Lehren aus der WM

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Für die einen kam das frühe WM-Aus unserer Fußballmannschaft mit Ansage, für manche tatsächlich überraschend. Für die meisten war es insoweit auch „gesparte Lebenszeit“ und Entlastung: Etliche Stunden ließen sich nun anderweitig als vor dem Fernseher nutzen, manches Bier samt Chipstüte trug nicht mehr zum Wachstum des „Krombacher-Tumors“ oder des „Beck‘sschen Bauchgeschwürs“ bei. Das leidige Thema „Fußball-Schauen während der Arbeitszeit“ hatte ein vorzeitiges Ende – allerdings ist es ja ohnehin in Apotheken angesichts der Mitarbeiter(innen)-Struktur nie so stark ausgeprägt gewesen. Einige dürften sich wohl darüber ärgern, dass ihre ganzen auf die WM aufgesetzten Marketingaktionen nun sprichwörtlich „für die Tonne“ sind. Nun, wir reden eben von Spielen: Und da ist immer ein Stück weit Glück und Unberechenbarkeit mit dabei.

Erste Kommentatoren sehen bereits Parallelen zur allgemeinen Lage in Deutschland: Abstieg eines Superstars, lähmende Diskussionen um Nebensächlichkeiten unter Verkennung der Kernprobleme, eine Negierung der Tatsache, dass rechts und links eben eine Menge Konkurrenz heranwächst, die viele nicht auf dem Schirm haben – was einer beachtlichen Selbstüberschätzung und Sattheit geschuldet ist. Phrasen-Dreschen statt Leistung!

Immerhin: Mit wenigen Begriffen, an passender Stelle eingeworfen, kann fast jeder zum vermeintlich kompetenten Fußball-Kommentator werden! Hier die wichtigsten: „Räume erschließen“, „Umschaltspiel“, „Chancenverwertung“, „Ballbesitz“ und „taktisches Foul“. Doch kann man Erkenntnisse vom Fußballplatz auch auf den Berufsalltag übertragen?

Die eine oder andere Parallele tut sich schon auf. Räume erschließen – mit anderen Worten: Handlungsoptionen und -freiheiten erarbeiten – ist auch im Berufsleben erfolgsentscheidend. Dies gilt gerade für eine so stark regulierte Branche wie die Apotheken. Nicht zuletzt die ganzen Zukunftsdiskussionen lassen sich darunter subsumieren. Im Alltag geht es darum, sich Einflussmöglichkeiten auf den Kunden und das Umfeld hart zu erarbeiten, um nicht nur zu einer Art „Lieferant auf Abruf und Befehl“ und „verlängertem Zeigefinger des Arztes“ zu verkommen.

Das so oft zitierte Umschaltspiel hat vor allem im täglichen HV-Geschehen eine überragende Bedeutung. Einige Mitarbeiter beherrschen das und können bedarfs- wie auch nachfragegerecht stets kompetent und überlegen agieren. Andere arbeiten lediglich auf einer sehr eng begrenzten Betriebsdrehzahl und kommen schon bei nur etwas höheren Anforderungen aus dem Takt. Ihnen gelingt die Anpassung an aktuelle Situationen nicht. Unerwartete Wendungen im Gespräch oder auch in sonstigen Arbeitsabläufen führen zur Überforderung. Hier muss in der Tat am „Umschaltspiel“ gearbeitet werden.

Die Chancenverwertung erleben Sie täglich bei jedem Kunden neu. Auch den Ballbesitz müssen Sie sich gegenüber den Konkurrenzapotheken immer wieder neu erkämpfen. Und was die Pässe und die Passgenauigkeit auf dem Platz sind, ist die Teamzusammenarbeit in der Apotheke – mit ebenfalls entsprechend bedeutsamen Auswirkungen. Regiert jedoch der „Spaltpilz“ und herrscht permanent Unruhe im Team, wird es gefährlich.

Wie wir gesehen haben, fällt die Entscheidung immer häufiger in der letzten Minute bzw. gar Sekunde. Auch das erleben wir im Alltag, ob im Kundengespräch oder in möglicherweise existenziellen Vertragsverhandlungen. Es gilt, bis zum Schluss zu kämpfen und aufmerksam zu bleiben. Denn unerwartete Wendungen können die Situation von einem Augenblick auf den anderen völlig umkehren. Sicher ist nämlich bis zum Schlusspfiff gar nichts! Das eine oder andere kleinere taktische Foul mag dabei durchgehen, nur: Wirklich ernste Foulspiele sind ein No-Go! Dafür gibt es die rote Karte – auf dem Platz wie zumindest auf längere Sicht dann auch im Geschäftsleben.

Und denken Sie daran: Runter geht es schneller als rauf, selbst Weltmeister stürzen – und zwar besonders gerne und tief. Die unangenehme Konsequenz daraus: Bei einem Misserfolg fliegt am Ende der Trainer, nicht die Mannschaft. Oder anders gewendet: Der Schaden bleibt stets am Chef hängen ...

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(14):19-19