Steuernachzahlung

Sind die Zinsen nun doch viel zu hoch?


Helmut Lehr

Erst kürzlich hatte der Bundesfinanzhof (BFH) den Finanzamtszinssatz für Steuernachforderungen (immerhin 6%!) für rechtens erklärt. Aber ganz offensichtlich sind sich die Richter uneins. Denn plötzlich zweifelt das oberste deutsche Steuergericht an der Höhe des Zinssatzes.

Schon seit einigen Jahren klagen Steuerzahler regelmäßig gegen die Höhe der Zinsen bei Steuernachzahlungen. Es liegt auf der Hand, dass der fiskalische Zinssatz von 6% längst nicht mehr dem allgemeinen Zinsniveau entspricht. Dennoch hatten Klagen bislang keinen durchgreifenden Erfolg. Noch vor wenigen Monaten hat der BFH entschieden, dass die Höhe der Zinsen weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das sogenannte „Übermaßverbot“ verstößt (vgl. AWA 7/2018).

Diese Entscheidung war ziemlich frustrierend, weil die Richter als Referenzwerte unter anderem Konditionen für Kreditkartenkredite an private Haushalte (14,70%) herangezogen hatten. Bei solchen Vergleichen ist es natürlich schwer möglich, die Verfassungsmäßigkeit der Zinsregelung infrage zu stellen.

Gegensätzliche Entscheidungen

Völlig überraschend besteht jetzt wieder Hoffnung für betroffene Steuerzahler. In seinem Beschluss vom 25.04.2018 (Aktenzeichen: IX B 21/18) hat der BFH für Zinszeiträume ab dem Veranlagungszeitraum 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Zinsen geäußert. Doch wie kann das sein?

Das profiskalische Urteil vom 09.11.2017 (Aktenzeichen: III R 10/16) hatte der III. Senat des BFH gefällt, der unter anderem für Gewerbetreibende zuständig ist. Die aktuelle Entscheidung hingegen stammt vom IX. Senat, dessen Zuständigkeit unter anderem Vermietungseinkünfte und private Veräußerungsgeschäfte umfasst. Die Zinsproblematik ist nun aber bei allen Steuerpflichtigen gleich, weil sie ganz generell bei Steuernachzahlungen zum Tragen kommt, die mehr als 15 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums entstehen.

Anscheinend sind die Richter der beiden Senate völlig unterschiedlicher Auffassung. So hat der IX. Senat in seiner aktuellen, steuerzahlerfreundlichen Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vormalige Argumentation der Kollegen unzutreffend sei, da Zinsen für Kreditkartenkredite bzw. für Girokontoüberziehungen nicht als Referenzwerte für die Steuerzinsen verwendet werden könnten. Die Richter haben also entschieden, dass der Zinssatz von 6% für Steuernachzahlungen unter Berücksichtigung des bereits sehr lange anhaltenden Niedrigzinsniveaus nicht (mehr) gerechtfertigt ist.

Wie geht es jetzt weiter?

Leider ist der BFH-Beschluss vom 25.04.2018 nur in einem (vorläufigen) Aussetzungsverfahren ergangen. Das bedeutet: Die Richter mussten lediglich „summarisch prüfen“ – und haben noch keine abschließende Entscheidung gefällt. In Anbetracht ihrer deutlichen Worte ist aber davon auszugehen, dass sie den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur abschließenden Entscheidung vorlegen werden.

Hinweis: Solange ein Urteil aus Karlsruhe noch nicht vorliegt, wird die Finanzverwaltung vermutlich kaum freiwillig von entsprechenden Zinsfestsetzungen absehen. Mindestens für Verzinsungszeiträume ab 2015 sollten Sie daher Steuernachzahlungszinsen in Höhe von 6% nicht länger akzeptieren und entsprechende Bescheide unter Verweis auf den aktuellen Beschluss des BFH anfechten. Die Finanzverwaltung wird solche Einspruchsverfahren vermutlich ruhen lassen.

Übrigens: Bereits im Laufe des Jahres 2018 muss das Bundesverfassungsgericht zu der Zinsproblematik in anderen Verfahren entscheiden.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(12):18-18