Prof. Dr. Reinhard Herzog
Bei näherer Betrachtung relativiert sich das vermeintlich so große Thema „Heime“. Zwar sind wir bereits eine „Altenrepublik“ mit 17,3 Mio. Senioren ab 65 Jahren (21 % der Bevölkerung) und einer Zunahme dieser Altersklasse um 100.000 bis 200.000 Menschen pro Jahr. Die neueste Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes vom Februar 2017 mit Datenstand Ende 2015 weist knapp 2,9 Mio. Pflegebedürftige aus, also etwa 145 pro Apotheke. Nur 27 % entsprechend 783.000 Personen sind in stationärer Heimpflege untergebracht (Ø 40 je Apotheke), der größte Teil, nämlich 2,1 Mio., spielt sich in der häuslichen Pflege ab. An die 700.000 Menschen werden dort durch mittlerweile über 13.000 ambulante Pflegedienste versorgt (siehe Abb. unten). 1,4 Mio. Menschen werden demzufolge durch Angehörige oder anderweitig versorgt.
Ein Heim hat heute durchschnittlich 63 Bewohner. 84 % der mittlerweile 13.600 Heime, davon 11.200 mit Dauerpflegeplätzen, haben maximal 100 Bewohner. Sie sind zu knapp 90 % belegt. Ein privater Pflegedienst versorgt 40 Pflegebedürftige, 74 sind es bei freigemeinnützigen (z.B. CARITAS). 1,1 Mio. Beschäftigte umfasst der Sektor stationäre und ambulante Pflege mittlerweile, 730.000 davon in Heimen ( „Headcount“, in Vollzeitäquivalenten ~ 70 % davon).
Übersetzt in Umsätze bedeutet das: Nur reichlich 2 % des Apothekenmarktes (= rund 1 Mrd. € von gut 49 Mrd. € in 2016) werden von Pflegeheimbewohnern bestritten, im ambulanten Pflegemarkt schlummern gut 2 Mrd. € Apothekenumsatz. Der Markt der Senioren ab 65 Jahren beträgt dagegen deutlich über 20 Mrd. €. Rentabel, wenn überhaupt, wird das Geschäft also durch Bündelungs- und Skaleneffekte: Größe zählt. Und so gibt es in fast jeder Region „Heimkönige“ unter den Apotheken.

Pro-Kopf-Betrachtungen
Der Durchschnitts-Heimbewohner bringt nach einer groben Faustregel rund 1.000 € Nettoumsatz jährlich ein (um alle Abzüge bereinigt) mit je nach Heim- und Bewohnerstruktur teils ganz erheblichen Abweichungen (von etwa 800 € bis über 1.500 €). Deshalb ist eine individuelle Erhebung sinnvoll. Denn dahinter können nur 175 € Rohertrag stehen oder auch über 350 €, meist bewegt es sich in der Spannbreite von 200 € bis 300 €.
Zum Vergleich: Statistisch beträgt der um Versand und Spezialumsätze wie Zytostatika bereinigte typische Offizinumsatz etwa 550 € netto pro Einwohner und Jahr entsprechend 130 € bis 140 € Rohertrag. Da nicht jeder Bundesbürger im Verlaufe eines Jahres eine Apotheke besucht, bringt der statistische Offizin-Normalkunde noch etwas mehr in die Kasse, nämlich ungefähr 650 € bis 700 € Umsatz bzw. etwa 160 € bis 175 € Rohertrag. Durch Bündelungseffekte (Frauen als „Chefeinkäufer“ der Familie) ergeben sich weitere, teils erhebliche Konzentrationen der Umsätze auf einzelne Personen. Diese Offizinkunden stellen den Vergleichsmaßstab dar, an dem sich die Heimkunden hinsichtlich Ertrag und Aufwand messen lassen müssen.
Entscheidungsgänge
Ob Sie der Heimbelieferung nähertreten oder Sie Ihre bestehenden Aktivitäten kritisch durchleuchten möchten: Strategische Aspekte kommen immer zu Anfang auf den Tisch.
- Welche Alternativen haben Sie, welches Kunden- und Rezeptpotenzial bietet Ihre Apotheke? Manch Standort ist nur durch das Logistik-Standbein noch existenzfähig, andere Kollegen würden ihre Aktivitäten besser auf das vorhandene Laufkundenpotenzial konzentrieren.
- Können Sie eine Belieferung überhaut guten Gewissens ablehnen? Hier sind insbesondere ländliche Apotheken adressiert: Man kennt sich, die Verbindung zu Ärzten, Kunden, Pflegern etc. ist oft eng. Kann und will man da den Eindruck „wegen Reichtum geschlossen“ erwecken?
- In welcher Größenklasse könnten Sie (u.a. räumlich) spielen, welches Leistungsspektrum abdecken, was funktioniert mit bestehenden Ressourcen, ab wann brauchen Sie neue Kapazitäten?
„Nebenbei-Heim“, Mittel- oder Oberklasse?
Ein durchschnittliches Heim mit 60 oder 70 Bewohnern, für vielleicht 60.000 €, bestenfalls 100.000 € Zusatzumsatz (oder 20.000 € bis 25.000 € Rohertrag) gut, um die Ecke gelegen und nur zu beliefern (also keine Individualversorgung wie Verblisterung) – das läuft in den meisten, gerade peripheren Apotheken in den Schwachlastzeiten mit. Vielleicht sind ein paar Stunden aufzustocken. Der Zusatzaufwand ist überschaubar – der Gewinn auch. Werden Zusatzleistungen verlangt (Verblisterung ohne nennenswertes Honorar!), wechseln Sie jedoch schnell nur noch Geld. Allerdings: Ein existenzielles Risiko gehen Sie kaum ein …
Interessanterweise am kritischsten ist die „Mittelklasse“. Einige Hundert Betten machen bereits viel Arbeit; zusätzliches Personal ist vonnöten, vielleicht sind Raumkapazitäten abzustellen und Investitionen zu tätigen: Sie gehen ins Obligo. Schon eine PTA-Vollzeitstelle erfordert gut und gerne 150.000 € Heimumsatz oder 120 bis 150 Patienten – nur zur Lohnkostendeckung. Gleichzeitig wirken Skalen- und Größeneffekte noch nicht voll. Hier muss mit spitzem Bleistift gerechnet werden. Der ehrliche Gewinn unter dem Strich ist oft kaum größer als bei oben erwähntem „Nebenbei-Heim“.
Spannend wird es bei der „Oberklasse“ der Heimversorger, z.T. mit etlichen Tausend Betten und (nicht selten eigener) maschineller Verblisterung – letztlich ein „Betrieb im Betrieb“, hoffentlich auch ein Profitcenter. Hier ist eine schonungslose Rechnung (eben wie für einen eigenen Betrieb) aufzumachen.
Viele Kollegen machen dies nicht. Bei richtiger Nachkalkulation würden ihnen nämlich die Augen aufgehen, wovon sie eigentlich leben („Wertschöpfungsrechnung“) und an welchen Stellen welche Gewinne pro Mitarbeiter bzw. je investiertem Euro anfallen. Gleichwohl: Hier können rationelle Prozesse und Skaleneffekte zusammenwirken. Eher schmale prozentuale Renditen auf hohe Umsätze geben auch ordentliche Absolutgewinne (Parallele: Versandhandel), die freilich stets absturzgefährdet sind, wenn sich relevante Parameter ändern, und seien dies Fremdeinflüsse wie Großhandelsrabatte oder eine Gesundheitsreform …
Rechnen, rechnen ...
Der grundsätzliche Gedankengang (siehe Abb.): Der Offizinkunde mit seinem Ertrag und Kostenaufwand ist letztlich die Messlatte. Was Sie diesem im HV-Betrieb zugutekommen lassen (Zeit, aber auch Zugaben, Prämien etc.), können Sie auch in den (Zusatz-)Aufwand der Heimbelieferung stecken, ohne schlechter zu stehen. Sie müssen also eine Differenzrechnung machen.

So beträgt allein der Zeitaufwand im HV 25 % bis 35 % des Rohertrages (etwa 2,50 € bis 3,50 € pro Kundenbesuch). Also nehmen Sie die Jahres-Roherträge pro Offizinkunde und dividieren diese nach Kosten und Gewinn auseinander. Das Gleiche machen Sie, basierend auf einer Ertrags-, Prozesskosten- und Aufwandsanalyse, für die einzelnen Varianten der Heimversorgung. Was bleibt dann unter dem Strich je Kunde?
Falls die Heimkunden (wie häufig) viel schlechter abschneiden: Gibt es strategische Gründe, trotzdem zu beliefern? Oder fokussieren Sie sich besser darauf, mehr Offizinkunden anzuwerben und Ihre Ressourcen insoweit klüger einzusetzen? Eine konkrete Beispiel-Detailanalyse liefern wir später nach. Neugierige können bereits jetzt eine Excel-Rechenmappe dazu beim Autor anfordern.
Spezialfall Verblistern
An dieser Stelle nur die „Basics“: Wer selbst in die maschinelle Verblisterung einsteigen will (in einen bereits gut besetzten Markt!), nimmt deutlich sechs- oder gar siebenstellige Beträge in die Hand: Ein eigener „Business Case“, der den Rahmen hier sprengt. Bleiben für die meisten die Varianten Lohnverblisterung in einem der vielen Zentren oder alternativ eine Individualisierung der Medikation in selbst befüllten und verschlossenen Kartenblistern bzw. das „Stellen“ in wiederverwendbare Boxen.
In der Regel ist das eigene Handanlegen am teuersten, denn der direkte Vergleich ist das Lohnblister-Honorar von heute um die 3 € für eine Wochenration. Ausnahme: Wenige Spezialpatienten (ggf. mit häufiger Medikationsumstellung und etlichen Sonderwünschen), da kann es sinnvoll sein, möglichst viel selbst gestalten zu können.
Bei der Lohnverblisterung sollten Sie Folgendes nie vergessen:
Die Bezahlung erfolgt erst einmal aus dem eigenen Rohertrag der verblisterten Medikamente, die Sie normal mit der Krankenkasse abrechnen. Gemildert wird dies ggf. um den Beitrag des Heims, hier reicht das Spektrum von null über häufige 0,50 € bis 1,50 € je Wochenblister bis hin zur noch seltenen kostendeckenden Honorierung des ganzen Leistungspaketes.
Die Fixkosten für die Verblisterung relativieren sich mit zunehmender Anzahl der eingesiegelten Medikamente: „Pack in den Sack!“ Bei nur zwei oder drei verblisterten Mitteln, womöglich noch mit langer Reichweite („N3, 1 x 1 täglich“), deckt der Stückertrag oft nicht mal das Blisterhonorar. Das kann man wieder z.B. schön in Excel rechnen.
Die Abrechnung („tablettengenau“) ist oft nicht ganz einfach, Rabattverluste gegenüber dem eigenen Einkauf sind möglich. Sie unterhalten zudem stets eine Doppelstruktur: Die verblisterungsfähigen Arzneimittel machen regelhaft nur 50 % bis 70 % aus, es verbleibt ein großer Rest „normal“ zu liefernder Präparate (die in die Wirtschaftlichkeit mit hineinspielen). Verwaltung, Rezeptmanagement etc. bleiben unabhängig von der Verblisterung erhalten. Im Speziellen kommt jedoch der Aufwand einer EDV-gestützten Auftragserstellung für das Blisterzentrum hinzu.
Das war ein erster wirtschaftlicher Umriss der Heimbelieferung. In Folgebeiträgen werden wir weitere Aspekte beleuchten, insbesondere die Herausforderungen einer Prozesskostenanalyse.
Excel-Rechentool
Heimbelieferung: Gern persönlich beim Autor anfordern!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(06):4-4