Marktpotenzial von (E-)Rezept-Terminals außerhalb von Apotheken

Ungünstige Risiko-Chancen-Allokation


Dr. Hubert Ortner

Im letzten September sorgte die erste E-Rezeptsammelstelle in einem Einkaufscenter für Schlagzeilen: Michael Kranz, Inhaber der Grünen Apotheke in Prenzlau, hat im dortigen Marktkauf-Center ein BetterApo-Terminal installiert. Der rührige Apotheker sieht darin eine Chance, die Versorgung sicherzustellen, anstatt das Feld kampflos den Versendern zu überlassen. Doch geht die Rechnung für Apothekeninhaber auch im wörtlichen Sinne auf? Oder bleiben die nicht unerheblichen Kosten am Ende allein an ihnen hängen.

Die Verteilung von Chancen und Risiken bei E-Rezept-Terminals ist aus Apothekersicht ziemlich fragwürdig (© AdobeStock).

Michael Kranz schaut lieber nach vorne als zurück. Bevor er unnötige Energie aufs Jammern verschwendet, sucht er eigenständig nach neuen Wegen. Beispiel Apothekensterben: Um der drohenden Unterversorgung in strukturschwachen Regionen entgegenzuwirken, hat der Inhaber der Grünen Apotheke im brandenburgischen Prenzlau zunächst Rezept-Sammelstellen aufgestellt. Dabei ist er mit Gilbert-Peter Boullay zusammengekommen. Der gelernte Lebensmittel-Kaufmann ist Unternehmensberater und hat vor einigen Jahren den Marktkauf in Prenzlau übernommen. Daraus entstand als Pilotprojekt die Platzierung eines BetterApo-Terminals der Firma QuEp im Prenzlauer Marktkauf. Es war das erste Terminal dieser Art, das in einem Einkaufs-Center an den Start ging.

Experimentierfreudiger Early Mover

Das Gerät ist eine Mischung aus Pickupstelle für Rezeptausdrucke und digitalem Terminal für E-Rezepte. Die Kunden können darüber auch OTC-Präparate bestellen und ihre Bestellungen auch gleich mit EC-Karte bezahlen. Geliefert bekommen sie ihre Medikamente binnen 24 Stunden über den Lieferdienst der Grünen Apotheke. Offizieller Betreiber des Terminals ist aus apothekenrechtlichen Gründen Michael Kranz. Er sieht sich als „Early Mover“ und ist deshalb ins Risiko gegangen, ohne eine belastbare ROI-Rechnung aufzustellen. Das wäre auch nicht möglich gewesen, dazu fehlten schlicht belastbare Vergleichswerte und Erfahrungen: „Ich wollte diesen neuen Ansatz einfach ausprobieren und eigene Erfahrungen sammeln.“

Boullay sieht das Terminal als zusätzlichen Frequenzbringer für seinen Marktkauf, der von durchschnittlich 5.000 Kunden pro Tag besucht wird. Apothekenkunden sind für ihn „typische Suchkauf-Kunden“: Sie wollen i. d. R. ein Rezept einlösen. Früher, so die Beobachtung des Unternehmensberaters, waren Apotheken oft noch fester Bestandteil der Center-Märkte. Doch auch hier mache sich die Konsolidierung bemerkbar: „Immer mehr Center-Apotheken haben sich verabschiedet, ohne dass sich ein Nachfolger finden lässt“. Mit dem BetterApo-Terminal hofft Boullay, diese Lücke schließen zu können.

Deckungsgleiches Ziel: Online-Schwund minimieren

Wenn der Standort stimmt, könnten – davon sind Boullay und Kranz gleichermaßen überzeugt – beide Seiten von einem Rezept-Terminal profitieren:

  • die Apotheken über einen zusätzlichen, zeitgemäßen Kundenkontaktpunkt in starker Frequenzlage und
  • die Märkte über Cross-Selling an zusätzlichen Apothekenkunden.

 

Sogar das Ziel ist im Wesentlichen deckungsgleich: Es geht beiden Seiten darum, die Kunden mit den bestehenden lokalen Handelsstrukturen bestmöglich zu bedienen, um dadurch den Schwund in Richtung Online-Anbieter zu minimieren. Ob das Lieferando im LEH oder Shop-Apotheke bei den Apotheken ist – die Herausforderungen sind dieselben.

Gilbert-Peter Boullay: „Ohne Lösungen wie das Rezept-Terminal treiben wir die Kunden in den Digitalismus. Wie sollen sie sonst an ihre Medikamente kommen, wenn die nächste Apotheke in weiter Ferne liegt …?“

„Was ist denn die Alternative?“, lautet die rhetorische Frage von Michael Kranz. „Dann müssen die Kunden mit dem Auto 15 oder gar 20 km weit in die nächste Stadt fahren, wo es noch eine Apotheke gibt.“

Mit diesem Beispiel aus der Praxis zielt der Apotheker auf das zweite E-Rezept-Terminal, das er Anfang dieses Jahres im brandenburgischen Boitzenburg in einem Edeka-Frischemarkt in Betrieb genommen hat. Vor zweieinhalb Jahren hatte dort die letzte Apotheke geschlossen: Seitdem haben die 3.000 Einwohner die Wahl zwischen einem 20 km langen „Ausflug“ zur nächsten Apotheke in Templin bzw. Prenzlau oder einer Bestellung im Internet. Jetzt haben sie eine dritte Option vor Ort.

Am meisten Potenzial versprechen insofern Kommunen mit 2.000 bis 4.000 Einwohnern in strukturschwachen Regionen, wo sich der Betrieb einer eigenen Apotheke oder Filiale nicht mehr rechnet. Hier kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu – die kommunale Versorgungspflicht. Das hat auch Kranz so erlebt. „Der Bürgermeister von Boitzenburg war richtig begeistert, dass die Bürger ihre Rezepte jetzt wieder vor Ort abgeben können. Die Kommune bietet sogar Schulungen für ältere Menschen an.“

Das Risiko liegt zu 100 % bei den Apotheken

Doch wie steht es um die Wirtschaftlichkeit solcher Rezept-Terminals? Für Boullays Marktkauf dürfte die Rechnung so oder so aufgehen: „Wenn von den Rezeptkunden nur zehn pro Tag zusätzlich bei uns einkaufen“, so seine Rechnung, „dann bringt uns das bei einem durchschnittlichen Warenkorbwert von 49,55 € einen Zusatzumsatz von knapp 500 €“. Er verlangt deshalb auch keine Standmiete von Kranz. Andere Marktbetreiber sind da weniger großzügig und wollen bis zu 200 € Standmiete pro Monat verlangen.

Und wie sieht die Kalkulation für Apotheken aus, die ein solches Terminal aufstellen? Sie tragen die finanzielle Hauptlast und müssen sowohl für die Anschaffung als auch die Wartung und ggf. sogar die Standmiete aufkommen. Bei den BetterApo-Terminals liegen die Investitionskosten bei rund 15.000 €, dazu kommen 250 € bis 300 € an monatlichen Servicekosten. Das ist ein ordentlicher Batzen Geld, selbst wenn die Anschaffung ergebniswirksam abgeschrieben werden kann. Hinzu kommt, dass der Apotheker voll ins Risiko geht und damit de facto allein für die Markterschließungskosten aufkommt.

Um es in diesem zentralen Punkt konkret zu machen: Was passiert, wenn beispielsweise …

  • die Terminals bei den Kunden viel weniger Akzeptanz finden, als erwartet?
  • Konkurrenten an vielversprechenden Standorten ebenfalls ein Terminal platzieren?
  • branchenfremde Dritte vergleichbare Terminals im großen Stil einführen (Stichwort Hüffenhardt 2.0 oder dm) und damit den Rahm abschöpfen?
  • die Betreiber von Hochfrequenzstandorten die Standmieten plötzlich unverhältnismäßig erhöhen?
  • die Betreiberfirma wirtschaftlichen Schiffbruch erleidet?
  • neue technologische Entwicklungen den Mehrwert der Terminals unterminieren?
  • die ABDA aus ihrem Selbstbeschäftigungsmodus aufwacht und die Terminals in einem juristischen Kraftakt doch noch tot geklagt bekommt?

 

Die Antwort ist immer dieselbe: Die Apotheken bleiben auf ihren Investitionskosten sitzen!

QuEp-Geschäftsführer Mohammad Atta ul Quddus hält dagegen: „Wenn man das BetterApo-Terminal als Mini-Filiale ansieht und gegenrechnet, dann geht die Rechnung sehr wohl auf!“

Michael Kranz: „Wenn die Apotheken die Chance, über solche Terminals eine wohnortnahe Arzneimittelversorgung sicherzustellen, selbst nicht nutzen, dann werden branchenfremde Dritte in diese Lücke stoßen. Aufhalten lassen wird sich diese Entwicklung nicht.“

Etwas abgefedert wird das Risiko, wenn sich Kommunen an den Kosten beteiligen. Das ist ein durchaus realistisches Szenario, gerade in dünn besiedelten ländlichen Gebieten. In diesem Zusammenhang gibt es mit Sicherheit auch Fördermöglichkeiten, die freilich vom Einzelfall abhängen.

Gretchenfrage: Was bringen die Terminals an Zusatzertrag?

Die bisherigen Nutzerzahlen der beiden Terminals von Michael Kranz liegen noch weit hinter dem zurück, was es bräuchte, um auch nur in die Nähe des Break-even zu kommen. Aber selbst für eine vorläufige Bilanz ist es zugegeben noch viel zu früh. Ohnehin ist eine harte ROI-Rechnung ein schwieriges Unterfangen: So genau sich der durchschnittliche Rohertrag eines Rx-Kunden beziffern lässt, so schwierig ist die Erfassung, was ein Terminal an zusätzlichem Ertrag in die Kassen spült. So sind z. B. Rezeptaufträge von Bestandskunden der Grünen Apotheke, die über das Terminal im Prenzlauer Marktkauf eingehen, wenig wert. Anders sieht es bei Aufträgen aus dem Edeka in Boitzenburg aus, wenn die Kunden sonst nach Templin gefahren wären – nicht aber wiederum, wenn sie nach Prenzlau gekommen wären.

Noch spekulativer wird es, wenn man abzuwägen versucht, wie viele Kunden in einem Ort ohne Apotheke und Terminal dem Lächeln von Günther Jauch erliegen und in die Niederlande ausweichen würden. Dass die Apotheken aber allein ins Risiko gehen und die Zeche dafür bezahlen sollen, den „Holland-Schwund“ so gering wie möglich zu halten, wirft zumindest ein dickes Fragezeichen auf.

 

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(11):10-10