Regionale Unterschiede bei Barverkäufen

Preisspielräume optimal ausnutzen


Frank Weißenfeldt

Je genauer Sie als Apothekenleiter die Preiselastizität Ihrer OTC- und Freiwahl-Produkte kennen, desto höher fällt dank passgenauer Preisgestaltung die Marge aus. Wir haben auf Basis der Solvena-Marktzahlen die starken regionalen Unterschiede bei Barverkäufen analysiert und geben Ihnen darauf aufbauend praxisnahe Empfehlungen für die preisliche Positionierung des rezeptfreien Apotheken-Sortiments.

Es braucht kein Mathestudium, um die Preisspielräume bei OTC- und Freiwahlprodukten vernünftig auszuschöpfen. (© AdobeStock/Addictive Stock Core)

Grundsätzlich geht es bei der Gestaltung von Preisen darum, OTC-Arzneimittel, Kosmetika sowie weitere nicht rezeptpflichtige Produkte individuell auf die Zielkundschaft zugeschnitten zu kalkulieren.

Der empfohlene Verkaufspreis der Hersteller ist dabei allenfalls ein erster Orientierungswert – allerdings auch nicht mehr. Wie stark Preise von Region zu Region variieren können, zeigen z. B. die Zahlen von Solvena. Auf Basis der Daten aus dem Apothekenpanel von Insight Health (ca. 7.300 Apotheken) bekommen Sie auf der AWA-Website detaillierte Einblicke unter anderem zum Wert von Warenkörben sowie zur Preisentwicklung in deutschen Vor-Ort-Apotheken.

44 % aller Kassenvorgänge der Vor-Ort-Apotheken im letzten Jahr waren Barverkäufe. OTC-Produkte und das weitere rezeptfreie Sortiment haben zwar bei Weitem nicht dieselbe Umsatzbedeutung wie rezeptpflichtige Arzneimittel und tragen auch deutlich weniger zum Rohertrag bei.

Aufgrund der Bekanntheit einzelner Marken sind rezeptfreie Produkte jedoch ein wichtiger Frequenzbringer und zentraler Einflussfaktor für die Kundenbindung. Im Fokus der Kommunikation stehen häufig die Preise der bekannten Powerbrands (wie z. B. Voltaren, Sinupret und ACC Akut).

Starke regionale Unterschiede bei Barverkäufen

Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die Preisentwicklung bei den Barverkäufen (siehe Abb. 1). Der durchschnittliche Preis eines Artikels im Warenkorb des Buchungstyps „Bar“ ist von Januar 2020 (8,82 €) bis Ende 2023 (9,88 €) um 1,06 € gestiegen. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Klar an der Spitze steht Hessen mit einem durchschnittlichen Warenkorbpreis von 11,99 €. Auch in Bayern (10,48 €) und Baden-Württemberg (10,42 €) ist der durchschnittliche Warenkorbpreis des Buchungstyps „Bar“ recht hoch. Relativ niedrig sind die durchschnittlichen Warenkorbpreise in Bremen (8,54 €), Brandenburg (8,63 €) und Thüringen (8,83 €).

Abb. 1: Durchschnittspreis (Netto) von Barverkäufen in den letzten drei Jahren

Quelle: Solvena/Insight Health

Eine Ursache für diese deutliche regionale Diskrepanz zwischen den Bundesländern ist offensichtlich: Die Kaufkraft je Einwohner ist in Bayern (30.130 €), Baden-Württemberg (29.675 €) und Hessen (28.613 €) deutlich höher als in Brandenburg (26.640 €), Thüringen (25.133 €) und Bremen (24.702 €).

Mehrzahl der Kunden ohne klare Preisvorstellung

Für Apothekenleiter stellt sich in diesem Kontext insbesondere folgende Frage: Für welche Produkte aus der Frei- und Sichtwahl sollten sie einen Preis oberhalb der unverbindlichen Preisempfehlung wählen und damit vorhandene Preisspielräume nutzen, um ihre Marge zu erhöhen? Während im Drogeriemarkt und im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) die Preise von Markenartikeln direkt mit den Preisen von Handelsmarken verglichen werden, ist die Vor-Ort-Apotheke ein Ort relativ geringer Preistransparenz. Fachleute schätzen, dass die Verbraucher für rund 90 % der OTC-Produkte den Preis nicht kennen bzw. keine klare Preisvorstellung haben. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, der für den Premiumvertriebskanal Apotheke spricht und von Markenartikelherstellern besonders geschätzt wird.

Eine geringe Preistransparenz geht in der Regel einher mit einer niedrigen Preiselastizität. Diese misst die relative Änderung der Nachfrage im Anschluss an eine Preisänderung. Eine besonders geringe Preiselastizität besteht insbesondere für Artikel aus sogenannten „Tabubereichen“: So variieren z. B. die Preise für Mittel gegen Fuß- und Nagelpilz sowie die für Entwöhnungs- und Inkontinenzprodukte besonders stark.

Hinzu kommt, wie bereits erläutert, die unterschiedliche Kaufkraft in einzelnen Regionen, Orten und Stadtteilen. Dementsprechend sind die Preise für Einlagen bei mittlerem bis stärkerem Harnverlust im kaufkraftstarken Süden von Köln oder in Hamburg-Blankenese beispielsweise höher als in vielen anderen Stadtteilen der Domstadt bzw. Freien Hansestadt.

Eine mittlere Preiselastizität zeigen u. a. einige Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen und Entzündungen (z. B. Dolo-Dobendan Lutschtabletten). Powerbrands (z. B. Voltaren) sind hingegen grundsätzlich von einer hohen Preistransparenz gekennzeichnet.

Preisgrenzen, Schwellenpreise und Primäreffekte

Preise leben von der Kommunikation! Wichtig ist daher, immer wieder zu hinterfragen, wie die Preise der Apotheke auf die Kundschaft wirken.

Preisgrenzen, bei denen ein bestimmtes Kaufverhalten eingeleitet wird, werden Schwellenpreise genannt. In der Regel wirken diese günstiger. 99 Cent oder 9,95 € sind oft genutzte Schwellenpreise. Ferner besteht bei rund 5,00 die Grenze für den Impulskauf.

Bei vielen Produkten unterhalb der 5-€-Grenze bietet es sich an, auf den höheren Schwellenpreis zu gehen. Bei einem Preis, der zum Beispiel die 1-€-Schwelle überschritten hat, ist es für den Kunden psychologisch grundsätzlich irrelevant, ob das Produkt nun 1,08 € oder 1,48 € kostet.

Zu berücksichtigen ist bei der Preisgestaltung auch der sogenannte Primäreffekt: Zu Beginn abgebildete Informationen werden vom Gehirn besser wahrgenommen und besonders gut behalten. Für die Preisgestaltung bedeutet dies, dass die erste Preisziffer vom Kunden stärker beachtet wird als die darauffolgenden Ziffern. 9,99 € ist demnach effektvoller als 10,00 €.

Von anderen Branchen lernen

Um die eigenen Erträge zu optimieren und Wettbewerbsvorteile zu generieren, setzt der Drogeriemarkt dm bereits seit 2019 auf große Datenmengen (Big Data). Dabei nutzt der Drogeriekonzern Daten, die aus den Einkäufen der Kunden generiert werden. Das Sortiment und die Preise werden an die jeweilige Kundschaft angepasst. Konkret bedeutet das, dass die angebotenen Artikel und auch die Preise von Filiale zu Filiale variieren können. Die angebotenen Produkte werden durch eine Big Data-Software ausgesucht.

 

Fachleute schätzen, dass die Verbraucher für rund 90 % der OTC-Produkte den Preis nicht kennen bzw. keine klare Preisvorstellung haben. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, denn eine geringe Preistransparenz geht in der Regel einher mit einer niedrigen Preiselastizität. Ausnahmen sind intensiv beworbene Powerbrands wie z.B. Voltaren oder ACC Akut.

 

Während der letzten Jahre wurden auch spezielle Preisgestaltungs-Tools für Apotheken (wie z. B. Solvena True Price) entwickelt, um die Preise optimal zu kalkulieren. Auf Basis des regionalen Wettbewerbsumfelds und unterschiedlicher Preiselastizitäten hat die Apotheke immer den „richtigen“ Preis, ohne dass das Apothekenteam viel Zeit investieren muss. Auch verschiedene Warenwirtschaftsanbieter bieten Tools zur Preisoptimierung an.

Fazit: Probieren geht über Studieren

Ausgehend von Ihrer Kundschaft sollten Sie als Apothekenleiter vorhandene Preisspielräume für mutmaßlich weniger preiselastische Produkte bestmöglich ausnutzen. Das Apothekenteam kann z. B. mit einer Warengruppe starten, die Wirkung erfassen, Maßnahmen anpassen und die gewählte Preispolitik weiter testen und finetunen. Alternativ bietet sich die Nutzung eines kommerziellen Tools oder die Auswertungs-Tools der Warenwirtschaftsanbieter zur automatisierten Preisgestaltung des OTC- und Freiwahl-Sortiments an.

 

Frank Weißenfeldt, Diplom-Betriebswirt und MBA, Senior Business Development Manager, Insight Health GmbH, 65529 Waldems-Esch, E-Mail: FWeissenfeldt@insight-health.de

Tipp

Hier geht's direkt zu den frei zugänglichen Solvena-Marktzahlen auf unserer Website!

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(06):12-12