Heimversorgung

Wann lohnt sich das?


Prof. Dr. Reinhard Herzog 

Die Arzneimittelversorgung von Pflegeheimen ist in dichter besiedelten Regionen nach wie vor umkämpft. Teils haben wenige Top-Player Tausende an Heimbetten unter Vertrag. Und was ist mit dem ganzen Rest an Apotheken? Lohnt sich ein Engagement in diesem Segment?

Ob sich die Heimversorgung für eine Apotheke wirtschaftlich rechnet, hängt von vielen Faktoren ab: Hier lohnt es sich, mit spitzem Bleistift nachzurechnen. (© AdobeStock/Karin & Uwe Annas)

Stehen den Apotheken goldene demografische Zeiten bevor? Im Vergleich zum jungen Erwachsenenalter nimmt der Umsatz mit dem Alter in der Spitze um Faktor sechs (Frauen) bis neun (Männer) zu. Mit der steigenden Anzahl an Älteren sollte das zu einem großen Schub führen. Die Realität sieht etwas anders aus. Rein demografisch bedingt werden die Apothekenumsätze bis zur Spitze in etwa 25 bis 30 Jahren nur um rund 10 % nach Umsatz (in heutigen Preisen!) und um 15 % nach Verbrauchseinheiten zunehmen, obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen wohl mit knapp 1,5 % jährlich wachsen wird. Gleichzeitig nimmt aber die Arbeitsbevölkerung (das „Mittelalter“), ja ebenfalls Apothekenkunden, erheblich ab.

Tatsächlich werden die Umsätze weit stärker wachsen, wobei das eben nicht nur dem demografischen Wandel und der Inflation zuzuschreiben ist, sondern namhaft dem medizinischen Fortschritt. Dieser schlägt in jüngeren Jahren bis hin zum „Mai des Seniorenalters“ noch stärker durch, während Höchstbetagten nicht mehr alle Segnungen der Maximalmedizin zuteilwerden. Eine wichtige Ursache: Die geburtenstarken Jahrgänge mit teils 1,3 Millionen Jahrgangsstärke bilden in den nächsten Jahrzehnten eine demografische Welle; danach kommen ein Drittel, teils gar 50 % schwächere Jahrgänge. Der „Altenberg“ flaut ab.

Gern überschätzt wird da die Marktbedeutung der Heimversorgung. Rund 800.000 Menschen leben in Pflegeheimen. Pro Kopf kann eine Untergrenze des Apotheken-Nettoumsatzes (nach Abzug von Mehrwertsteuer und Kassenabschlägen) von gut 1.000 € angesetzt werden, meist werden aber 1.200 € bis 1.500 € erreicht. Damit stehen die Heime für rund 1 Mrd. €, von voraussichtlich etwa 65 Mrd. € Gesamt-Apothekenumsatz in 2023.

Wichtiger ist der Rohertrag: 25 bis 30 Rx-Packungen jährlich können im Schnitt zurückhaltend veranschlagt werden (plus ein wenig Non-Rx-„Beikost“), mit einem Rx-Stückertrag von 8,00 € bis 9,50 €; das Meiste sind ja eher günstige Generika. Das bedeutet durchschnittliche Jahres-Roherträge pro Kopf um 200 € in schlechten Fallkonstellationen bis hin zu gut 300 €. Privatpatienten schneiden gern bis zu 50 % höher ab (weil u. a. mehr Non-Rx-Präparate obenauf verordnet werden und der Kassenabschlag entfällt).

Über 4,2 Millionen Menschen befinden sich in einer häuslichen Pflegesituation, meist von Angehörigen erbracht, in 1,1 Millionen Fällen (auch) durch ambulante Pflegedienste. Dieser Markt zu Hause Versorgter ist weit größer als der Heimmarkt und insoweit immer mitzudenken.

Versorgungsniveau wichtig

Die Rentabilität einer Heim- oder ambulanten Versorgung Pflegebedürftiger entscheidet sich maßgeblich am Versorgungsniveau. Die Messlatte ist der durchschnittliche Offizinkunde. Apotheken erwirtschaften an dieser Stelle etwa 20 % bis bestenfalls an die 35 % des Rohertrages als Gewinn.

Wir teilen die Kosten an dieser Stelle vereinfacht in allgemeine Betriebskosten und speziell die Kosten am Verkaufstisch (HV-Kosten einschließlich Zugaben) auf. Bei einer Heimbelieferung entfallen diese HV-Kosten, die etwa 2,50 € bis an die 5,00 € pro Kunde ausmachen können, auch je nach Zugaben, Rabatttalern etc. Dafür kommen neue Kosten bei Heimkunden je nach Versorgungslevel hinzu (Abbildung 1). Neben anderen Prozessabläufen – so müssen bei der Schlauchverblisterung die entsprechenden Aufträge erstellt werden, und zudem der Wochentakt beachtet werden – stechen folgende Kosten hervor:

Abb. 1: Prozesskosten und Gewinne je nach Versorgungsniveau, Versorgungslevel ansteigend von links nach rechts

Quelle: eigene Darstellung

  • Dienstleister-Fremdkosten für eine Auftragsverblisterung (gern 3,00 € bis 3,50 € je Wochenblister und Kopf),
  • bei eigener maschineller Verblisterung in der Apotheke die Investitions-, Raum- und Prozesskosten (basierend auf mehr oder weniger hoch sechsstelligen oder gar siebenstelligen Ausgangsinvestments) – es zählt der effektive Selbstkostenpreis,
  • bei Kartenverblisterung die sehr hohen Personalkosten (oft um 5 € pro Stück) und die Kosten für die Wochenkarten,
  • vergleichbar hohe Personalkosten beim Stellen in wiederverwendbaren Boxen und deren Reinigung.

In der Praxis haben wir Mischmodelle: Wer verblistert oder manuell Arzneimittel stellt, hat dennoch einen beträchtlichen Anteil – oft 25 % bis 40 % – an klassisch zu liefernden Packungen mit nicht auseinzelbaren Arzneiformen. Insoweit wird immer eine Doppelstruktur unterhalten, was gern übersehen wird.

Am Ende bedeutet die patientenindividuelle Auseinzelung höheren Aufwand, der vorderhand aus dem gesetzlichen Packungsertrag bestritten werden muss und regelhaft nur zum Teil durch Zahlungen der Heimträger (gern 1,00 € bis 2,00 € je Wochenration) „bezuschusst“ wird. Die Konsequenzen zeigt beispielhaft Tabelle 1.

Tab. 1: Beispielszenarien Senioren-/Heimversorgung (vereinfacht, je Jahr)

Offizin

Heimversorgung – Versorgungslevel

7.000 Kd.*

nur liefern

stellen

verblistern*

zu versorgen sind ...

500 Senioren

500 Bewohner, 6 bis 7 Heime

Rx-Packungen, > 90 % v. Umsatz

14.000 Pckg., 70 % verblisterbar, SE 9,00 €, ∑ RE = 126.000

HV-Kosten (5 min./Kunde), Zugaben

24.000 €

entfällt

Boten-, Auslieferkosten

4.000 €

8.000 €

8.000 €

8.000 €

Zusatzkosten Heime ggü. Offizin:

je Woche + Kopf: Stellen 5,00 €,
Blisterhonorar 3,00 €

(---)

(---)

130.000 €

78.000 €

zusätzliche Prozesszeit**

(---)

6.000 €

40.000 €

50.000 €

IT, Technik, Räume

(---)

2.000 €

10.000 €

4.000 €

Honorar Heim (1,50 / Wo. + Kopf)

(---)

(---)

39.000

39.000

Deckungsbeitrag vor Allgemeinkosten

+ 98.000

+ 110.000 €

23.000

+ 25.000

Klar am besten schneidet das reine Liefergeschäft ab, noch besser als Offizinkunden (da der HV-Aufwand ja entfällt und die Lieferkosten nicht so hoch sind). Am problematischsten sind personalintensive händische Dienstleistungen wie das Stellen, es drohen sogar deutliche Verluste.

Auch die Auftragsverblisterung hat ihren Preis; zahlt z. B. das Heim nur 1,50 € statt 3,00 € Selbstkosten, bleibt eine dicke, renditeschmälernde Differenz, welche umso stärker schmerzt, je weniger Präparate (und damit Packungshonorar) in den Beuteln landen. Rein wirtschaftlich betrachtet – pharmazeutisches Gewissen einmal außen vor – heißt das Geschäftsmodell „Pack (möglichst viel) in den Sack“ …

Fazit

Es ist keine neue Erkenntnis, dass mit steigendem Aufwand und höherem Leistungslevel bei gegebenen Einnahmen die Rendite leidet. Sonderleistungen wie die Auseinzelung in der Heimversorgung fallen darunter. Dem Offizin- oder Liefergeschäft entsprechende Renditen sind dann erzielbar, wenn Heimträger (irgendwann Krankenkassen?) die Sonderleistungen kostendeckend honorieren – bislang ohne klare gesetzliche Verpflichtung (s. Hinweis).

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Hinweis

Der Artikel basiert auf dem Interpharm-Vortrag vom 31.03.2023: „Heimversorgung: (Wann) lohnt sich das?“ Das Video ist (kostenpflichtig) zugänglich im Internet unter

www.interpharm.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(08):4-4