Interview mit Steffen Kuhnert, Gründer von „Frag die Apotheke“

„Wir finden digital kaum statt!“


Dr. Hubert Ortner

Steffen Kuhnert ist ein umtriebiger Unternehmer, Netzwerker und Vorreiter in punkto Digitalisierung. Wir wollten unter anderem von ihm wissen, womit er sein Geld verdient, ab wann die Beratungsplattform „Frag die Apotheke“ voraussichtlich schwarze Zahlen schreibt und warum er nicht Medizin statt Pharmazie studiert und seine Plattform konsequenterweise „Frag den Arzt“ getauft hat.

Abb.: Jede 20. Suchanfrage bei Google betrifft Gesundheitsthemen – doch landen Apotheken in den seltensten Fälle auf den vorderen Seiten. Da gibt es noch viel zu tun... (© AdobeStock/3dkombinat)

Haben Sie sich mit Ihren beiden Apotheken in Düren am bundesweiten Apothekenstreik Mitte Juni beteiligt?

Kuhnert: Selbstverständlich habe ich mich mit meinen beiden Apotheken an dem Streik beteiligt und mein Bestes gegeben, um die Apothekerschaft in Düren zu einen! Wir haben einen Bus gechartert und sind mit 50 Kollegen/innen zur zentralen Kundgebung nach Düsseldorf gefahren. Der Tag war ein voller Erfolg – und ein Meilenstein auf dem Weg, als Apotheker miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsam für unsere Rechte zu kämpfen.

Was hätten Sie unserem Bundesgesundheitsminister zu sagen, wenn er Ihnen zwei Minuten zuhören müsste …?

Kuhnert: Die Rx-Pauschale wurde seit zehn Jahren nicht mehr erhöht, im Gegenteil ist das Honorar durch den erhöhten Kassenabschlag sogar auf das Niveau von vor 20 Jahren gefallen! Und das bei stark gestiegenen Kosten. Wie soll das funktionieren? Das gesamte Gesundheitssystem läuft auf den Abgrund zu. Herr Lauterbach muss endlich auf Augenhöhe mit uns reden, und es müssen dringend Lösungen gefunden werden, wie wir die Kuh vom Eis kriegen.

Außerdem würde ich mir von ihm erklären lassen, warum er viele Millionen in Gesundheitskioske investieren will, wenn das Geld ohnehin knapp ist. Warum dann teure Doppelstrukturen aufbauen? Was sollen diese Kioske bitte leisten, was die Apotheker nicht längst schon bieten …?!

„Was Apotheken besonders auszeichnet, ist der niedrigschwellige Zugang, den sie den Menschen bei Gesundheitsfragen bieten. Deshalb ist es meine Vision, dass Apotheker sich als Gesundheitsmanager und zentrale Schnittstelle zu allen anderen Heilberufen profilieren sollten!“

 

Sie sind ein vielseitig engagierter Tausendsassa. Womit verdienen Sie Ihr Geld, Herr Kuhnert, und was ist (bislang) nur schmückendes Beiwerk …?

Kuhnert: Meinen Lebensunterhalt verdiene ich zurzeit zu 100 % über die beiden Apotheken in Düren. Die sorgen auch dafür, dass ich bei all den Projekten geerdet bleibe.

Gutes Stichwort: Mögen Sie für unsere Leser kurz skizzieren, wie sich das „Kuhnert´sche Apotheken-Biotop“ entwickelt hat und was die inhaltliche Klammer der verschiedenen Angebote ist?

Kuhnert: Gestartet bin ich mit dem Youtube-Channel „gerne gesund“, der mittlerweile 52.000 Abonnenten zählt. Darüber bin ich bekannt geworden und konnte ein engmaschiges Netzwerk in der Pharmaindustrie und Apothekenbranche aufbauen. Dabei wurde mir schnell klar, dass es nicht ausreicht, wenn man nur als Einzelkämpfer mit seiner Apotheke auf den digitalen Kanälen laut trommelt. Es folgte deshalb als nächster Schritt die Gründung der Facebook-Gruppe „Die digitale Apotheke“, bei der genau dieser Community-Gedanke im Vordergrund steht. Die letzte Stufe war der Aufbau der Beratungsplattform „Frag die Apotheke“ vor drei Jahren.

„Ich halte eine Social-Media-Präsenz für eine Einzelapotheke mit Blick auf das Endkundengeschäft für weitgehend irrelevant. Anders sieht es zum Netzwerken in der Branche aus: Das ist die große Stärke der sozialen Medien.“

 

Mittlerweile gibt es mehrere Online-Plattformen, die alle um die Gunst der Apothekerschaft kämpfen. Was macht „Frag die Apotheke“ anders, was besser als der Mitbewerb?

Kuhnert: Während bei den anderen Plattformen der schnelle Produktverkauf im Fokus steht, ist es das Ziel von „Frag die Apotheke“, die Beratungskompetenz der Apotheken in die digitale Welt zu übertragen. Jede 20. Suchanfrage bei Google betrifft Gesundheitsthemen – doch landen Apotheken in den seltensten Fälle auf den vorderen Seiten. Genau das drückt auch unser Claim aus: „Frag nicht Google, frag die Apotheke!“ Darin sehe ich eines unserer größten Mankos: Wir finden digital kaum statt!

Die Refinanzierung soll über zwei Schienen laufen: zum einen über Pharmahersteller, zum anderen über eine „Guided Shopping“-Funktion, welche die Beratung und den Produktverkauf miteinander verknüpft. Warum sollte ich als Hersteller Geld in die Hand nehmen, um eine Kooperation mit „Frag die Apotheke“ einzugehen?

Kuhnert: Unser Angebot ist für die Industrie insofern von besonderem Interesse, als dass es deren Endkunden einen unschlagbaren Mehrwert bietet: Diese bekommen auf dem Sofa eine kompetente Beratung zu allen Gesundheitsfragen direkt gekoppelt mit der Möglichkeit, das passende Arzneimittel auch gleich zu bestellen und sich nach Hause liefern zu lassen. Damit hebeln wir die niederländischen Versender mit ihrem typischen Drugstore-Charakter – ohne echte Beratung – aus. Es ist ja ohnehin sehr erstaunlich, dass das, was in den Apotheken verboten ist – die Abgabe von Arzneimittel ohne Beratung – sich bei den Versendern fest etabliert hat …

Dabei ist der Aufwand für die Hersteller minimal: Sie müssen lediglich ein paar Code-Schnipsel auf ihrer Website einbinden und können das Komplettpaket dann mit minimalem Aufwand und zunächst kostenlos testen, wie gut das Ganze funktioniert.

Wie viele Industriepartner haben Sie bereits an Bord – bis Jahresende sollten es laut einem Bericht in der DAZ ja bereits 25 sein?

Kuhnert: Wir haben mittlerweile drei Partner gefunden, am weitesten sind wir bislang mit dem bayrischen Hersteller Innovall. Etliche Hersteller haben uns signalisiert, dass sie erst einsteigen wollen, wenn auch der Produktverkauf und die „Guided Shopping“-Funktion vollständig integriert sind.

Wann sind Sie damit so weit?

Kuhnert: Bislang war erst die Beta-Version von „Frag die Apotheke“ live, bei welcher der Fokus ganz auf der Beratung lag. Jetzt sind wir endlich so weit, die Version 1.0 mit dem integrierten Online-Shop auszurollen. Die „Guided Shopping“-Funktion wird in diesen Tagen freigeschaltet.

„Wir müssen es schaffen, unsere Beratungsplattform „Frag die Apotheke“ in den nächsten Monaten richtig zum Laufen zu bringen, um perspektivisch dahin zu kommen, dass das Ganze sich selbst trägt. Bekommen wir das bis Jahresende nicht hin, dann bleibt wohl nur die Möglichkeit, einen Investor an Bord zu holen.“

 

Der Dritte im Bunde – neben Industrie und Endkunden – sind natürlich die Apotheken. Wie profitieren diese von einer Zusammenarbeit, und wie viele konnten Sie bereits von dem Konzept überzeugen?

Kuhnert: Es war von Anfang an nie unser Ziel, „Frag die Apotheke“ als Marke gegenüber den Endkunden aufzubauen, das Spotlight soll vielmehr auf die lokalen Apotheken fallen. Das läuft über die IP-Adressen der Besucher, die dann jeweils die lokalen Apotheken-Kooperationspartner ausgespielt bekommen. Dazu wird der Online-Shop an das Corporate Design der Partner angepasst. Damit können Apotheken die Sichtbarkeit in ihrer Region mit minimalem Aufwand deutlich erhöhen.

Bislang sind 150 Apotheken angebunden. Auch hier gilt, dass viele erst noch abwarten wollen, bis alles steht – inklusive Guided Shopping-Funktion – und dann starten wollen.

Das klingt nach einem bekannten Phänomen bei neuen Geschäftsmodellen: Jeder wartet erst ab, was die anderen machen, was leicht zu einem „Patt“ führen kann. Wie wollen Sie dem beikommen?

Kuhnert: Das ist in der Tat gerade unsere größte Herausforderung: Einer muss den ersten Schritt machen, vorausgehen und investieren – dann wird sich von selbst eine gewisse Dynamik entwickeln. Das hat natürlich auch viel mit Vertrauen zu tun, deshalb sind mir Transparenz und Offenheit sehr wichtig. Ich bin aber sehr zuversichtlich, vor allem weil wir gerade damit begonnen haben, die Version 1.0 auszurollen, in welcher alle Funktionen – inklusive Online-Shop – vollständig integriert sind.

Wer generiert den Content, dem bei Ihrer Plattform ja eine zentrale Bedeutung zukommt?

Kuhnert: Den Content produzieren wir selbst und verknüpfen ihn dann mit den jeweils passenden Experten. So erreichen wir eine Personalisierung der Themen. Unser Ziel ist es ja, die Apothekenpartner maximal zu entlasten. Die einzige Vorgabe ist, dass die Partner ein persönliches Profil mit Foto anlegen. Damit knüpfen wir im digitalen Raum nahtlos an die tägliche Apothekenpraxis an, wo die Kunden ja auch persönlich beraten werden.

Ist die Anschubfinanzierung – Sie hatten in der ersten Phase rund 500.000 € eingesammelt – ausreichend, und ab wann soll „Frag die Apotheke“ voraussichtlich schwarze Zahlen schreiben?

Kuhnert: Die Anschubfinanzierung war enorm wichtig, um die Beta-Version zu entwickeln. Mittlerweile haben wir mit der Version 1.0 ja eine marktreife Lösung. Das bedeutet aber auch, dass wir es schaffen müssen, das Ganze in den nächsten Monaten richtig zum Laufen zu bringen, um perspektivisch dahin zu kommen, dass sich „Frag die Apotheke“ selbst trägt. Bekommen wir das bis Jahresende nicht hin, dann bleibt wohl nur die Möglichkeit, einen Investor an Bord zu holen.

„Gerne würde ich mir von Herrn Lauterbach erklären lassen, warum er viele Millionen in Gesundheitskioske investieren will, wenn das Geld ohnehin knapp ist. Warum dann teure Doppelstrukturen aufbauen? Was sollen diese Kioske bitte leisten, was die Apotheker nicht längst schon bieten …?“

 

Ich würde jedem Apotheker in punkto Digitalisierung raten, erst einmal die eigene Marke im Internet professionell sichtbar zu machen und jedwede Präsenz auf Plattformen etc. auf Priorität B zu setzen. Können Sie da mitgehen?

Kuhnert: Grundsätzlich bin ich da völlig d’accord mit Ihnen. Allerdings ist „Frag die Apotheke“ eben nicht die klassische Plattform. Und wir befähigen die Vor-Ort-Apotheken, mit minimalem Aufwand und weitgehend im eigenen Design im digitalen Raum sichtbar zu werden.

Wenn ich Fragen zu meiner Gesundheit habe, wende ich mich als erstes an meinen Arzt – und nicht an den Apotheker. Hätten Sie insofern nicht besser Medizin studieren und Ihre Plattform folgerichtig „Frag den Arzt“ nennen sollen?

Kuhnert: Was Apotheken besonders auszeichnet, ist der niedrigschwellige Zugang, den sie den Menschen bei Gesundheitsfragen bieten. Das erleben wir tagtäglich, dass Menschen uns ihre gesundheitlichen Probleme anvertrauen und eine kompetente Beratung suchen. Noch stärker macht sich das beim Nacht- und Notdienst bemerkbar, wenn die Arztpraxen geschlossen sind. Deshalb ist es meine Vision, dass Apotheker sich als Gesundheitsmanager und zentrale Schnittstelle zu allen anderen Heilberufen profilieren sollten!

Themenwechsel. Die von Ihnen gegründete Facebook-Gruppe „Die digitale Apotheke“ hat eine hohe Reichweite und einen guten Ruf in der Branche. Wie wollen Sie diese Community weiterentwickeln, was sind hier Ihre konkreten Ziele?

Kuhnert: Die Gruppe hat mittlerweile 4.070 Mitglieder, die mehrheitlich sehr aktiv und im engen Austausch untereinander sind. Mein Ziel ist es, dass die Community weiter wächst und wir die Diskussionen zu aktuellen Branchenthemen mit mehreren Posts täglich beleben.

Auch Community-Treffen wie die Socialpharmacy, die als Präsenzveranstaltung in Köln stattgefunden hat, und das virtuelle Format DDA Summit werden wieder ein Thema sein.

Die Vor-Ort-Apotheken haben zu ihren Kunden meist eine enge, oft über Jahre gewachsene (analoge) Bindung. Diese möglichst effektiv in den digitalen Raum zu übertragen, ist eine der zentralen Herausforderungen. Bitte um zwei Tipps für die AWA-Leser, wie Sie das ganz praktisch in Ihren eigenen Apotheken anpacken?

Kuhnert: Am Wichtigsten ist, sich in Fragen der Digitalisierung zu fokussieren und nicht auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen zu wollen. Und man sollte zunächst mit den Basics beginnen, bevor man sich verzettelt. Konkret empfehlen würde ich im ersten Schritt folgende drei Punkte:

  • Nutzen Sie die Google Business-Funktion und pflegen Sie die Einträge zu Ihrer Apotheke dort regelmäßig – beginnend bei Adresse und Öffnungszeiten bis hin zu den Nacht- und Notdiensten. Bevor Sie das nicht schaffen, brauchen Sie sich erst gar nicht um Social Media etc. zu kümmern.
  • Nutzen Sie WhatsApp als Kommunikationskanal zu Ihren Kunden. Die Verbreitung ist sehr hoch, und es hat sich in vielen Apotheken bewährt, diesen Messenger aktiv zur Kundenkommunikation zu nutzen.
  • Sorgen Sie dafür, dass Ihre Apotheke eine vernünftige Web-Präsenz mit Online-Shop hat. Auch da geht es nicht um tausende Funktionalitäten, sondern darum, die Basics sauber abzubilden. Wir denken da oft viel zu kompliziert.

 

Jede 20. Suchanfrage bei Google betrifft Gesundheitsthemen – doch landen Apotheken in den seltensten Fälle auf den vorderen Seiten. Darin sehe ich eines unserer größten Mankos: Wir finden digital kaum statt!

 

Stichwort Social Media: Vorausgesetzt, die Basics stimmen – sollte man mit seiner Offizin auf LinkedIn, Instagram & Co. vertreten sein?

Kuhnert: Auch wenn Sie das überraschen dürfte: Ich halte eine Social-Media-Präsenz für eine Einzelapotheke mit Blick auf das Endkundengeschäft für weitgehend irrelevant. Anders sieht es zum Netzwerken in der Branche aus: Das ist die große Stärke der sozialen Medien, und das funktioniert nach unseren Erfahrungen auch wunderbar.

Das Interview führte Dr. Hubert Ortner

 

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(13):10-10