Der Ertragswert als Schlüsselgröße für die Apothekenbewertung

Die entscheidende Größe ist der bereinigte, zukünftige Jahresüberschuss


Oliver Vorberg

Soll ein Betrieb veräußert werden, liegen die Preisvorstellungen von Käufer und Verkäufer oft weit auseinander. Apotheken sind da keine Ausnahme. In dem zweiteiligen Bericht geben wir Ihnen einen Leitfaden an die Hand, wie sich ein belastbarer Unternehmenswert errechnen lässt, der beiden Seiten gerecht wird. Im ersten Teil steht das Ertragswertverfahren als Goldstandard für die Bewertung im Fokus. Im zweiten Teil werden alle weiteren Faktoren beleuchtet, die den Wert einer Apotheke jenseits der Ertragskraft beeinflussen. Abgerundet wird das Ganze von einer modellhaften Beispielrechnung mit realen Zahlenwerten aus der Praxis.

Bei der Bewertung eines Apothekenbetriebs kommt es vor allem auf den bereinigten, zukünftigen Jahresüberschuss an. (© AdobeStock/FAMILY STOCK)

Von ideellen und realen Werten

Beginnen wir mit einer Anekdote, welche die Frage nach dem „richtigen“ Wert einer Sache plakativ auf den Punkt bringt. Im Alter von 13 Jahren schenkte die Großmutter des Autors ihm eine Uhr, die dem verstorbenen Großvater gehört hatte. Sie sagte, dieser habe sich gewünscht, dass er die Uhr mit Erreichen der Volljährigkeit verkaufen solle, um dadurch eine kleine Finanzspritze zu bekommen. Die Uhr hatte den Arm des Opas nur zu besonderen Anlässen geschmückt und in Verbindung mit den Worten der Oma ging der Autor davon aus, sie sei von erheblichem Wert. 

Sorgfältig schloss er die Uhr in einer Geldkassette ein, zog sie regelmäßig auf, trug sie selbst aber nie am Handgelenk. Kurz vor seinem 18. Geburtstag – der Autor steckte mitten in der Vorbereitung auf den Führerschein und konnte somit einen Geldsegen gut vertragen – brachte er die Uhr zu einem Uhrmacher, dessen Schaufenster verriet, dass er auch Ware ankaufte. Nach ausgiebiger Begutachtung bot dieser ihm 80 D-Mark. Er war vor den Kopf gestoßen, handelte es sich doch um ein Erbstück, dessen Wert er deutlich höher vermutet hatte. In dem Glauben, einem Betrüger aufgesessen zu sein, fuhr der Autor mit dem Bus in den nächstgrößeren Ort und versuchte dort sein Glück. Das Ergebnis blieb dasselbe. Niemand bot ihm mehr als 80 D-Mark, einige Händler waren gar nicht interessiert. Der vermeintliche Schatz war zwar für den Großvater von großem Wert gewesen, doch dieser war ideeller Natur und schlecht in bare Münze umzutauschen. Schlussendlich behielt der Autor die Uhr und war im Nachhinein froh um das Erinnerungsstück. Damals aber dominierte die Enttäuschung.

Wer sich täuscht, wird zwangsläufig „ent-täuscht“ …

Auch wenn der Vergleich hinkt, so geht es vielen Inhaberinnen und Inhabern doch recht ähnlich, wenn der Verkauf ihrer Apotheke ansteht. Sie hegen und pflegen ihren „Schatz“ , oft in der sicheren Annahme, dieser habe über die Jahre erheblich an Wert gewonnen, besitze mindestens aber noch den Wert, den sie bei der Übernahme selbst gezahlt hatten. Die Realität sieht leider oft anders aus.

Auf der anderen Seite fehlt potentiellen Käufern häufig genauso ein objektiver Anhaltspunkt für den Wert eines Apothekenbetriebs, oder sie ziehen veraltete Methoden heran, um diesen zu ermitteln. Nicht selten werden Berechnungen angestellt, die den Umsatz als entscheidende Größe für die Wertermittlung zugrunde legen. Häufig werden pauschal 20 % der Umsatzerlöse als Bewertungsgrundlage angesetzt. Dabei werden die Wareneinsatzquote und Kostenstruktur völlig außer Acht gelassen, obwohl Apotheken diesbezüglich alles andere als homogen sind. Tabelle 1 verdeutlicht das anschaulich. Ausgehend vom gleichen Umsatz spiegelt Apotheke A von der Kostenstruktur eine typische Kleinstadt-Apotheke wider, während Apotheke B in einer Frequenzlage angesiedelt ist, großzügige Öffnungszeiten (und somit Personalkosten) hat und sehr preisaktiv ist. Trotz identischen Inputs (Umsatz), könnte der Output (Betriebsergebnis) unterschiedlicher nicht sein. Mitnichten wären Kaufinteressenten bereit, für diese beiden Apotheken den gleichen Kaufpreis zu zahlen!

 

Für die Wertermittlung ist nicht der betriebliche Jahresüberschuss, sondern der um die Ertragsteuern sowie den kalkulatorischen Unternehmerlohn geminderte Jahresüberschuss primär relevant. Außerdem sollte man sich als Inhaber nicht in die eigene Tasche lügen: Wertverzerrende Sondereffekte wie die anstehende Miet- oder Tariferhöhung müssen ebenso berücksichtigt werden wie Risikofaktoren, etwa wann ein Hauptverordner absehbar seine Praxis schließen wird.


Gutachter ist nicht gleich Gutachter

Als Goldstandard zur Bestimmung des Unternehmenswertes einer Apotheke gilt heute das Ertragswertverfahren, welches branchenspezifischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gleichermaßen Rechnung trägt. Dabei ist es unerheblich, ob die Apotheke als Einzelbetrieb oder im Filialverbund betrieben werden soll. Wie der Name schon sagt, ist bei diesem Verfahren der Ertrag – genauer gesagt, der nachhaltige und zukünftige Ertrag – die Grundlage zur Bestimmung des Unternehmenswerts.

Unabhängig von der Bewertungsmethode hängt die Vorgehensweise bei der Apothekenbewertung grundsätzlich davon ab, in welcher Rolle der sachverständige Gutachter tätig wird. Dabei gibt es drei Möglichkeiten:

  • den neutralen Gutachter zwischen mehreren Parteien,
  • den parteiischen Berater eines Mandanten/Kunden sowie
  • den Schiedsgutachter zur Schlichtung ungleicher Wertvorstellungen.

 

In der Praxis werden überwiegend sogenannte neutrale bzw. objektivierte Gutachten erstellt, die als Grundlage für Preisverhandlungen zwischen Käufer- und Verkäuferseite dienen sollen. Das Ziel dieser Bewertung besteht also darin, einen Apothekenwert zu ermitteln, der unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten den tatsächlich am Markt erzielbaren und gerechtfertigten Kaufpreis bestmöglich abbildet. Für Existenzgründer ist diese Information insofern besonders wichtig, als der Kaufpreis – bzw. Zins und Tilgung des Kaufpreisdarlehens – gerade in den frühen Jahren der Selbstständigkeit die Liquidität maßgeblich beeinflussen und somit großen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg haben.

Voranalyse und Prognose

Dem zukunftsorientierten Ertragswertverfahren liegt die Idee zugrunde, dass sich der Wert einer Apotheke vor allem aus ihrer zukünftigen Ertragskraft ableitet. Der Unternehmenswert richtet sich demnach nicht nach den Ergebnissen der zurückliegenden Geschäftsjahre, sondern vielmehr nach den zu erwartenden zukünftigen finanziellen Überschüssen, die dem Inhaber durch das Fortführen der Apotheke voraussichtlich zufließen werden. Um noch einmal zur Uhr des Großvaters zurückzukommen, würde deren Wert erheblich sinken, falls plötzlich das Uhrwerk defekt wäre. Übertragen auf die Apotheke sinkt deren Wert, falls die Praxis eines Hauptverordners geschlossen würde, oder er steigt, wenn ein MVZ in der Nachbarschaft entstünde. Die Bewertung erfolgt insofern unter der Annahme, dass das Unternehmen auf Basis des aktuellen Ist-Zustands fortgeführt wird, und unabhängig von den individuellen Wertvorstellungen der beiden Parteien. Angedachte, aber noch nicht konkretisierte Maßnahmen, wie z. B. ein geplanter Umbau, finden keine Berücksichtigung.

Ausgangspunkt jeder Bewertung ist die Voranalyse des Bewertungsobjektes. Die dafür relevanten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen werden aus Jahresabschlüssen bzw. betriebswirtschaftlichen Auswertungen der vergangenen drei Geschäftsjahre, aus Lohnjournalen, Rezept- und Verschreiberstatistiken, Auswertungen der Warenwirtschaft sowie dem Mietvertrag gewonnen. Außerordentliche oder einmalige Faktoren sind zu neutralisieren. In jüngster Vergangenheit waren z. B. die Sonderumsätze während der Covid 19-Pandemie ein solch außerordentlicher Effekt, der nicht in die Zukunftsprognose einfließen würde.

Aufbauend auf der Voranalyse erfolgt eine detaillierte Prognose der zukünftig realisierbaren Erträge und Kosten der Apotheke. Es empfiehlt sich, den Planungshorizont in zwei Phasen zu unterteilen:

  1. die Detailplanungsphase und
  2. die Phase der „ewigen Rente“.


Wertverzerrende Sondereffekte neutralisieren

Die Detailplanungsphase, die zwischen drei und zehn Jahre umfassen kann, berücksichtigt absehbare wirtschaftliche Veränderungen ebenso wie die allgemeinen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. Steht zum Bewertungsstichtag beispielsweise bereits eine Mieterhöhung fest? Oder ist absehbar, dass im übernächsten Kalenderjahr eine Tariflohnerhöhung um 3 % kommt? Oder muss zeitnah eine neue Warenwirtschaft angeschafft werden, weil die aktuelle Software den Anforderungen nicht mehr genügt? All diese Parameter müssen ggf. im jeweiligen Planjahr abgebildet werden.

Bei einem neutralen Gutachten wird aus Sicht eines inländischen, unbeschränkt steuerpflichtigen Modell-Apothekers bewertet. Weichen die vorliegenden Geschäftszahlen zu sehr von der Norm ab, weil in der Vergangenheit z. B. ein sehr teures, überwiegend privat genutztes Fahrzeug in den KFZ-Kosten beinhaltet war, kann ein realistischer Durchschnittswert veranschlagt werden. Auch das bisherige persönliche Engagement des Inhabers fließt in die Zukunftsprognose ein. War dieser beispielsweise nur noch an einem Tag pro Woche in der Apotheke zugegen, kann von einem Nachfolger erwartet werden, dass er vollumfänglich mitarbeitet, so dass zukünftig geringere Personalkosten entstünden. Auf diese Weise erreicht man eine Neutralisierung wertverzerrender Sondereffekte.

Vergleichbarkeit mit Kapitalgesellschaften herstellen

Da der Bewertung die Annahme zugrunde liegt, dass die Apotheke auch in ferner Zukunft existiert und Erträge erwirtschaftet, werden alle Gewinne, die in der Zeit nach den Planungsjahren generiert werden, durch einen Endwert – die sogenannte „ewige Rente“ – zusammengefasst. Diese zweite Planungsphase ist in der Regel durch eine langfristige Fortschreibung der Werte des letzten Detailplanungsjahres, unter Berücksichtigung notwendiger Anpassungen hinsichtlich Abschreibungsvolumen und Finanzierungsaufwendungen, gekennzeichnet.

Praxistipp: So berechnen Sie den kalkulatorischen Unternehmerlohn

Der kalkulatorische Unternehmerlohn ist keine fixe Größe, sondern muss einerseits regionale Gegebenheiten wie z. B. Lebenshaltungskosten, zum anderen individuelle Eigenschaften der Apotheke berücksichtigen. Er fällt in einer Landapotheke mit zwei Mitarbeitern typischerweise deutlich geringer aus als in der Innenstadtapotheke einer Großstadt mit 35 Angestellten. Als Orientierungshilfe dient das jeweilige tarifliche Höchstgehalt für approbierte Mitarbeiter, zuzüglich der Arbeitgeberanteile und Aufwendungen für die Gesundheits- und Alterssicherung sowie Leistungszuschläge. Die Spanne bewegt sich i. d. R. zwischen 80.000 € und 120.000 . Da zu diesem Zeitpunkt der Berechnung bereits die Ebene nach persönlicher Einkommensteuer erreicht ist, muss der Unternehmerlohn netto abgezogen werden. Um das vergleichbare Nettogehalt eines Filialleiters zu ermitteln, wird der Bruttowert pauschal mit 35 % Einkommensteuer versteuert. Somit errechnet sich ein Nettowert, der für das erste Planungsjahr angesetzt wird. Wie die gesamten Personalkosten, die inflationsangepasst wachsen, wird auch der kalkulatorische Unternehmerlohn mit der jährlichen Teuerungsrate angepasst, um den Realwert konstant zu halten.

Abschließend werden bei den auf diese Weise ermittelten Jahresüberschüssen noch die typisierten Ertragsteuern, die Gewerbesteuer sowie der kalkulatorische Unternehmerlohn zum Abzug gebracht. Letzterer sorgt für eine Vergleichbarkeit von Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit Kapitalgesellschaften. Bei diesen wird das Tätigkeitsentgelt eines Geschäftsführers als Betriebsausgabe gewinnmindernd in der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst. Da die Geschäftsführungstätigkeit eines Apothekeninhabers nicht gewinnmindernd erfasst wird, sorgt der Ansatz des kalkulatorischen Unternehmerlohns für einen adäquaten Ausgleich. Die daraus schlussendlich resultierenden korrigierten Jahresüberschüsse stellen die tatsächlich relevanten Einnahmen dar, die eine Apotheke mit Blick auf die Zukunft nachhaltig erwirtschaften kann.

Für die Wertermittlung ist nicht der betriebliche Jahresüberschuss, sondern der um die Ertragsteuern sowie den kalkulatorischen Unternehmerlohn geminderte, korrigierte Jahresüberschuss primär relevant. Daher ist der Jahresüberschuss der Apotheke zunächst um die persönliche Einkommensteuer zu mindern. Der für die Bewertung zugrunde gelegte Einkommensteuertarif wird im objektivierten Modell für alle Planperioden in entsprechender Höhe pauschaliert. Die zuvor abgezogene Gewerbesteuer wird dem Apothekeninhaber um das maximal Vierfache des für die Planperiode errechneten Gewerbesteuermessbetrags wieder bei der persönlichen Einkommensteuerschuld angerechnet. 

Fortsetzung folgt – Modellrechnung inklusive

In der nächsten AWA-Ausgabe 20/2024 folgt dann der zweite Teil. In diesem werden alle weiteren Faktoren jenseits der Ertragskraft beleuchtet, die maßgeblichen Einfluss auf den Wert eines Apothekenbetriebs haben. Zudem wird Teil 2 eine detaillierte Modellrechnung für die Wertermittlung einer Apotheke beinhalten.

Oliver Vorberg, Dipl. Betriebswirt (FH), Unternehmensberater bei Dr. Schmidt und Partner, Geschäftsführer der SuPport GmbH, 56068 Koblenz, E-Mail: oliver.vorberg@support-gmbh.com

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(19):9-9