Heute noch Pharmazie studieren?

Unverkennbarer „Klimawandel“ auch für Apotheken


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Nicht wenige Inhaberinnen und Inhaber stehen vor der Frage, was aus ihren Apotheken werden soll – und ob nicht die eigenen Kinder diese übernehmen sollen. Abgesehen davon, dass man solche weitreichenden Lebensentscheidungen nach den persönlichen Neigungen und nicht nur wirtschaftlichen Erwägungen heraus fällen soll: Ergibt das heute überhaupt noch Sinn, und wenn, unter welchen Voraussetzungen? Und ist ein Pharmaziestudium weiterhin ein gutes „Ticket“ für den Weg in aussichtsreiche Beschäftigungen, alternativ abseits der Apotheke?

Fraglos gehören Pharmazie und die „Life Sciences“ jedenfalls global zu den wachstumsstärksten und innovativsten Branchen, und das wird absehbar so bleiben. Tatsächlich verlagern sich die Wachstumsschwerpunkte aber weg vom alternden Europa hin in aufstrebende Regionen – wir sind hier, wie in so vielem anderem, zunehmend nicht mehr der Nabel der Welt. Allein die Bevölkerungsrelationen (die EU stellt kaum 6 % der Erdenbürger) sprechen Bände. Wer also in der industriellen Pharmawelt Karriere machen will, sollte den internationalen Aspekt auf der Rechnung haben und entsprechend flexibel sein.

Der Zugang in diese Welt ist heute auf so vielen Wegen möglich wie nie zuvor. Neben dem bekannten Pharmaziestudium mit nach wie vor recht hohen Zugangshürden haben sich in den letzten Jahren zahlreiche andere Studiengänge etabliert, oft an einer der zahlreichen „Fachhochschulen“, welche sich heute als „University of Applied Sciences“ mit durchaus ernstzunehmenden Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten verstehen. Durch das Bachelor-Master-System ist die Durchlässigkeit, bei aller Kritik im Detail wie einer gewissen Verschulung, im akademischen Bildungssystem ganz klar größer geworden. Der Unterschied zu den Universitäten hat sich eher reduziert. Und so finden sich Studiengänge wie Bio- und Pharmatechnik, Pharmazeutische Wissenschaften, Pharmazeutische Biotechnologie bzw. Chemie, Pharmazeutische Bioprozesstechnik u. a. m. Die Absolventen sehen zumeist sehr guten Beschäftigungsmöglichkeiten entgegen, erst recht bei hoher Mobilität. Nach wie vor eröffnet zudem die klassische Medizin (klinische Entwicklung, Zulassung) oder die Molekularbiologie bzw. Gentechnologie Wege in die Industrie. Künftig viel bedeutsamer sind Stellen im Bereich der fachspezifischen Informationstechnologie, Bioinformatik, Data Science und künstlichen Intelligenz. Sie haben schon lange ihren „Exotenstatus“ verlassen und stellen ein zahlenmäßig nennenswertes und wachsendes Angebot dar. Mehr als einen Seitenblick lohnt die Medizintechnik, die wertmäßig ungefähr ein Drittel des Pharmasektors ausmacht. Die Technik, insbesondere Elektronik, und die Pharmazie laufen immer mehr aufeinander zu, man denke an künftige „intelligente“ Arzneiformen oder 3D-Druck.

Das klassische Pharmaziestudium bleibt jedoch absehbar ein „Muss“ auf dem Weg zur (eigenen) Apotheke, zumindest solange die Politik dieses „Privileg“ nicht auch noch zerpflückt. Doch sollte man das jemandem am Anfang seines Erwachsenendaseins um die 20 noch empfehlen?

Wer die Möglichkeit für sich sieht, künftig zum ertragsmäßig obersten Viertel oder zumindest oberen Drittel der Apotheken zu gehören, durch Erbschaft oder entsprechenden Zugang zu Übernahmeangeboten, dürfte noch etlichen jedenfalls wirtschaftlich erfolgreichen Jahren entgegen sehen. Selbst wenn der Beruf eines Tages zu bedeutenden Teilen wegrationalisiert werden sollte, und diese Gefahren bestehen – derjenige wird jedenfalls auch dann besser stehen, als wenn er auf diese guten Jahre verzichtet hätte. Denn was wäre die Alternative gewesen? Zudem hat er aus einer Position der Stärke heraus mehr Optionen, mit den ja eher prozesshaft voranschreitenden Entwicklungen umzugehen. Wer sich hingegen im Mittelfeld oder gar darunter behaupten muss, wird sich auf einen mühsamen Weg einstellen müssen. Da stellt sich schon die Frage der Alternative. Wer indes „nur“ eine ortsnahe, weithin angebotene und immer noch recht angesehene Tätigkeit mit flexiblen Arbeitszeiten sucht, aber davon nicht unbedingt eine Familie allein ernähren muss, findet hier nach wie vor eine ganz ordentliche Berufsoption. Wobei: Im Moment sucht auch der Staat (noch) allenthalben Nachwuchs …

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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