Zukunft mit Jens Spahn

Unfreiwillige Nachspielzeit mit neuen Chancen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wer von unserem neuen Gesundheitsminister fertige Lösungen und einen Schlussstrich unter die schwelenden Konflikte im Apothekenmarkt erwartet hatte, ob nun in Form eines "Plan A" oder eines "Plan B", wurde bitter enttäuscht. Stattdessen gibt es eine weder erwartete noch gewollte Nachspielzeit, in der sich eine auf Seiten der Apotheken planlos wirkende Mannschaft mit bislang zweifelhafter Spielstrategie noch einmal richtig bewähren und zur Höchstform auflaufen darf. Die Zeitvorgabe ist ambitioniert, der Schlusspfiff steht drohend im Raum. Im Grunde muss innerhalb weniger Wochen ein weitreichendes Zukunftskonzept geschmiedet werden – von Playern, die bereits für weitaus kleinere Aufgaben gerne in Mehr-Jahres-Zeiträumen denken. Aber es bleibt dabei: Quasi im ministeriellen Auftrag ist vieles offen und steht zur Diskussion. Obwohl dies eine gewaltige Chance bedeutet – wenn eine Mannschaft als einziges Spielziel ein defensives "0:0" ausgegeben hat und in der berühmten Chancenverwertung regelhaft scheitert bzw. eine Offensivstrategie erst gar nicht angeht, fühlen sich der Verein und seine Fans alles andere als wohl beim Blick in ihre Zukunft.

Man fragt sich immer wieder, ob unsere Funktionäre überhaupt ihr gegenwärtiges Geschäftsmodell und ihre reale Marktstellung im Wirtschaftskreislauf verstanden haben. Ohne Zweifel sind immer noch rund 19.500 "Stützpunkte" mit täglich fast 200 Kunden im Schnitt ein starkes Pfund. Auf ein solches Vertriebsnetz wären viele stolz. Allerdings sehen wir eine erhebliche Überschätzung, die sich in starken Sprüchen ("Die Politik muss jetzt ...", "Wir erwarten, dass …") manifestiert. Es ist das Gehabe einer Kragenechse oder eines erregten Truthahns. Gegen einen starken Jäger enden beide als Beute – egal wie weit sie sich aufgeplustert haben.

Die Politik "muss" nämlich gar nichts. Mit der entsprechenden Unterstützung im Rücken sieht morgen das Apothekensystem fundamental anders aus – und wird ebenfalls irgendwie funktionieren. Angesichts der derzeitigen Verwerfungen in den Zustimmungsraten zu den etablierten Parteien sind zudem "klare Mehrheiten" perspektivisch immer unwahrscheinlicher. Die "sicheren Banken" für die Apotheken (wie eine bayerische CSU) haben sich zu morschen Stegen ins Ungewisse entwickelt. Nun sind es die Apotheken, die etwas von dieser Politik wollen, nämlich den Erhalt ihrer Sonderrolle und den Schutz vor den Unbilden des "freien Marktes" – der aber am Ende kurioserweise exakt die Ressourcen heranschaffen muss, um jene Privilegien überhaupt erst zu ermöglichen.

Wir sollten also höllisch aufpassen, dass wir nicht überziehen. Es deutet viel darauf hin, dass mit einem jungen, unverbrauchten Gesundheitsminister Jens Spahn (und seinen unverkennbaren Karriereambitionen) tatsächlich viel zu bewegen ist. Es wird ebenfalls deutlich, dass das auch etwas kosten darf. Nur muss dem ein valider Nutzen gegenüber stehen. Wenn der Minister dabei noch glänzen kann, weil Konzepte etabliert werden, die auch die Bevölkerung begeistern und somit die Wählergunst erhöhen: Umso besser!

Die Zeit der Märchenstunden ist jedoch vorbei. Die Drohung mit dem 2HM-Gutachen mag da als Wink mit dem Zaunpfahl gelten. Es ergibt wenig Sinn, dieses Fass wieder aufzumachen, denn viel gewinnen kann man dabei nicht. Die heutige Honorierung ist in summa nicht schlecht, passt aber immer weniger zu den weiter auseinander driftenden Apothekentypen und Größenklassen.

Konstruktive und gestalterische Arbeit ist nun gefordert. Die zwar nur knappe Beschlusslage zugunsten der Evaluation alternativer Modelle zum strikten Rx-Versandverbot sowie das Einbeziehen externer Experten lassen eine gewisse Hoffnung aufkeimen. Wenn dies jedoch nur dazu dient, auf kunstvollen Umwegen Bestehendes krampfhaft zu konservieren, dürfte zwar wieder etwas Zeit gewonnen, dafür aber der langfristigen Zukunftsperspektive einmal mehr ein Bärendienst erwiesen worden sein. Die reine Arzneimittelversorgung lässt sich auch mit einem deutlich weniger dicht geknüpften Netz sicherstellen, und die Apotheken gehören nun einmal vergleichsweise zu den am stärksten durch Automation und IT-Systeme gefährdeten Berufen im Gesundheitswesen. Das sollte man inzwischen erkannt haben.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(21):19-19