Ungenutzte Potenziale heben

Chef-Arbeitszeit – (k)eine „Black Box“?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Für die Mehrzahl der Inhaber scheinen 60-Stunden-Wochen und teils noch längere Arbeitszeiten selbstverständlich zu sein. Nur wenige geben zu, mit sehr überschau- und planbarem Arbeitseinsatz trotzdem sehr erfolgreich zu sein. Machen die „Vielarbeiter“ etwas falsch?

Hohe Arbeitsbelastung ist eine der am häufigsten gehörten Klagen – der Selbstständige arbeitet eben ständig selbst. Kleinere „Ein-Mann-Apotheken“ gehören regelhaft dazu, aber sogar bei vielen größeren, „potenten“ Apotheken wird teils von exorbitanten Arbeitszeiten berichtet.

Der durchschnittliche Mensch kann mit etwa 30.000 Lebenstagen rechnen, entsprechend 720.000 Stunden. Bei der Mehrzahl der heutigen Inhaber dürfte allenfalls noch die Hälfte davon an Restlebenserwartung übrig sein, bisweilen weit weniger.

Da sollte man ins Grübeln kommen, welchen Anteil daran der eigene Betrieb einnehmen sollte, zumal ein immer größerer Teil der heutigen Apothekentätigkeit alles andere als „vergnügungssteuerpflichtig“ ist. Vielfach hört man jedoch, die hohe eigene Präsenz sei quasi alternativlos. Ist sie das wirklich? Oder machen sich viele Kollegen hier einfach im Sinne eines Unverzichtbarkeits-Mythos etwas vor? Die Friedhöfe liegen schließlich voll von Menschen, die sich ehemals alle für unersetzlich gehalten haben.

Ehrlich zu sich selbst sein

Am Anfang steht die Bestandsaufnahme: Wie hoch ist meine Arbeitsbelastung wirklich, und womit verbringe ich meine Zeit? Und weitergehend: Anwesenheitszeit ist gerade bei Chefs nicht nur mit Arbeitszeit gleichzusetzen, und Arbeit ist nicht gleich Leistung! Seien Sie also ehrlich zu sich selbst, wenn Sie

  • Ihre Zeiten systematisch erfassen, unter Berücksichtigung mehr oder weniger großzügiger Abwesenheits- und Urlaubstage.
  • sich anschauen, womit Sie Ihre wertvolle Zeit verbringen. Stete Frage dahinter: Ist diese Tätigkeit Ihren unternehmerischen Stundenlohn wert, oder kann das nicht ein Mitarbeiter für oft viel weniger Geld genauso erledigen?
  • sich Gedanken über Ihre Stärken, Fähigkeiten, Interessen und auch Schwächen machen. Passt Ihr tatsächliches Tätigkeitsprofil dazu? Was können Sie schlechter bzw. besser als Ihre Mitarbeiter, tun es aber trotzdem (nicht oder viel zu wenig)?
  • einmal einen unvoreingenommenen Blick auf Ihre eigenen Leistungskennziffern werfen (z.B. bediente Kunden je Stunde, erwirtschafteter Rohertrag je Stunde im HV).
  • Ihren Stundenlohn mittels der zutreffend ermittelten Arbeitszeit errechnen und diesen mit Ihren Angestellten vergleichen.

Nicht selten lauern hier unangenehme Wahrheiten in verschiedenster Ausprägung. Doch es hilft nichts: Wenn Sie Ihre Lage verbessern möchten, müssen Sie sich diesen Fakten stellen.

Der nächste Blick gilt dem Marktpotenzial Ihrer Apotheke. Dieses entscheidet darüber, ob Sie „am Anschlag“ sind und sich nur durch interne Umorganisation Luft verschaffen können, oder ob Sie eine aktive Wachstumsstrategie einschlagen können, sprich: Ob es sich lohnt, sich aus dem Tagesgeschäft zugunsten einer strategischen Weiterentwicklung zurückzuziehen.

Zum Schluss schauen Sie, inwieweit Sie Ihre Ansprüche möglicherweise an Ihr Einkommen anpassen können. Hier ist stets eine echte Nach-Steuer-Betrachtung („netto“) unter Berücksichtigung feststehender Verpflichtungen zu machen – mit teils erstaunlichen Ergebnissen, wie wenig zusätzliche Drehzahlen im Hamsterrad eigentlich lohnen. Viele Ärzte haben das schon lange erkannt und treten, bei nur geringfügigen echten Netto-Einbußen, in Gemeinschaftspraxen gerne kürzer.

Zeit klug nutzen

Allzu oft sind viele „typische“ Chef-Tätigkeiten recht leicht durch Mitarbeiter preisgünstiger zu erledigen, wenn man ein angemessenes Unternehmereinkommen zugrunde legt.

Die Sprüche „Mehr nachdenken, weniger arbeiten“ und „Wer arbeitet, hat keine Zeit, Geld zu verdienen“ erhalten hier eine gewisse Berechtigung. Rezepte beliefern, Rechnungen kontrollieren und Zahlen zusammenstellen können viele – einen Betrieb mit steter Übersicht und strategischem Geschick führen und weiterentwickeln eben nicht! Die Zahlenrealität (siehe Abbildung 1 und den untenstehenden Praxisfall) zeigt, wie Sie aus dieser Hamsterrad-Falle durchaus entkommen können. Die gewonnene Zeit nutzen Sie dann lieber, um

  • Kontakte zu Ärzten und wichtigen Multiplikatoren zu intensivieren,
  • Märkte und Potenziale im Umfeld zu analysieren,
  • den eigenen Betrieb durch eine neue, distanziertere Sicht besser kennenzulernen,
  • Strategien, Konzepte und Angebote zu entwickeln,
  • sich damit zu beschäftigen, wie Sie Ihr Kapital klug investieren,
  • endlich wieder mehr Zeit für Ihre Familie, Interessen und Hobbys zu haben, und um sich um den Erhalt Ihrer Gesundheit, Fitness und Leistungsfähigkeit (=Ihre beste Zukunftsversicherung!) kümmern zu können.

Die Ziele sollten damit mehr als klar sein: Raus aus der Hamsterrad- und hin zur Adler-Perspektive! Es sollte Ihnen gelingen, aus der reinen Offizin-Sichtweise („Denken bis zur Ladentür“) hin zu einer strategischen Übersicht über den lokalen Markt zu gelangen. Es lohnt sich! Kaum eine Stunde ist so wertvoll wie jene, die Sie damit verbringen, (brachliegende) Märkte zu erkennen und durch kluge Strategien zu erschließen.

Ein beispielhafter Praxisfall

1. Ausgangslage

Apotheker A macht in einem Stadtteil 2,3 Mio. € Umsatz bei 25% Spanne und arbeitet „am Anschlag“ alles in allem 2.750 Stunden pro Jahr. Dafür liegt sein Gewinn bei rund 187.000 €. Das Marktpotenzial der Apotheke – nach Einwohnern, Ärzteverteilung und Konkurrenzanalyse abgeschätzt – sollte jedoch bei 2,5 bis 3 Mio. € Umsatz liegen.

2. Weitere Analysen

Der Chef bedient im Schnitt „nur“ 8 Kunden je Stunde im HV sehr gründlich, bei demzufolge guten 12 € Rohertrag je Kunde (=96 € Stundenertrag). Die übrigen HV-Mitarbeiter schaffen hingegen zwölf Kunden je Stunde, bei jedoch nur 10,50 € Bonertrag, trotzdem aber guten 126 € Stundenertrag. Der „Lohn“ von A (=Gewinn durch Arbeitszeit) beträgt 68 € brutto je Stunde.

3. Die Optionen

1. A macht weiter wie bisher – und „brennt irgendwann aus“, unter Einbußen an Lebensqualität und womöglich unter Gefährdung seiner familiären Situation und Gesundheit.

2. A gönnt sich circa zwei Stunden täglich weniger, rund 500 Stunden jährlich. Diese kosten 20.000 € (Apotheker, 40 € Vollkosten je Stunde) bzw. 12.500 € (erfahrene PTA, 25 € Vollkosten je Stunde). Da die HV-Mitarbeiter sogar einen um 30 € höheren Stundenertrag erwirtschaften, fallen die realen Zusatzkosten deutlich geringer aus – zumal wenn A jetzt etwas Luft hat, sich intensiver um die Erschließung des Marktpotenzials zu kümmern. Schon weniger als 100.000 € Zusatzumsatz überkompensieren – bei 25% Rohertragsmarge – den Zusatzaufwand.

3. A zieht sich weitgehend heraus. In einer Variante stellt er dazu einen Vollzeit-Apotheker ein: Bei Gesamtkosten von 75.000 € für 1.750 effektive Arbeitsstunden p.a. verbleiben für A dann noch rund 1.000 Stunden jährlich.
In einer weiteren Variante stellt A eine erfahrene Vollzeit-PTA ein (Kosten 40.000 € bis 45.000 € für effektiv 1.750 Stunden) und stockt bei den approbierten Mitarbeitern um 750 Stunden auf (Kosten 30.000 € p.a.). Summe: ebenfalls maximal 75.000 €. Je nach übriger Besetzung mit Approbierten ist A dann sogar weitgehend frei in seiner Zeiteinteilung!
Mit etwa 300.000 € bis 350.000 € Zusatzumsatz sind die Kosten kompensiert. Das Marktpotenzial ist im Beispiel vorhanden. A muss es nur heben, wozu er gerade bei der Maximalvariante reichlich Gelegenheit hat – und zudem noch eine Menge Freizeit gewinnt.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(14):4-4