Apothekenproteste

Die Kunst und Logik der (De-)Eskalation


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Erleben wir gerade zumindest den Hauch eines revolutionären Momentums in der ansonsten bekanntermaßen hochgradig angepassten, „zahmen“ Apothekerschaft? Tatsächlich scheint sich eine gewisse Protestkultur zu formieren, andere Branchen machen es vor. Oder ist es eher ein Zwergenaufstand und Sturm im Wasserglas? Immerhin: Die „Eskalations-Agenda“ der ABDA sieht jetzt sogar einen Schließungstag vor (am 14. Juni).

Das Stichwort ist gefallen: Eskalation. Wann macht es Sinn, den Bogen zu spannen, aber nicht zu überspannen, bis er krachend vor aller Augen bricht? Eine erfolgreiche Story beginnt früher – bei der Formulierung realistischer Ziele, die man auf die harte Tour durchdrücken kann, weil die Gegenseite die Angemessenheit erkennt, ihrerseits an die berühmte „Schmerzgrenze“ geht und so eine Einigung in gegenseitiger Achtung zustande kommen kann. Da bestehen beim aktuellen Forderungskatalog der ABDA, zumindest in dieser Diktion, Zweifel, und dies ist ja bereits aufseiten der Politik zum Ausdruck gebracht worden, gipfelnd in: „Eine Wunschliste an den Weihnachtsmann“. Und ob ein angeschlagener Wirtschaftsminister eine Schlagzeile wie „Clan-Robert beglückt Apotheker!“ riskiert? Unsere Voraussetzungen könnten also besser sein.

Doch was bedeutet Eskalation? Letztlich ist sie durch die eigene Kampfes- und Satisfaktionsfähigkeit limitiert, oder schlicht: Wer die Backen aufbläst, muss pfeifen können, und nicht nur das: Was kann man in die Waagschale werfen? Sind die Apotheken wirklich so unersetzbar, dass sie glaubhaft die Muskeln spielen lassen können?

Ärzte und Pflegekräfte sind das bislang, auch Lokführer und Piloten (autonomes Fahren/Fliegen dauert eben noch) oder Service- und Produktionspersonal an neuralgischen Stellen. Apotheken könnten die Arzneimittelversorgung lahmlegen. Doch was dann? Würden die Verantwortlichen ehrfürchtig einknicken? Schön wär‘s ja. Oder würde man sich bereits existierender Technik („Automaten-/Video-Apotheke“) erinnern? Amazon und Konsorten stehen zudem als greifbare Optionen drohend im Raum, falls wir zu „aufmüpfig“ und unzuverlässig werden sollten – schlicht eine Frage des politischen Willens. Und die zwei Worte „Rx-Preisbindung“ und „Fremdbesitzverbot“ sind immer noch ein wirksamer Showstopper mit nuklearer Wucht, dem man programmatisch und strategisch nach wie vor wenig entgegenzusetzen hat.

Bleiben die Kunden als Faustpfand oder potente Unterstützer – eine Gratwanderung, wenn man sie zu sehr bei den Auseinandersetzungen leiden lässt. Und sind die Kunden überhaupt mehrheitlich, nicht nur die ältere Dauerkundschaft, an unserem Wohlergehen interessiert? Die zahlreichen Äußerungen in einschlägigen Publikumsforen bei Apothekenthemen sprechen eine klare – nicht allzu apothekenaffine – Sprache. Das Mitleid hält sich in Grenzen. Dabei wäre der Schulterschluss mit den Patienten (= Wählern!) essenziell.

Kurzum: Das Eskalationspotenzial der Apotheken ist begrenzt, weil sie in einer harten „offenen Feldschlacht“ wenig hinzuzusetzen hätten. Sie wären schnell zu kontern. Damit setzt ein „Streik“ – juristisch als Demonstration zu klassifizieren – eine herbe Duftmarke, aber einen wirklichen „Arbeitskampf“ halten wir nicht durch. Allein schon eine Gegendrohung, z. B. die Rezeptabrechnungen zurückzuhalten, wäre der Gamestopper.

Statt Brechstange sind somit Nadelstiche und durchaus teuflisch-kluge Raffinesse gefragt. Nadelstiche kann man an vielen Stellen setzen, sicher auch in Form des einen oder anderen Protesttages. Gewichtige Post an Politiker gehört eher nicht dazu. Doch warum nicht gezielt und rechtlich sauber Sand in das Verwaltungs- und Bürokratie-Getriebe streuen? Verträge aushebeln, gar aufkündigen? Hier sind Top-Juristen, IT- und Vertragsexperten gefragt, wie man das überkomplexe Regeldickicht gleichsam wie im Judo als Hebel für sich nutzen kann.

Zudem gilt es, die anderen Beteiligten im Gesundheitswesen, gerade die Ärzte, als strategische Partner mit ins Boot zu holen – ein Boot, welches von Politik und Kostenträgern gesteuert wird. Jene haben leichtes Spiel, wenn sie die Berufsgruppen gegeneinander aufbringen können. Da muss man mal über eigene Schatten springen, neue und ungewohnte Allianzen bilden, und dann auch den anderen Erfolge ohne Konkurrenzdenken gönnen.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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