Aigerim Rachimow

Die Kündigung von Apothekenmitarbeitern kann schnell zur Stolperfalle werden!
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1. Weniger Schutz heißt nicht beliebig kündbar
Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt nur, wenn regelmäßig mehr als zehn Vollzeitmitarbeiter (§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG) beschäftigt werden. Teilzeitkräfte werden anteilig angerechnet. Viele Apotheken liegen darunter – dennoch besteht kein Freibrief zur Kündigung nach Belieben.
Denn auch ohne Anwendbarkeit des KSchG sind Kündigungen nicht willkürlich zulässig: Apothekeninhaber unterliegen dem Maßstab des § 242 BGB (Treu und Glauben). Eine sachlich nicht nachvollziehbare oder willkürlich ausgesprochene Kündigung kann gerichtlich aufgehoben werden. Zudem greifen weiterhin andere Schutzvorschriften wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Mutterschutzgesetz (MuSchG) oder das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) bei schwerbehinderten Menschen.
Auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, hat ein durch Art. 12 Grundgesetz gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren (BVerfGE 97, 169). Eine Kündigung, die dieser Anforderung nicht entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam (BAG, Urteil vom 21.02.2001 – 2 AZR 15/00).
2. Formvorschriften: kleine Fehler – große Wirkung
Auch wenn Kündigungen in der Praxis – sowohl durch Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer – häufig mündlich oder per WhatsApp ausgesprochen werden, sind diese nicht wirksam.
Eine Kündigung muss schriftlich erfolgen (§ 623 BGB). Kündigungen per E-Mail, SMS oder WhatsApp sind unwirksam – auch dann, wenn sie vom Empfänger gelesen wurden. Die Schriftformerfordernis ist strikt: Nur eine eigenhändig unterzeichnete Erklärung in Papierform erfüllt diese Anforderung.
Auch muss der Zugang gerichtsfest nachweisbar sein. Empfehlenswert ist die persönliche Übergabe gegen Empfangsbestätigung oder die Zustellung durch einen Boten, der den Einwurf in den Briefkasten dokumentiert.
3. Verhaltensbedingte Kündigung nur mit Vorwarnung
Vor einer verhaltensbedingten Kündigung ist in der Regel eine Abmahnung erforderlich, sofern das Fehlverhalten nicht gravierend ist. Die Abmahnung hat eine Rüge- und Warnfunktion: Sie soll dem Mitarbeiter verdeutlichen, dass bestimmtes Verhalten nicht hingenommen wird und im Wiederholungsfall zur Kündigung führt.
Beispiel aus der Praxis: Eine Pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) gibt ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel versehentlich ohne Rezept an eine nicht berechtigte Person heraus. Ein einmaliger Vorfall – ohne Abmahnung – rechtfertigt regelmäßig noch keine Kündigung. Anders bei Wiederholung trotz vorheriger Abmahnung oder grober Fahrlässigkeit.
Achtung: Bei schwerwiegendem Fehlverhalten (z. B. Rezeptfälschung, BtM-Diebstahl) ist u. U. auch ohne Abmahnung eine fristlose oder Verdachtskündigung möglich – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen.
4. Verdachtskündigung nur bei begründetem Misstrauen
Die Verdachtskündigung ist ein arbeitsrechtliches Sonderinstrument. Sie ist zulässig, wenn der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht, der das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört. Es genügt nicht, dass die Pflichtverletzung tatsächlich begangen wurde – es muss vielmehr ein auf objektive Umstände gestützter dringender Verdacht vorliegen.
Voraussetzung ist stets eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers (§ 102 BetrVG analog). Ein Verstoß hiergegen macht die Kündigung unwirksam.
Beispiel aus der Praxis: Bei einem Verdacht auf Diebstahl von Betäubungsmitteln muss der betroffene Mitarbeiter vor Ausspruch der Kündigung angehört werden.
5. Leistungsmängel – arbeitsrechtlich schwer greifbar
Die Kündigung wegen unzureichender Leistung ist juristisch schwer durchzusetzen. Das Bundesarbeitsgericht verlangt objektiv nachvollziehbare Kriterien: Der Mitarbeiter muss über längere Zeit deutlich unter dem betrieblichen Durchschnitt liegen (vgl. BAG, Urt. v. 17.01.2008 – 2 AZR 536/06).
Auch müssen alternative Maßnahmen (z. B. Schulungen, Gespräche, Versetzungen) erwogen worden sein. Fehlen diese, wird eine Kündigung wegen „schlechter Leistung“ meist als unverhältnismäßig eingestuft.
6. Anzeigepflichten bei besonderem Kündigungsschutz
Folgende Personengruppen genießen besonderen Kündigungsschutz:
- Schwangere (§ 17 MuSchG),
- in Elternzeit befindliche Personen (§ 18 BEEG),
- Schwerbehinderte oder Gleichgestellte (§ 168 SGB IX).
Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung der Aufsichtsbehörde ist hier nichtig – auch im Kleinbetrieb. Deshalb müssen vor Ausspruch der Kündigung die Aufsichtsbehörden informiert und einbezogen werden.
7. Besonderheiten bei Apotheken
Apothekenmitarbeiter übernehmen nicht nur technische, sondern auch rechtlich bedeutsame Aufgaben. Bereits leichte Verstöße gegen Arzneimittel-, Datenschutz- oder Betäubungsmittelvorschriften können das Vertrauensverhältnis irreparabel beschädigen.
Beispiele aus der Praxis:
- Missachtung der Dokumentationspflichten bei BtM,
- eigenmächtige Abgabe von Arzneimitteln ohne Rücksprache,
- Verstoß gegen die Schweigepflicht (auch im privaten Kontext, z. B. über Social Media).
In solchen Fällen kann eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung auch ohne lange Abmahnkaskade gerechtfertigt sein – immer vorausgesetzt, dass der Vorfall beweisbar dokumentiert ist.
8. Typische Fehlerquellen und anwaltliche Begleitung
Fehler bei Kündigungen entstehen in der Praxis i. d. R. nicht durch grobe Nachlässigkeit, sondern durch unvollständige oder unstrukturierte Vorbereitung. Ein häufiges Problem ist die fehlerhafte oder gar fehlende Dokumentation arbeitsvertraglicher Nebenpflichten und etwaiger Verstöße. Ebenso wird die Differenzierung zwischen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen häufig nicht korrekt vorgenommen – mit teils erheblichen prozessualen Nachteilen im Kündigungsschutzverfahren.
Eine wirksame Kündigung beginnt nicht mit dem Schreiben – sondern mit strategischer Vorbereitung, juristischer Klarheit und klarer Kommunikation. Wer hier präventiv handelt, vermeidet (schwierige) gerichtliche Auseinandersetzungen und wahrt seine Handlungsfreiheit.
Auch werden Fristen häufig unterschätzt: Wird z. B. eine Verdachtskündigung zu spät ausgesprochen, obwohl der Verdacht frühzeitig bestand, kann dies als Verwirkung ausgelegt werden. Erfolgte bei einem Verdacht keine Anhörung, ist die Verdachtskündigung bereits aus diesem Grund unwirksam. Gleiches gilt für das Fristversäumnis nach § 626 Abs. 2 BGB bei außerordentlichen Kündigungen – die zweiwöchige Frist beginnt mit Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen.
Gerade vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an Kündigungen empfiehlt sich die frühzeitige Einbeziehung anwaltlicher Expertise. Das kann nicht nur helfen, formale Fehler vermeiden, sondern auch, innerbetriebliche Konflikte einvernehmlich zu lösen – etwa durch gezielte Kommunikation, die eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeidet, oder durch Aufhebungsverträge.
9. Fazit und Handlungsempfehlungen
Als Apothekeninhaber sollten Sie Kündigungen nicht „aus dem Bauch heraus“ aussprechen. Gerade in kleineren Betrieben ist der rechtssichere Umgang mit Kündigungen eine Führungsaufgabe mit hohem Risiko.
Empfohlen wird eine strukturierte Personalführung: So sollte die Personalakte stets lückenlos geführt werden – insbesondere mit Blick auf Leistungen, etwaiges Fehlverhalten und dokumentierte Gespräche. Mustertexte für Abmahnungen oder Kündigungen sind allenfalls als erste Orientierung zu verstehen und sollten nie ohne rechtliche Prüfung verwendet werden. Ebenso wichtig ist es, Mitarbeiter regelmäßig im Sinne einer Compliance-Schulung für arbeits- und berufsrechtliche Pflichten zu sensibilisieren. Schließlich gilt: Kündigungen und auch Zeugnisse sollten niemals vorschnell oder mündlich in Aussicht gestellt werden, da dies rechtlich bindende Erwartungen wecken kann.
Aigerim Rachimow, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht, Fachanwältin für Arbeitsrecht, ETL Rechtsanwälte Rostock, E-Mail: aigerim.rachimow@etl.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(11):12-12