wollen, Fiebersäfte reguliert mehr kosten dürfen und wir für Wohlfühl-Atmosphäre auf der Anbieterseite sorgen, während die „Kunden“ dafür zahlen müssen, ohne in einem System der Zwangsbeiträge ausweichen zu können?

An dieser Stelle kommen wir zu der schon oft thematisierten Schwachstelle unseres Gesundheitssystems: Der „Kunde“ ist nicht der direkte Zahler, sondern seine Leistungen werden aus einem großen Topf erstattet, der in der Hand von Politik und Lobbygruppen ist. Im Grunde sind die Patienten entmündigt, aber auch weitgehend aus der finanziellen Verantwortung genommen; da begegnet sie uns wieder, die doch nicht so unnütze Ökonomie.

So stehen wir vor dem alten Konflikt: Wie viel Planwirtschaft ist nötig, wie viel Markt sowie Eigenverantwortung und Wahlfreiheit der Patienten ist möglich, nicht zuletzt, um Luft zum marktwirtschaftlichen Atmen der Anbieter zu lassen? Dies bei Erhalt einer guten Grundversorgung, über deren Umfang viel eher zu diskutieren wäre, insbesondere im Hinblick auf die ausufernde Hochkostenmedizin oder die Frage nach den teuersten letzten Lebensjahren. Doch trösten wir uns: Den Stein der Weisen zwischen Markt und Staatsinterventionismus im Gesundheitswesen hat bislang kein Land auf der Welt gefunden!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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