Honorarverteilungs-Diskussion – Teil 1

Ein heißes Eisen – ist es auch zu schmieden?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wir müssen uns bei den Honorarforderungen womöglich einer Verteilungsdiskussion stellen. Es wird sicher nicht einfach, ausgesprochen gewinnstarken Apotheken dieselbe kräftige Erhöhung zukommen zu lassen, welche schwächere, aber versorgungsrelevante Betriebe dringend bräuchten.

Gleich viel Geld für alle Apotheken - unabhängig von deren Ausrichtung und wirtschaftlichen Stärke? Diese Frage wird in der Branche gerade kontrovers diskutiert. (© AdobeStock/Helma Spona)

Die Feuertaufe im Gefolge der Apothekenproteste steht noch bevor: Welchen Eindruck hinterlassen die Aktivitäten, und welche Handlungskonsequenzen zieht die Politik daraus? Die einfachste Lösung: Man erhöht die Rx-Festhonorarkomponente für alle. Doch was ist zu erwarten? Wenigstens ein Inflationsausgleich? Selbst das womöglich nur teilweise, weil auch die übrige Bevölkerung deutliche Reallohn- und Wohlstandsverluste hinnehmen muss, das sollten wir nicht vergessen. So oder so wird die Erhöhung weit unter dem geforderten Plus von 3,65 € je Rx-Packung ausfallen. Wäre mehr Differenzierung dann nicht angebracht, trotz ernster Herausforderungen im Detail? Wird die Politik das gar einfordern? Beleuchten wir daher einige Honorarverteilungsmodelle. Wie das zahlenmäßig aufgeht, schauen wir uns später an.

Im schlechtesten Fall müssten wir akzeptieren, dass die Politik bereits heute genug Geld im System sieht und man ggf. durch eine Umverteilung im bestehenden Honorarrahmen die sichere Versorgung und zudem eine „Verteilungsgerechtigkeit“ sicherstellen mag. Einige Politiker und Kostenträger favorisieren das. Immerhin stecken fast 14 Mrd. € Rohertrag im ambulanten Apothekensystem. Bereinigt um die Spezialversorgung – v. a. Parenteralia, nicht typische (Groß-)Belieferung von Institutionen, z. T. Versand – dürften es noch 12 bis 12,5 Mrd. € sein. Davon rekrutieren sich gut 70 % aus dem Verordnungsbereich (= alles auf Rezept, privat wie GKV einschließlich OTX sowie Nicht-Arzneimitteln wie Verbandstoffen, Diagnostika etc.).

Man nehme es den Wohlhabenden und gebe es den „Armen“? Gesellschaftspolitisch ist das ja nicht gerade eine neue Idee. Und auf welcher Grundlage könnte eine Umverteilung überhaupt stattfinden? Die Gewinne und Roherträge der gesamten Apotheke scheiden aufgrund variierender Sortimentsstrukturen (welche die Handelsspannen und Erträge bedingen) aus, schon allein aus Gründen der zeitnahen Erhebung und des sehr unterschiedlichen Baranteils. Es bleibt letztlich nur die Zahl an Rx-Fertigarzneimittelpackungen, ohne rezepturmäßig verarbeitete Arzneimittel und Impfstoffe. Mit dieser Zahl an Rx-Packungen als Basis ergeben sich nun folgende Denkmodelle (Abbildung 1):

Abb. 1: Denkbare Rx-Honorarverteilungsmodelle, grob-schematisch

  • Nach dem Abschlagsmodell verlangt man Apotheken mit vielen Rx-Packungen höhere Abschläge ab – und verteilt diese ggf. noch über einen Fonds um.
  • Ein abgestuft-degressives Honorar: die ersten Packungen werden höher entlohnt als nachfolgende. Sachlogisch läuft es aber wie das Abschlagsmodell auf geringere Honorare bei großen Packungszahlen hinaus. Dies kann beide Male in Stufen oder anhand einer Regressionsformel mit jährlichen Anpassungsparametern erfolgen.
  • Alle erhalten eine Sockelgrundvergütung; diese wird abhängig von eigens definierten Förderkriterien apothekenindividuell aufgestockt – was im Grundsatz auf einen Strukturfonds oder gar eine Art „kassenapothekerliche Vereinigung“ mit Honorarverteilungs- und Sicherstellungsauftrag ähnlich den Ärzten hinauslaufen würde. Der Strukturfonds könnte sich aus den Abschlägen des ersten Modells speisen, oder viel besser aus einem separaten Fördertopf und Erfolgsbeteiligungen, z. B. aus Rabattverträgen.

Als verteilende Institution böte sich, entsprechend aufgestockt, der heutige Not- und Nachtdienst-Fonds an, der ja auch die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) verwaltet. Die Not- und Nachtdienste sowie die pharmazeutischen Dienstleistungen werden als eigenständige Leistungen weiterhin separat verrechnet und geführt. Die Verteilmodelle kann man in der umfassenden Reformversion auf das gesamte Rx-Honorarvolumen anwenden, oder aber in der „kleinen Variante“ entsprechend angepasst nur auf die künftigen Erhöhungen, die dann differenziert zusätzlich ausgeschüttet werden.

Viele Herausforderungen

Ein Einstieg in eine differenzierte Honorierung der wirtschaftlich dominierenden Rx-Arzneimittel wäre eine erhebliche Systemveränderung. Anders als bei den (Kassen-)Ärzten herrscht bei Apotheken Niederlassungsfreiheit. Jeder hat, zusammen mit dem Kontrahierungszwang, insoweit wirtschaftlich gleiche Startbedingungen, und „der Markt“ regelt die Apothekendichte. Von den Ärzten (abseits neuerer Entwicklungen, dass hier einige prominente Vertreter an Ketten erinnernde Großstrukturen aufbauen) unterscheidet sich auch die Verteilungsbreite der Apothekenumsätze, Erträge und Gewinne, sie ist nämlich erheblich größer. Während Ärzte vor allem ihre Arbeitszeit verkaufen (und die Umsätze dadurch stärker limitiert sind), zählen bei den Apotheken die kaufmännischen Aspekte deutlich stärker, nämlich in Form von schlichten Stückzahlen und Stückerträgen der abgesetzten Packungen – und diese sind eine Funktion äußerst unterschiedlicher Standortgegebenheiten.

Als nächstes stellt sich die Frage nach den Verteilungsschlüsseln und deren Dynamisierung im Zuge sich verändernder Packungszahlen und -werte. Schon die Aufstellung sachgerechter Staffeln von Rx-Packungen (oder einer kontinuierlichen Regressionsformel) muss am Ende die Frage beantworten, wie hoch man Zielgewinne oder Deckungsbeiträge überhaupt ansetzen will. Zudem besteht zwar zwischen Rx-Packungen und Gewinn ein deutlicher Zusammenhang, je nach Gegebenheiten kann aber eine Apotheke mit geringeren Packungszahlen besser abschneiden als ein größere. Insoweit würden wir auch hier mit Unwuchten leben müssen.

Man könnte die Feinsteuerung natürlich noch weiter treiben (Modell 3), sprich nach einem mehr oder weniger umfangreichen Kriterienkatalog die Honorare individuell berechnen. Das käme dann dem System der Ärzte recht nahe. Um der schwierigen Diskussion von „angemessenen Gewinnen“ möglichst auszuweichen, sollten die Honorarbausteine sich an evidenzbasierten Leistungskriterien sowie an der Versorgungsrelevanz vor Ort orientieren, unter Zugrundelegung angemessener Minutenhonorare für die jeweilige Leistung.

Wir würden bei einem solchen Systemwandel um grundsätzliche Definitionen der jeweiligen Leistungsumfänge nicht herumkommen; die pDL weisen bereits den Weg. Damit wäre klar, was mit dem Rx-Pauschalhonorar genau abgebildet ist, und was eben nicht. Wieder ein Seitenblick zu den Ärzten. Deren detailgenaue Leistungsziffernbeschreibungen fordern seit jeher oft eine „persönlich erbrachte Leistung“. Dergestalt könnte man auch bei uns manches dem Versand entziehen. Lösbar ist die Frage nach dem Erhalt eines einheitlichen Rx-Abgabepreises, indem alle Gelder strikt über Fonds geleitet werden und damit nicht zu einzelnen Preissenkungen führen.

Zwischenfazit

Ein „gerechteres“ oder zielgenaueres Honorarverteilungssystem erscheint angesichts des heutigen Digitalisierungsgrades und der zeitnahen Datenverfügbarkeit durchaus machbar. Der Aufwand mitsamt etlichen Implementierungsfallen im Detail ist nicht zu unterschätzen, und die Gefahr eines neuen bürokratischen Molochs liegt auf der Hand. Zudem nähern wir uns damit womöglich einer Niederlassungssteuerung, die einige, auch rechtliche Fragen aufwirft. Doch kann ein solcher Verteilmechanismus überhaupt zahlenmäßig sinnvoll aufgehen, oder ist es der Sturm im Wasserglas? Dazu mehr im nächsten Teil.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(14):4-4