Dr. Bettina Mecking
Rechtlich stehen die Tore nach Holland derzeit wagenweit offen - und die Hoffnungen der Apotheken ruhen darauf, dass die Gerichte diese wieder Schritt für Schritt schließen. (© AdobeStock/Rebecca Jestico)
Auf der Expopharm hatte man – angesichts der vielen „Blüten-Aussteller“ – bisweilen den Eindruck, als spiele das Thema Medizinalcannabis im Apothekenalltag eine herausragende Rolle. Tatsächlich sollte die mit dem Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes am 1. April 2024 einhergehende Teil-Legalisierung den Schwarzmarkt verdrängen.
Doch inzwischen holen sich Menschen ihren „Stoff“ nicht mehr beim Dealer im Park, sondern in der Apotheke – zulasten von Patienten mit starken Schmerzen und Krankheiten wie ADHS, Migräne oder Epilepsie, die dringend auf wirksame Arzneimittel angewiesen sind. Die Folge dieser Fehlentwicklung sind Lieferschwierigkeiten, die Leidtragenden sind die Medizinalcannabis-Patienten.
Seit April 2024 sind die Selbstzahler und Privatpatienten auffällig jung und männlich. Vorher waren es zu einem guten Teil (54 %) Frauen mittleren Alters. Ein Zufall ...? Eine vom Ärzteblatt veröffentlichte Studie beweist den offensichtlichen Missbrauch (https://tinyurl.com/ms3behk6). Auf den Rezepten werden besonders große Mengen mit hohem Anteil des Wirkstoffs THC verordnet – oft ohne Verdampfer. Apotheken gehen mit den dubiosen Verschreibungen dieser „Fragebogen-Telemedizin“ unterschiedlich um. Wenn sie beliefern und dabei wissen können, dass Medizinalcannabis zu Genusszwecken ausgehändigt wird, laufen sie Gefahr, sich an rechtswidrigen Geschäften zu beteiligen, wovor man nur warnen kann. Die Mehrzahl der Apotheken reagiert zurückhaltend, manche wollen das Geschäft aber auch mitnehmen und berufen sich auf eine (noch) rechtliche Grauzone, in der sie agieren.
Unverschämte Rosinenpickerei
Einzelne Apotheken haben sich ganz dem Cannabis-Boom verschrieben und bewerben auf speziellen Internetseiten ausschließlich den Versand von Cannabisprodukten. Aus dem Impressum lässt sich ersehen, welche Apotheke mit Versandhandelserlaubnis gem. § 11 a ApoG dahinter steht.
Allerdings gelangt der Nutzer dabei vielfach weder über die Website mit den Cannabis-Produkten noch mittels Suchmaschine auf eine allgemeine Bestellseite, über die ein Bezug sonstiger Arzneimittel per Versand möglich wäre. Aufgrund dieser Gestaltung wird das Online-Angebot faktisch auf ein bestimmtes Sortiment reduziert, was im Widerspruch zu § 11 a ApoG steht. Der Inhaber einer Versandhandelserlaubnis kann sich nicht darauf beschränken, nur bestimmte Arzneimittel, die für ihn lukrativ sind, zu versenden. Vielmehr muss eine Apotheke alle bestellbaren Arzneimittel, die in Deutschland in den Verkehr gebracht werden dürfen, liefern – Stichwort Kontrahierungszwang.
Vorsicht geboten ist auch mit der Bewerbung des Einsatzes von Cannabis zur Behandlung bestimmter Indikationen – das verstößt gegen § 10 HWG (Heilmittelwerbegesetz). Die Regelung gilt unabhängig davon, ob für Fertigarzneimittel oder für Rezepturen/Defekturen geworben wird.
Türschließer Datenschutz?
Wem bewusst ist, wie weit die Türen zum inländischen Arzneimittelmarkt für die ausländischen Versender offenstehen, der dürfte sich für den Verhandlungstermin am 23. Januar 2025 beim BGH (Az.: I ZR 222/19 und I ZR 223/19) interessieren. Konkret geht es in dem Verfahren darum, ob ein Apotheker, der auf der Internet-Verkaufsplattform Amazon Arzneimittel vertreibt, gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verstößt, und ob ein solcher Verstoß von einem anderen Apotheker mit einer wettbewerbsrechtlichen Klage zivilgerichtlich verfolgt werden kann.
Denn: Regelmäßig wird für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten im Zuge des Online-Bestellprozesses keine ausreichende Einwilligung durch die Plattform selbst eingeholt. Die Sache hat schon die Runde über den EuGH gedreht, der einen strengeren Umgang mit Gesundheitsdaten angemahnt hat. Gut möglich, dass dieser lasche Umgang mit dem Datenschutzrecht den Online-Verschreibungsdienstleistern noch auf die Füße fällt.
Impf- und Testangebot soll zeitnah ausgebaut werden
Offensichtlich plant die Ampel-Koalition, einige Aspekte der umstrittenen Apotheken-Reform über Änderungsanträge zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD-Stärkungs-Gesetz) zeitnah umzusetzen. Das betrifft insbesondere das Impf- und Testangebot in Apotheken.
Demnach sollen in Zukunft alle Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen bei Erwachsenen – also gegen Diphterie, Hepatitis B, Kinderlähmung, Keuchhusten und Tetanus – in Apotheken durchgeführt werden dürfen.
Zudem sollen Apotheker sowie das pharmazeutische Personal künftig Schnelltests auf Adenoviren, Influenza, das Norovirus, Respiratorische Synzytial-Viren und das Rotavirus durchführen können. Der entsprechende Arztvorbehalt soll diesbezüglich gelockert werden. Auch eine Bewerbung dieser Testmöglichkeiten soll erlaubt werden.
Darüber hinaus soll ein Verfahren etabliert werden, mit dem sich GKV-Versicherte ab dem 1. April 2025 für die Erstellung einer elektronischen Patientenakte (ePA) authentifizieren können. Vor dem Hintergrund dieser immer neuen Aufgaben für Apotheken stellt sich umso dringender die Frage, warum zeitgleich nicht auch das Honorar angemessen erhöht wird ...
Favorisierte Apotheken – neues Einfallstor für Versender?
Endlich eine Lösung in Sicht ist für eine viel diskutierte Rechtsunsicherheit in der Heimversorgung: Normalerweise müsste ein Pflegeheim die Rezepte zunächst von den Ärzten entgegennehmen und dann an die Apotheke weiterleiten. Mit der neuen Regelung soll dieser Zwischenschritt entfallen. In § 12 a ApoG soll in einem neuen Absatz 4 die Befugnis der Zuleitung elektronischer Verschreibungen durch den Arzt an die versorgende Apotheke auf Basis eines Versorgungsvertrags nach § 12 a ApoG ausdrücklich gestattet werden.
Weniger erfreulich ist dagegen der geplante neue § 361 c SGB V, in dem die Möglichkeit verankert werden soll, dass Pflegebedürftige oder deren gesetzliche Vertreter bis zu fünf sog. „Favorisierte Apotheken“ benennen können. Diese sollen befugt sein, vorliegende elektronische Rezepte abzurufen. Die pflegebedürftigen Patienten sollen die ausgewählten Apotheken telefonisch, per E-Mail oder Messenger über vorliegende E-Rezepte informieren und um deren Einlösung ersuchen können.
Die Gematik soll eine technische Lösung schaffen, um die automatisierte Suche noch nicht abgerufener E-Rezepte ohne Aufforderung durch den Versicherten zu verhindern. Grundsätzlich soll der unrechtmäßige Abruf elektronischer Rezepte durch einen neuen Ordnungswidrigkeitstatbestand in § 397 Absatz 1 Nummer 6 SGB V sanktioniert werden.
Die Regelungen bieten ein Einfallstor für Apotheken ohne Versorgungsvertrag, die als favorisierte Apotheke benannt werden und auf dieser Basis große Teile der Versorgung übernehmen könnten. Ein Schreckensszenario sind in diesem Zusammenhang auch Pflegedienste, die – angelockt durch deren mehr als fragwürdige Boni – kollektiv zu Internetversendern „überlaufen“ könnten.
Wenn die geplanten Änderungen so umgesetzt werden, lautet die Gretchenfrage für heimversorgende Apotheken: Wie stelle ich mich so attraktiv auf, dass der Pflegebedürftige meine Apotheke als favorisierte Apotheke wählt?
Zeitlich kann es recht schnell gehen: Am 13. November ist nochmal eine Sitzung im Gesundheitsausschuss vorgesehen. Am 22. Dezember könnten dann die Lesungen im Parlament stattfinden und das Gesetzesvorhaben umgesetzt werden – sofern die Ampel nicht vorher an dem Haushaltsplan für 2025 zerbricht.
Die Niederlande endlich von der Länderliste streichen
Wenn man das Netzwerk der bekannten „Apotheek Bad Nieuweschanz BV“ etwas genauer unter die Lupe nimmt, erkennt man schnell, wie wichtig es ist, der Rosinenpickerei im Arzneimittelversand endlich einen (auch rechtlich) festen Riegel vorzuschieben. Klickt man auf die dort gelisteten Internetadressen, landet man zunächst auf einer Seite des niederländischen Ministeriums für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport (CIBG). Von dort aus gelangt man auf verschiedene Vermittlerseiten, die sich alle dieses einen Logistikers bedienen, an den die online generierten „Verschreibungen“ weitergeleitet werden. Das schreit förmlich danach, dieses „Cannabis-Drehkreuz“ auszuhebeln, indem man die Niederlande aus der sog. Länderliste entfernt. Diese legt fest, aus welchen EU-Staaten Humanarzneimittel nach Deutschland versendet werden dürfen.
Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(21):14-14