Podiumsdiskussion beim INTERPHARM-Satelliten „Apotheke & Wirtschaft“

„Was die ABDA macht, ist schlichtweg peinlich“


Christina Grünberg

Bei der lebhaft geführten Podiumsdiskussion von „Apotheke & Wirtschaft“ standen drei Themen im Fokus: Karl Lauterbachs Reformpläne, das von der ABDA vermittelte Zerrbild einer kollektiv notleidenden Branche sowie die Notwendigkeit, sich für neue technologische Entwicklungen zu öffnen, um das Feld nicht kampflos branchenfremden Dritten zu überlassen und am Ende das Nachsehen zu haben.

Mitunter ist es wirklich zum Fremdschämen, wie die ABDA agiert und sich damit alle Chancen im politischen Berlin verbaut. (© AdobeStock/Light Impression)

Redet die ABDA die wirtschaftliche Lage der Apotheken klein, um ihrer Honorarforderung Nachdruck zu verleihen? Diesen Eindruck hat zumindest AWA-Chefredakteur Dr. Hubert Ortner. Er stört sich daran, dass die ABDA sich seit Jahren bemüht, Presse und Politik ihr Narrativ vom armen Apotheker zu verkaufen. Auf manch einen Inhaber mag das zutreffen – in der Breite ist diese Darstellung jedoch nicht haltbar, meint Ortner: „Die Zahlen geben nicht her, dass die Apotheken kollektiv Not leiden.“ Bei der Podiumsdiskussion im Zuge des INTERPHARM-Satelliten Apotheke & Wirtschaft kritisierte er, dass die Standesvertretung die wirtschaftliche Lage der Branche künstlich kleinrede. In der öffentlichen Debatte rücke sie den Fokus ausschließlich auf das finanzschwächste Drittel der Betriebe, verschweige aber gern, dass es vielen Apotheken noch immer sehr gut gehe. „Da entsteht ein Zerrbild“, sagte Ortner. Die Folge sei, dass die ABDA zur Politik nicht mehr durchdringe und auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kaum noch zu Gesprächen bereit sei. „Die ABDA hat ein Glaubwürdigkeitsproblem“, lautet Ortners Diagnose.

Dr. Morton Douglas: „Erst lehnt man alles Neue ab, dann macht es plötzlich ein anderer und man schaut hinterher. Tatsächlich brauchen wir sogar eine stärkere Automatisierung, weil uns schlicht das Personal fehlt.“

 

Aus seiner Sicht ist die Zukunft der Apotheken und der Arzneimittelversorgung in Deutschland längst nicht so düster, wie die Bundesvereinigung sie skizziert. Vor dem Hintergrund, dass es hierzulande noch etwa 17.500 Offizinen gibt, sei er „nicht so sicher, ob wir tatsächlich in einen Versorgungsnotstand hineinlaufen“.

Er verwies auf Berechnungen des AWA-Herausgebers Reinhard Herzog, wonach die Versorgung auch mit 13.000 Apotheken noch gewährleistet wäre. Die Forderung nach einem Inflationsausgleich sei gerechtfertigt, ein Fixum in Höhe von 12 Euro zu verlangen aber völlig unverhältnismäßig.

Es ist nicht alles schlecht, was von Lauterbach kommt

Auch Apotheker Fabio Nobre aus Bad Kreuznach ist alles andere als zufrieden damit, wie seine Standesorganisation derzeit auftritt. „Was die ABDA macht, ist schlichtweg peinlich“, fasste er zusammen.

Kritisch sieht er unter anderem die Blockadehaltung der ABDA, wenn es um die Eckpunkte der Apothekenreform aus dem Bundesministerium für Gesundheit geht. „Es ist nicht alles schlecht, was von Lauterbach kommt.“ Mit ihrer Abwehrhaltung habe die ABDA sämtliche Chancen vertan, doch noch mit dem Minister in den Dialog zu kommen.

Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen aus Freiburg bemängelte insbesondere, dass die Standesvertretung die wirtschaftliche Notwendigkeit speziell der Drei-Prozent-Marge nicht ausreichend erkläre. „Ich glaube, der Politik ist nicht klar, was es bedeutet, einen Arzneimittelbedarf für eine Woche vorfinanzieren zu müssen“, sagte er. „Dafür brauchen wir die Marge, denn die Apotheken müssen auch hochpreisige Arzneimittel in voller Höhe bezahlen.“ Hintergrund ist die geplante Umschichtung der Apothekenvergütung: In den Eckpunkten aus dem Hause Lauterbach ist vorgesehen, den prozentualen Aufschlag schrittweise von 3 auf 2 Prozent zu senken und die dadurch freiwerdenden finanziellen Mittel für eine Erhöhung des Fixums zu verwenden. So soll das Gesamthonorar gleichmäßiger als bisher unter den Apotheken verteilt werden.

Ortner zählt zu den Branchenkennern, die einer Umverteilung durchaus etwas Positives abgewinnen können, hält den vorgeschlagenen Weg aber nicht für zielführend. „Das ist nicht der richtige Hebel“, glaubt er. Denn so würden die Apotheken noch stärker als ohnehin schon von der Marktentwicklung entkoppelt. Nobre gab zu bedenken, dass dieses Vorhaben insbesondere große, spezialisierte Apothekengruppen treffen würde, die viele Hochpreiser abgeben. Das könnte sich letztlich negativ auf die Investitionsbereitschaft auswirken.

Dr. Hubert Ortner: „Die Branche sollte Konzepte für eine stärkere Automatisierung auch bei der Arzneimittabgabe selbst besetzen und in die Apotheken integrieren, anstatt sich rückwärtsgewandt zu verteidigen und alles Neue tot zu klagen. Sonst werden andere die Lücke füllen.“

 

Dass Lauterbach ab dem Jahr 2027 die Apothekerschaft und den GKV-Spitzenverband damit beauftragen will, die Höhe des Fixums selbst auszuhandeln, kam in der Runde ebenfalls nicht gut an. Ortner äußerte Zweifel, ob dieser Plan für den Berufsstand tatsächlich vorteilhaft ist. „Bei ergebnisoffenen Verhandlungen kann man auch schlechter rausgehen, als man reingegangen ist“, merkte er an. Und in den vergangenen Jahren habe die Standesvertretung nicht unbedingt mit Verhandlungsgeschick geglänzt. Douglas hält von diesem Ansatz ebenfalls nichts. „Hier schiebt der Gesetzgeber die Verantwortung ab“, betonte er. „Das zeugt von Führungsschwäche.“

Ausgeprägte Obrigkeitshörigkeit

Dennoch waren sich die Diskutanten einig, dass ein pauschales Nein der ABDA zu den Eckpunkten keine gute Basis ist, um den anstehenden Gesetzgebungsprozess doch noch zugunsten der Apothekerschaft zu beeinflussen. Statt des eingeschlagenen Konfrontationskurses gelte es, mit den Ideen des Ministers zu arbeiten. Positiv sei zum Beispiel, dass er die Apotheken stärker als bisher in die Prävention von Krankheiten einbinden möchte. Der Berufsstand sei jetzt gefragt, sich für neue Konzepte zu öffnen. „Die Apotheker müssen ihre Komfortzone verlassen und sich neu erfinden, meint Douglas. „Dann glaube ich sehr stark an die Zukunft der deutschen Apotheken.“

Dazu gehört es in Nobres Augen auch, endlich die pharmazeutischen Dienstleistungen konsequent anzupacken. In diesem Punkt seien die Apotheker zu ängstlich. „Da lassen wir viel Geld liegen“, sagte er mit Blick auf den inzwischen mit rund 300 Millionen Euro üppig gefüllten Honorartopf. Gleichzeitig räumte er ein, dass die Prozesse derzeit „hochbürokratisch“ seien. Dabei schlummere in diesem Bereich viel Potenzial. „Die Kunden nehmen es an“, berichtete Nobre. „Aber wir dokumentieren uns tot.“

Rechtsanwalt Douglas unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die meisten Vorgaben zu den pharmazeutischen Dienstleistungen keine Gesetze seien, sondern Empfehlungen. „Betrachten Sie es als Angebot ihrer Standesvertretung, das Sie auch ablehnen können.“ Er beobachte eine ausgeprägte Obrigkeitshörigkeit bei den Apothekern. „Dabei kann man in solchen Fällen auch einfach mal den Rücken gerade machen und die Prozesse anders angehen, solange man die wesentlichen Regeln beachtet.“

Das Feld nicht kampflos Dritten überlassen

Doch die Diskutanten gingen noch weiter: Mit den technischen Möglichkeiten einer (teil-)automatisierten Abgabe von Arzneimitteln werde der politische Druck aus Berlin wachsen, solche Lösungen alleine schon aus Kostengründen auch zum Einsatz zu bringen, ist Ortner überzeugt. Deshalb gelte es, solche innovativen Konzepte selbst zu besetzen und in die Apotheken zu integrieren, anstatt sich rückwärtsgewandt zu verteidigen und alles Neue „tot zu klagen“. Sonst drohe die Gefahr, dass andere die Lücke füllen – dm-Chef Christoph Werner scharrt ja ohnehin bereits mit den Hufen.

Douglas bewertete das ganz ähnlich: „Erst lehnt man alles Neue ab, und dann macht es plötzlich ein anderer und man schaut hinterher.“ Er hält eine stärkere Automatisierung sogar für nötig, „weil uns schlicht das Personal fehlt“. Und auch Nobre störte sich an der typischen Kontrahaltung der Apotheken im Markt: „Wir müssten eigentlich sagen: Liebe Kollegen, reißt das Konzept von dm-Chef Werner an euch, anstatt es kampflos den anderen zu überlassen.“ Zumal wir gegenüber der potenziellen Konkurrenz einen unschlagbaren Vorteil haben, wie Douglas betonte: „Mit den 17.500 Apotheken sind wir flächendeckend präsent.“

Auch in Sachen Telepharmazie sehen Nobre, Douglas und Ortner großes Potenzial – allerdings nicht als alleinige Form der Beratung. „Der persönliche Kontakt wird immer gewünscht sein“, glaubt Douglas. Ortner pflichtete ihm bei: „Die Kunden favorisieren hier eine hybride Form.“ Um das möglich zu machen, müssten die Apotheker jedoch einige ihrer bisher unverrückbaren Positionen aufweichen. „Von den Ärzten haben sie das ja auch verlangt, als es ums Impfen ging“, erinnerte Douglas. „Jetzt ist es an den Apothekern, auch ihre eigenen roten Linien zu verschieben.“

Fabio Nobre: „Was die ABDA macht, ist schlichtweg peinlich. Es ist nicht alles schlecht, was von Lauterbach kommt. Mit ihrer Abwehrhaltung hat die Standesvertretung aber alle Chancen vertan, doch noch mit dem Minister in den Dialog zu kommen.“

 

Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ online, Hauptstadtredaktion Berlin, E-Mail: c.gruenberg@dav-medien.de

Hinweis

Der Artikel basiert auf der Podiumsdiskussion auf dem INTERPHARM-Satelliten „Apotheke & Wirtschaft“ am 1. März 2024.

Die gesamte Veranstaltung ist als Video on demand noch bis 30. Juni 2024 im Internet (kostenpflichtig) abrufbar unter

interpharm.de/video-archiv

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(06):8-8