Emanuel Winklhofer

Beschwerden und Reklamationen kosten Nerven und Zeit -
es lohnt sich, dafür Kompetenzen zu entwickeln!
(Bild: AdobeStock_dp@pic)
Das Beschwerdemanagement ist üblicherweise im Marketing angesiedelt und gehört dort zum Kommunikationsmix, genauer zum Customer Relationship Management (CRM) – also den Kundenbindungssystemen.
Definition: Das Reklamationsmanagement umfasst alle Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, um die Unzufriedenheit eines Kunden zu erfassen und die Zufriedenheit wieder herzustellen. Ziel ist es, die gefährdeten Kundenbeziehungen zu stabilisieren. Die Äußerung einer Beschwerde steht im Zentrum des Beschwerdemanagements (nach Meffert et al.).
Aus Untersuchungen wissen wir, dass nur 4 % der unzufriedenen Kunden reklamieren. Freuen Sie sich also in Zukunft über jeden Kunden, der sich beschwert, auch wenn er schimpft und schreit - er spricht wenigstens noch mit Ihnen und will zum Ausdruck bringen: „Tun Sie etwas, damit ich weiterhin ein zufriedener Kunde bei Ihnen bleiben kann“. Der leichtere Weg besteht nämlich darin, sich von Ihrer Apotheke abzuwenden!
Eine weitere Statistik besagt, dass ein zufriedener Kunde diese Tatsache an durchschnittlich drei Menschen weitererzählt, ein unzufriedener an zwölf und ein Kunde, der nach einer Reklamation schnell und kompetent zufriedengestellt wurde, sogar an 20 weitere Personen! Kunden sprechen also immer über uns, positiv oder negativ!
Praxistipp: Wie sieht ein professionelles Beschwerdemanagement aus?
- Identifizieren Sie sich mit der Beschwerde.
- Betrachten Sie eine Reklamation nicht als Angriff gegen Sie als Person.
- Anhören, ausreden lassen, freundlich sein, Ruhe bewahren!
- Eine Reklamation sachlich aufnehmen, nicht herunterspielen.
- Klären: Handelt es sich um eine technische, kaufmännische oder qualitative Beschwerde? Richtet sich diese gegen die Apotheke, einen Artikel oder die Mitarbeiter?
- Wichtig: Es wird von Ihnen eine Sofortmaßnahme erwartet!
- Reklamationen begleiten und den Kunden nicht im Stich lassen.
- Wiedergutmachung über das vom Kunden erwartete Maß hinaus!
- Vergewissern Sie sich nach einer erfolgreich abgeschlossenen Beschwerde der Kundenzufriedenheit.
Das kleine Einmaleins der Kunden(un)zufriedenheit
Aus diesen beiden Statistiken lässt sich folgende „Negativpyramide“ ableiten: Wenn nur 4 % der unzufriedenen Kunden reklamieren, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es pro Reklamation noch weitere 25 unzufriedene Kunden gibt, die ihrerseits dann (je zwölf) etwa 300 Personen von diesem negativen Vorfall informieren. Letztlich ist es nahezu gleichgültig, ob es am Ende 300, 200, oder „nur“ 150 sind. Jeder einzelne ist einer zu viel. Denn wir können uns unzufriedene Kunden in der Apotheke gar nicht leisten!
Die Automobiltreuhand in Stuttgart hat vor vielen Jahren folgende Berechnung angestellt: Ein Deutscher fährt im Schnitt 54 Jahre lang Auto und kauft sich durchschnittlich vier Neuwagen und sieben Gebrauchtwagen im Gesamtwert von 281.000 €. Zufriedene Kunden sind treu. Ansonsten wandern sie mit ihrem Etat ab. Was dies bedeutet, wenn jemand nach fünf oder zehn Jahren zu einem anderen Autohaus – oder sogar zu einer anderen Marke – wechselt, lässt sich leicht errechnen.
Übertragen wir die Zahlen auf die Apotheke, so ergibt sich folgendes Bild: Die Gesundheitsausgaben in der Apotheke belaufen sich laut einer OECD-Statistik auf durchschnittlich 550 € je Bundesbürger, aufgeteilt in den (weitaus größeren) Rx-Anteil und einen (kleinen) OTC-Anteil. Nun nehmen wir an, dass ein Kunde drei Personen in der Familie versorgt, dann bringt er im Durchschnitt ca. 1.650 € pro Jahr in die Apotheke. Stellen Sie sich vor, Sie verlieren in einem Jahr fünf Kunden wegen einer Reklamation, dann addiert sich der finanzielle Verlust in zehn Jahren auf sage und schreibe 82.500 €!
Als Reklamation bezeichnet man heute alles, was nur im Geringsten eine Unzufriedenheit des Kunden erkennen lässt. Somit erstreckt sich dieses Thema viel weiter, als man zunächst denkt, denn die meisten Apotheken haben ja relativ wenig „direkte Reklamationen“.
„Ich dachte der Fahrer kommt schon um 16 Uhr“, „Die Spraydose war schwer zu bedienen“ etc. Gerade in diesen Situationen können wir zufriedene Kunden generieren, die für uns sogar noch Werbung machen. Jede Reklamation ist hilfreich und gibt uns die Chance, besser zu werden: in der Organisation, in der Kommunikation und im Marketing.
Die Entscheidung für oder gegen einen Geschäftspartner fällt heute viel schneller als noch vor 20 oder 30 Jahren. Wir leben inzwischen in einer Zeit, in der wir uns unsere Wünsche quasi auf Knopfdruck erfüllen können. Kunden sind nicht mehr bereit, sich unhöflich behandeln oder mit fadenscheinigen Argumenten abwimmeln zu lassen.
Drei besondere Fähigkeiten sind für eine zeitgemäße Reklamationsbearbeitung erforderlich:
- die organisatorische Kompetenz (Leitlinien),
- die emotionale Kompetenz und
- die kommunikative Kompetenz.
Die organisatorische Kompetenz
Fassen Sie in speziellen Reklamations-Leitlinien (wie im QM vorgesehen) die wichtigsten Punkte zusammen, die Sie Ihren Mitarbeiterinnen immer wieder ans Herz legen:
- Jede Beschwerde ist eine Chance und sollte von der Person, an die diese vom Kunden herangetragen wird, „erstversorgt“ werden. Der Kunde reklamiert beim Unternehmen und nicht persönlich bei einer speziellen Mitarbeiterin. Aussagen, wie „Ich gebe das an meine Kollegen weiter, die hat das falsch gemacht – ich bin hierfür nicht zuständig“ sind dem Kunden gegenüber vollkommen unangebracht.
- Jede Reklamation sollte schriftlich erfasst und dann im gesamten Team besprochen werden. Dieses Vorgehen erspart oft Folge-Reklamationen.
- Großzügigkeit ist angesagt. Berechnen Sie über den Zeitraum eines Jahres den Deckungsbeitrag, den Sie bei einem großzügigen Umgang mit Reklamationen verlieren. Über welchen Betrag sprechen wir hier, und an welcher Stelle hinter dem Komma messen Sie diesen Betrag in Ihrem Betriebsergebnis? Auch die Pharmaindustrie ist uns Apotheken gegenüber sehr großzügig und nimmt vieles mit voller Kostenerstattung zurück.
- Schaffen Sie einen finanziellen Rahmen, innerhalb dessen Ihre Mitarbeiter frei agieren können. Sie könnten zum Beispiel festlegen, dass Ihr Team Reklamationen bis 30 € Einkaufswert ohne Rückfragen großzügig ausgleichen darf.
- Jede Mitarbeiterin muss Bescheid wissen, wo Beschwerden schriftlich erfasst werden und wie im Kassensystem mit Rückbuchungen umzugehen ist.
- Die Reaktion oder Lösung sollte so schnell wie möglich erfolgen und die Erwartung des Kunden idealerweise übererfüllen!
Menschen verstehen, dass Fehler passieren und sie verzeihen, wenn Fehler passieren. Menschen haben aber kein Verständnis und werden es nicht verzeihen, wenn Fehler ignoriert und die Auswirkungen nicht rasch korrigiert werden!
Kunden sind heute aus dem Onlinehandel ein sehr großzügiges Umtausch- und Reklamationsmanagement gewohnt, und sind von Amazon & Co. insofern „verwöhnt“. Das soll nicht heißen, dass Sie in Ihrer Apotheke alle Arzneimittel wahllos zurücknehmen müssen – es geht vielmehr darum, den Kunden schnell und unkompliziert marktkonforme Lösungen anzubieten. Manchmal kommt von Mitarbeitern der Satz: „Arzneimittel dürfen wir nicht zurücknehmen“. Das ist schlicht falsch und auch nirgends so festgehalten. Natürlich dürfen wir Arzneimittel zurücknehmen und die Kosten erstatten, wir dürfen diese nur nicht erneut in den Verkehr bringen. Das ist ein gravierender Unterschied – auch in der Kommunikation dem Kunden gegenüber.
Dass Großzügigkeit freilich auch ihre Grenzen hat, soll folgendes Beispiel veranschaulichen: Ein Kunde entwendet ein Blutdruckmessgerät aus der Freiwahlzone. Am nächsten Tag bringt er es wieder in die Apotheke zurück mit den Worten, dass die Schwiegermutter das Gerät doch nicht brauche und er sein Geld deshalb zurückerstattet möchte, den Kassenzettel habe er verlegt. Am Vortag wurde in der Apotheke aber gar kein Gerät verkauft, und im Bestand fehlt eines! Hier gilt es, Klartext zu reden und eventuell sogar einen Verweis aus der Apotheke mit Hausverbot zu erteilen. Es gibt Situationen, bei denen wir uns ganz klar in Abgrenzung üben müssen, was vielen schwerfällt, wollen wir doch immer freundlich sein, um vom Gegenüber gemocht zu werden.
Neukunden werben ist ungleich teurer als Bestandskunden halten
Für Neukunden-Werbung geben Apotheken oft viele tausend Euro aus, doch wenn es bei einer Reklamation um 20 € geht, schlägt möglicherweise die im Studium gelernte pharmazeutische Kleinkariertheit zu. Dann fällt womöglich ein guter Kunde durchs Raster und wendet sich verärgert von Ihrer Apotheke ab. Grundsätzlich gilt die Faustregel, dass es siebenmal teurer ist, einen neuen Kunden zu werben als einen Bestandskunden zu halten!
- Es gibt vier Arten von Reklamationen:
- die begründete Sachreklamation,
- die unbegründete Sachreklamation,
- die begründete Reklamation über ein persönliches Fehlverhalten,
- die unbegründete Reklamation über ein persönliches Fehlverhalten.
Die Unterscheidung von begründeten und unbegründeten Reklamationen dient ausschließlich zu Ihrer eigenen Systematisierung. In den Augen eines Kunden ist seine Reklamation immer begründet! Besonders heikel sind die letzten zwei Bereiche, wenn es um Fehlverhalten einer Person geht. Die Bearbeitung solcher Fälle verlangt viel Fingerspitzengefühl und Routine im Umgang mit schwierigen Situationen.
Das Ziel einer jeden Reklamationsabwicklung sollte darin bestehen, dass beide Seiten zufrieden sind, der Kunde mit einem guten Gefühl und breitem Lächeln die Apotheke verlässt und gerne wiederkommt!
Die emotionale Kompetenz
Die Reklamation eines Kunden bedeutet nie einen persönlichen Angriff auf die Mitarbeiter. Der Kunde hätte sich in einer anderen Apotheke und bei einem anderen Kollegen genauso verhalten. Im Reklamationsgespräch gibt es nur zwei kommunikative Richtungen: Zustimmung oder Widerstand. Was wollen wir erreichen? Was passiert, wenn wir uns rechtfertigen und dem Kunden zeigen, dass sein Anliegen unbegründet ist? Richtig: Damit erzeugen wir Widerstand.
Kunden-Erziehungs-Programme funktionieren nie!
Oft liegt es auch an einem „Gerechtigkeitsprogramm“ bei den Mitarbeitern, das sich folgendermaßen äußert: „Ja, wenn das jeder machen würde“, „Ich kann ja beim Metzger auch nichts zurückbringen“ etc. Vorsicht, dass die eigenen Erziehungsprogramme nicht zum Maß im Berufsalltag werden! Wir dürfen den Kunden nicht durch die Brille unserer Erziehungsmuster bewerten. Er ist eben anders als wir selbst und deshalb bitte keine Kunden-Erziehungs-Programme. Die funktionieren nie!
Stellen Sie sich die Frage „Was will ich im Moment? Recht haben oder ein Problem lösen?“ Wenn Sie nur Recht haben wollen, dann packen Sie die Keule aus und kämpfen gegen den Kunden nach dem Motto „Dem habe ich es jetzt mal so richtig gegeben.“ Schlacht gewonnen – Kunden verloren ...
Wenn Sie aber eine Konfliktsituation lösen wollen, dann handeln Sie großzügig. Viele Mitarbeiter reagieren spontan mit Ärger und einer Abwehrhaltung, wenn Kunden reklamieren: „Muss der sich jetzt auch noch beschweren“, „Damit habe ich nichts zu tun“, „Das war ja nicht mein Fehler“ etc. Sie versuchen, die Beschwerde abzuweisen, oder zumindest die unangenehme Sache an einen „Sündenbock“ oder irgendjemand anderen („Hauptsache ich bin raus …“) weiterzugeben. Doch genau solches Verhalten kann Sie wertvolle Kunden kosten!
Es lohnt nicht, sich auch nur 2 Minuten über eine Reklamation zu ärgern. Die Arbeitsleistung sinkt bei Ärger in den kommenden Stunden rapide ab, Sie produzieren Stresshormone, die nur den eigenen Körper schädigen. Und: Jeder Ärger kostet gewaltig – an Lebensqualität: „Der Preis einer Sache ist diejenige Menge an Lebensqualität, die wir früher oder später im Austausch dafür hergeben müssen.“
Sehen Sie Reklamationen immer als Trainingsprogramm, um Ihre Fähigkeiten und persönlichen Kompetenzen zu steigern!
Die sieben großen Chancen bei Reklamationen
- Sie erkennen durch Reklamationen bisher verborgene Schwächen Ihres Produktes oder Betriebs. Das hilft Ihnen, dieses/diesen zu verbessern und zukünftige Beanstandungen zu vermeiden.
- Sie können durch eine Reklamation Ihre Dienstleistung und Organisation verbessern.
- Sie behalten Ihren Kunden. Viele wechseln nämlich sang- und klanglos die Apotheke, ohne zu reklamieren. Durch ein professionelles Beschwerdemanagement verbessern Sie den Kontakt zu Ihrem Kunden – er kann Sie von einer ihm bisher unbekannten Seite kennenlernen.
- Sie zeigen dem Kunden Ihre positive Einstellung zu Dienstleistung und Ihre Leistungsfähigkeit.
- Beim richtigen Umgang mit Beschwerden können wir Gelegenheitskunden zu Stammkunden machen.
- Schließlich veranlasst eine gute Reklamationsbehandlung manchen Kunden sogar dazu, für Sie Werbung zu machen, da Sie ihn im besten Sinne zufriedengestellt haben.
- Durch erfolgreich abgeschlossene Reklamationen generieren wir auch für uns persönlich eine höhere (Berufs-)Zufriedenheit.
Emanuel Winklhofer, Apotheker, Agentur für Kommunikation, Seminare und Coaching, 93197 Zeitlarn, E-Mail: coaching@winklho.de
Den zweiten Teil unserer Serie Reklamationsmanagement in der Apotheke:
"Der Kunde muss gar nichts!"
finden Sie in AWA 2/2025.

Reklamationen können unangenehm sein.
Sie bieten aber auch Chancen!
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(24):9-9