GKV-Apothekenmarkt 2022

Facettenreich – und nicht alle gewinnen gleich


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Werfen wir nach der Diskussion der allgemeinen Branchendaten im Gefolge der Frühjahrs-Wirtschaftstage der ABDA einen vertieften Blick auf den Markt der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) – jene sind schließlich ja die größten „Kunden“ der Apotheken.

Deutliche Zuwächse nach Wert, mäßige nach Stückzahl: Der GKV-Apothekenmarkt hat sich 2022 wieder an die Entwicklung vor Corona angenähert. (© AdobeStock/Alexander Raths)

2022 dominieren auf den ersten Blick die Pluszeichen. Datenquelle ist der GAmSi-Bundesbericht sowie die Regionalauswertungen (siehe auch www.gkv-gamsi.de), basierend auf 72,8 Mio. Versicherten, davon 17,5 Mio. Rentner. Die Auswertungen der ambulanten Verordnungen verstehen sich vor allen Abschlägen und Rabatten, ohne Impfstoffe, inklusive 384 Mio. € für Arznei- und Verbandmittel aus dem Versand:

  • Gesamt-Bruttoumsatz 54.095 Mio. € (+ 3,7 %), je Versicherten 743,28 € (+ 3,8%),
  • Rezepte: 451,5 Mio. (+ 2,5 %) mit 675,8 Mio. (+ 2,3 %) Verordnungsblattzeilen,
  • Verordnungen (= Packungen): 749,9 Mio. (+ 1,9 %), je Versicherten 10,30 (+ 2,0 %).

 

Reduziert man die Betrachtung auf die Fertigarzneimittel (welche für die Apotheken ja wirtschaftlich am wichtigsten sind), sehen die Werte so aus:

  • Gesamt-Bruttoumsatz (vor Abschlägen und Rabatten, mit Versand): 45.253 Mio. € (+ 3,6 %), je Versicherten 621,78 € (+ 3,7 %),
  • Verordnungsblattzeilen: 626,6 Mio. (+ 2,8 %),
  • Verordnungen (= Packungen): 653,9 Mio. (+ 3,0 %), je Versicherten 8,98 (+ 3,0 %),
  • … davon Rx-Fertigarzneimittel: 602,2 Mio. (+ 2,2 %), je Versicherten 8,27 (+ 2,3 %),
  • Definierte Tagesdosen DDD: 43.112 Mio. (+ 1,1 %), je Versicherten 592,4 (+ 1,1 %).

 

2022 liegen die Fertigarzneimittelpackungen jedoch immer noch um 4,3 Mio. Stück (Rx: 2,0 Mio.) unter dem Vor-Corona-Niveau von 2019, während der Wert um gut 5,1 Mrd. € brutto zugenommen hat.

Als generikafähig werden 44,8 % nach Wert (und 89,2 % nach Tagesdosen bei einem durchschnittlichen Wert je DDD von 0,53 €) eingestuft. Diejenigen 10,8 % nach Menge, welche als nicht-generikafähig gelten, schlagen mit 5,34 € je DDD – dem Zehnfachen! – zu Buche. Praktisch ausgeschöpft wird der generikafähige Markt nach DDD zu gut 92 % (nach Wert aber nur zu 72 %). Wo Generika verordnet werden können, werden sie das ganz überwiegend auch.

Am teuersten schneidet das ehemals „exotische“ Segment der „Orphan Drugs“ gegen seltene Erkrankungen ab - mit Kosten je Tagesdosis von stolzen 298 €.

Saisonal brachte 2022 der November das Meiste in die Kasse, mit 4.884 Mio. € Bruttoumsatz. Am zweitstärksten war der März mit 4.667 Mio. €. Am schwächsten lag der Februar (3.989 Mio. €). Das statistische Monatsmittel beträgt 4.508 Mio. €.

Umsatzaufteilung

Wie teilen sich die Umsätze des GKV-Verordnungsmarktes konkret auf? Abbildung 1 gibt Aufschluss. Über 16 % des GKV-Umsatzes entfallen nicht auf Fertigarzneimittel, sondern auf Rezepturen (hier dominieren nach Wert die Parenteralia, mehrheitlich Zytostatika), weiterhin Verbandstoffe sowie Hilfsmittel bzw. Diagnostika.

Abb. 1: GKV-Apothekenumsätze 2022

 

40,6 % des Umsatzes werden übrigens von Hausärzten bzw. hausärztlichen Internisten getätigt, knapp 60 % somit von den anderen Fachärzten. Vor fünf Jahren machte der hausärztliche Bereich noch 44,9 % aus, wir sehen eine Umsatzverschiebung in den Fach-/Spezialarztbereich. Nach Tagesdosen hat sich der Hausarztbereich jedoch mit seinen hohen 79 % stabil gehalten.

Welches sind die bedeutsamsten Indikationsgruppen im apothekenbedeutsamen Fertigarzneimittelmarkt? Hier die Top-Gruppen (brutto ohne Rabatte bzw. Abschläge):

  1. Immunsuppressiva: 6.948 Mio. €, Preis je DDD 33,94 €
  2. Antidiabetika: 3.529 Mio. €, je DDD 1,41 €
  3. Antineoplastische Mittel: 3.237 Mio. €, je DDD 97,98 €
  4. Gerinnungshemmende Mittel: 3.061 Mio. €, je DDD 1,69 €

Mit beträchtlichem Abstand folgen Therapeutika bei obstruktiven Atemwegserkrankungen und Analgetika.

Die umsatzbedeutsamsten Wirkstoffe im Fertigarzneimittelmarkt sind Apixaban (Eliquis®, 1.161 Mio. €), Adalimumab (Humira® und Biogenerika, 851 Mio. €) sowie Rivaroxaban (Xarelto®, 836 Mio. €). Nach Menge dominiert Ramipril mit 4.396 Mio. DDD zu einem lächerlichen Tagespreis von 7 Cent.

Beim Blick auf die Versicherten ist die teuerste Gruppe pro Kopf diejenige im Alter von 85 bis unter 90 mit 1.798 €. Am günstigsten sind Kinder unter 15 mit 195 €. Im Durchschnitt werden 743 € pro GKV-Versicherten gesamthaft für ambulante Arznei- und Verbandmittel aufgewendet, für Rentner 1.597 €, für die sonstigen Mitglieder 522 €, für Familienmitversicherte 272 €.

Regionale Besonderheiten

Regional fallen die Verordnungswerte (hier aufgeschlüsselt nach den 17 Bezirken der kassenärztlichen Vereinigungen KV) beträchtlich auseinander. Praktisch bedeutet dies, dass man sich bei Standortprognosen niemals allein auf die Bundes-Durchschnittswerte verlassen sollte. Und was bereits auf Ebene der KV-Bezirke auseinanderfällt, differenziert sich vor Ort je nach Demografie, Ärzteversorgung und Verordnungsbesonderheiten nochmals weiter.

Schlusslicht beim Gesamt-Bruttoumsatz je Versicherten sind die Hessen mit gut 633 €. Spitzenreiter ist Mecklenburg-Vorpommern mit 946 €, gefolgt vom Saarland (938 €) und Hamburg (knapp 923 €). Bei den praktisch wichtigeren Fertigarzneimitteln zeigt Abbildung 2 die Verteilung. Insbesondere fallen die Wachstumsraten sehr unterschiedlich aus: Während die Werte in Hessen 2022 beinahe stagniert haben, sind sie in anderen KV-Regionen um über 6 % gestiegen (Thüringen, Schleswig-Holstein).

Abb. 2: Regionale Verteilung der GKV-Fertigarzneimittel-Verordnungen 2022

Abb. 1 und Abb. 2 nach Daten von GAmSi-Regionalbericht für 2022, www.gkv-gamsi.de

Cannabis

Der gesamte GKV-Cannabismarkt umfasste im Jahr 2022 rund 198,2 Mio. € brutto. Fertigarzneimittel machten davon etwa 51 Mio. € aus, der Rest entfiel auf unverarbeitete Blüten (78 Mio. €) sowie auf allerlei Zubereitungen. Im Vorjahr betrug das gesamte Umsatzvolumen noch 185,3 Mio. €, das Wachstum betrug also etwas überdurchschnittliche 7 %. In der Gesamtschau ist es jedoch nach wie vor ein Randmarkt, der im Zuge der geplanten (Teil-)Legalisierung von Cannabis vor einer ungewissen (Apotheken-)Zukunft steht.

Fazit

Wir lassen die Corona-Spuren hinter uns. Der Markt beginnt, sich wieder an die Entwicklung vor 2020 anzunähern: Deutliche Zuwächse nach Wert, mäßige nach Stückzahl. Die ausufernden Kosten für die „Hochpreiser“ werden somit absehbar auf das politische Radar kommen.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(12):4-4