Ehrlichkeit im Verkauf

Es gibt nichts Interessanteres als die Wahrheit


Andreas Kinzel

Währt ehrlich tatsächlich am längsten? Oder gilt im Verkauf nicht eher die Devise: Sag immer die Wahrheit, aber nie die ganze! Doch ab wann nehmen uns die Kunden ein Schweigen oder eine Schwindelei übel? Nicht nur aus ethischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen kann sich Ehrlichkeit bezahlt machen – und das durchaus im wortwörtlichen Sinn.

Dackel mit kurzen Beinen

Lügen haben kurze Beine – das mag bei der Dachsjagd hilfreich sein, 
im Verkaufsgespräch ist es aber allemal lohnenswerter, bei der Wahrheit zu bleiben. 
(© AdobeStock/jagodka)

Ein kleiner „Schmäh“ und schon ist der Kauf perfekt. In Österreich bewegt sich dieser auf dem schmalen Grat zwischen charmantem Humor und Unfreundlichkeit, Leichtigkeit und Schwindelei. In der Alpenrepublik ist der Schmäh allgegenwärtig – auch im Verkauf. Doch wo liegt die Grenze zwischen einem lockeren Gespräch mit „Schönreden“ und einer handfesten Lüge? Kann Ehrlichkeit den Verkauf sogar ankurbeln?

Der Showmaster in uns

Einkaufen wird immer mehr zum Erlebnis. Das weckt den Showmaster in uns. Wir präsentieren unser Wissen und unsere Ware. Die volle Aufmerksamkeit des Kunden gehört uns – und unsere umgekehrt den Kunden. Dabei neigen wir schnell zu Wörtern und Gesten von Übertreibungen, und so manches wird dabei schöngeredet. Schließlich wollen wir im Interesse aller etwas verkaufen.

Ehrlichkeit von Anfang an verhindert den Frust danach!

Aus dem Restaurant wissen wir: Das günstige Steak entpuppt sich schnell mal als gewöhnliches Schnitzel, und die Beilagen kosten extra. Das schafft Verdruss. Der deutlich bessere Ansatz ist es, unseren Kunden ein umfassendes Angebot zu machen. Dazu gehört auch, dass wir die Vor- und Nachteile der einzelnen Produkte, aber auch Marken und Generika klar herausarbeiten. Die können der Apotheke bei niedrigeren Preisen manchmal sogar einen höheren Rohertrag bescheren. Besonders heikel wird das Gespräch, wenn sich die Kunden bevormundet fühlen – sei es, weil wir ihnen unbedingt das teure Original in der großen Packung verkaufen, oder mit dem Generikum sparen helfen wollen. Deshalb sollten wir ihnen zu einem bestimmten Präparat geeignete Alternativprodukte präsentieren und dabei jeweils die Vor- und Nachteile erläutern. Ein Beispiel aus der Praxis: „Möchten Sie das normale (günstige) Ibuprofen oder das schnellwirkende?“ Die Entscheidung liegt dann beim Kunden.

Zur „großen Bühne“ gehört auch, den Wunsch der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Versuchen wir, sie davon abzubringen und umzustimmen, kommt schnell der Gedanke auf: Die möchte mir etwas aufschwatzen! Dennoch sollten wir – unabhängig von der fachlichen Beratung – auch hier ehrlich sein. Klar sind viele Kunden beratungsresistent. Dennoch ist es unsere Pflicht, den Kunden ehrlich zu sagen, wenn sie nach unserer Einschätzung z. B. gerade dabei sind, eine Fehlentscheidung für ein wenig geeignetes Produkt zu treffen. Nicht dass sie sonst ein „Wunder“ erwarten, dann ist die Enttäuschung nämlich vorprogrammiert, und im schlimmsten Fall geben sie uns womöglich die Schuld und kehren unserer Apotheke vielleicht sogar den Rücken.

Storytelling

Möchten wir als Conférencier eine gelungene Vorstellung verkaufen, gehört eine gute Geschichte dazu. Neudeutsch spricht man vom „Storytelling“. In der Apotheke erzählen wir rund um Krankheit oder Arzneimittel eine Geschichte. Damit emotionalisieren wir den Verkauf. Dabei greifen wir typischerweise auf Erfahrungen aus dem familiären Umfeld oder von anderen Kunden zurück und stricken dann um diese „Helden“ eine Geschichte mit einer eingängigen Botschaft. Dadurch lässt sich eine Situation anschaulich schildern, was den Verkauf üblicherweise erleichtert.

Wie so oft im Leben gilt auch beim Storytelling: Es gibt nichts Interessanteres als die Wahrheit.

Sicherlich ist Ehrlichkeit ein großes Ideal, an das man sich nicht immer zu 100 % hält. Wie jede gute Geschichte braucht auch das Storytelling in der Apotheke ein wenig Ausschmückung und Übertreibung. Da wird eine Creme schnell mal zum Wundermittel beim eigenen Kind, und das Schmerzmittel hat der Oma auch immer geholfen. Wird dieses Schönreden allerdings zum Märchen, kommen uns die Kunden schnell auf die Schliche, nehmen uns das Storytelling nicht ab und kaufen nicht. Widersprechen wir uns bei solchen Geschichten oder erkennen unsere Kunden sie als Fernsehsendung vom Vortag, regt sich ebenfalls schnell Unmut. Wir wirken unauthentisch. Die Kunden fühlen sich zum Narren gehalten. Sie kaufen nicht. Anderseits entsteht bei der „richtigen“ Story ein Gefühl der Zugehörigkeit. Eine Wohlfühlatmosphäre lädt hingegen zum Kauf ein.

Authentisch bleiben

Wohlfühlatmosphäre und Einkaufserlebnis entstehen insbesondere dann, wenn wir authentisch wirken. Nur wenn wir glaubhaft sind, werden uns die Kunden ernstnehmen und mit gutem Gewissen (wiederholt) kaufen. Sie merken schnell, wenn ein Beratungsgespräch aufgesetzt und unnatürlich ist. Es wirkt dann befremdlich. Die Kunden sind verstört.

Besonders gefährlich sind auswendig gelernte Empfehlungen, hinter denen wir nicht stehen. Sind wir beispielsweise nicht von der Homöopathie überzeugt, sollten wir das auch deutlich ansprechen. Selbstverständlich können wir den Kunden dennoch eine Empfehlung geben, doch laufen wir dann nicht Gefahr, unauthentisch zu wirken.

Einen solchen Eindruck erwecken wir vor allem dann, wenn wir vorgefertigte und immer wiederkehrende Floskeln verwenden. Dann bleiben Emotionalität und Individualität völlig auf der Strecke. Holen wir immer wieder dieselben Floskeln aus der Schublade, fühlt sich das Gespräch schnell austauschbar an und passt im ungünstigsten Fall überhaupt nicht zum Kunden.

Im Gegensatz dazu hat es sich in der Praxis bestens bewährt, persönliche Dinge anzusprechen: Hat Frau Müller womöglich eine neue Frisur und Herr Bauer eine neue Brille? Wie geht’s den Kindern oder dem Hund? All diese Fragen tragen zu einem persönlichen Verhältnis bei und damit emotionalisieren wir das Gespräch.

Direkte Ehrlichkeit

Auch Menschen, die es mit der Ehrlichkeit genau nehmen, neigen mitunter zu sogenannten „weißen Lügen“. Diese erleichtern das Zusammenleben und nutzen dem Gegenüber mehr, als sie ihm schaden – auch im Verkauf. Vielleicht ist es nur eine kleine Schmeichelei, die positive Emotionen anregt und dadurch den Verkauf erleichtert. Da schmeckt der trockene Kuchen schon mal fantastisch, oder die Frisur sitzt trotz wirrer Strähnen bestens. Doch sollten wir auf keinen Fall zu weit von der Wahrheit abrücken. Geht es einem Kunden offensichtlich schlecht, hilft ein „Blendend sehen Sie aus“ auch nicht weiter und wirkt dann mehr als unnatürlich.

In dem Fall kann Schweigen die bessere Alternative sein. Anderseits kann ein „Sie sehen heute nicht so gut aus“ unhöflich wirken, dafür aber ehrliche Anteilnahme signalisieren. Und mit einem „Ich hätte dafür …“ hat man auch schon den perfekten Einstieg in ein erfolgreiches Verkaufsgespräch. Diese direkte Ehrlichkeit kann den Verkauf an vielen Stellen ankurbeln.

Doch es gibt auch Situationen in der täglichen Apothekenpraxis, in denen wir trotz unseres Fachwissens und vieler Fortbildungen mangels Erfahrung nicht mitreden können. Der versierte Apotheker wird bei Frauenleiden ebenso passen müssen, wie seine kinderlose Kollegin bei Babyfieber. Wichtig ist, dass wir den Kunden in dem Fall nichts vormachen oder uns gar in Widersprüche verstricken. Wissenslücken und fehlende Erfahrung sind menschlich. Falschinformationen sind jedoch gefährlich. Die Kunden erkennen das schnell und werden unsicher. Entweder zieht man in solchen Fällen Kollegen zu Rate oder bietet den Kunden an, sich besser zu informieren. Auch dann fühlen sie sich sicher und gut beraten.

Oft arbeiten wir den Kundennutzen und Mehrwert zwar heraus, vergessen dabei aber, den eigenen zu erwähnen. Sicherlich ist das Beratungsgespräch der falsche Platz, um über Gewinnmaximierung zu philosophieren. Dennoch kann ein „Das muss raus“ oder „Ich bin froh, wenn es weg ist“ authentisch wirken und dadurch den Verkauf ankurbeln. Wir sollten es nur begründen – sei es das baldige Verfallsdatum, die Überbevorratung oder Sortimentsumstellung. Auch ein „Ich bin froh, wenn Sie es kaufen, ich lebe schließlich davon“, kann gelegentlich eine humoristische Einlage sein und gleichzeitig eine ehrliche Kaufanregung. Psychologisch fühlen sich Kunden dadurch angeregt, uns einen Gefallen zu tun.

Fazit

Entscheidend für ein erfolgreiches Geschäft ist, dass sich die Kunden bei uns wohlfühlen und gerne wiederkommen. Viele von ihnen honorieren Ehrlichkeit, kaufen dann guten Gewissens und mehr als geplant. Enttäuschungen werden vermieden. Wir sollten im Verkauf weder manipulativ noch naiv sein. Mitunter kann es angebracht sein, etwas schönzureden, dabei dürfen wir es aber auf keinen Fall übertreiben. Sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit – dann ist der Schaden ungleich größer, als wenn wir das eine oder andere Mal doch nicht zum Abschluss kommen.

Ehrlichkeit ist ein einfaches und dennoch erfolgversprechendes Ideal in einer komplizierten Welt.

 

Andreas Kinzel, Apotheker und Diplom-Kaufmann (FH), 80637 München, E-Mail: a-kin@web.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2025; 50(13):8-8