Zum Jahresausklang

Von Weggabelungen und Scheidewegen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Der Jahresausklang ist die Zeit der Besinnung und eignet sich besonders, um eine persönliche Lebensbilanz zu ziehen sowie die Zukunftserwartungen und Zeithorizonte abzustecken. Aktuell erhält das durch die standespolitischen Diskussionen eine besondere Brisanz.

Nutzen Sie das Jahresende – nicht nur, um Ihre Zahlen zu betrachten sowie das neue Jahr operativ zu planen, sondern auch, um über Ihren "Apotheken-Tellerrand" zu schauen. Achten Sie auf die (subtilen) Signale, die Ihre Umwelt, Ihr familiäres Umfeld, aber auch Ihr Körper und Ihr Geist senden. Am Ende sollten Sie wieder voller Überzeugung durchstarten, vielleicht in eine ganz andere Richtung.

Bevor jemand bereit ist, bedeutsame Veränderungen anzustoßen, benötigt er entweder einen nicht mehr aushaltbaren Leidensdruck oder – im positiven Idealfall – Begeisterung, gar Euphorie für etwas Neues. Machen Sie den Test und schätzen Sie sich anhand der Aussagen in der Checkliste selbst ein!

Neues erfolgreich zu wagen heißt, "zur rechten Zeit am richtigen Ort durch das Bild zu laufen." Neben etwas Glück müssen die Zeit und das Umfeld reif für entsprechende Ideen sein. Viele Erfinder waren beispielsweise schlicht zu früh dran und scheiterten grandios.

Die Ausgangssituation

Sie sind voller Tatendrang und empfinden Ihren Beruf und Ihr sonstiges Leben viel mehr als Lust denn als Last – Gratulation! Betrachten Sie dennoch Ihren "Lebens-Zeitstrahl" immer wieder neu! Und vor allem: Übertreiben Sie es nicht mit Ihrem Tatendrang! Man staunt immer wieder, was sich gerade Kollegen im vorgerückten Alter, oft erfolgreich und nicht mehr unter Handlungsdruck, noch aufladen und welche Risiken – geeignet, die ganze Lebensbilanz zu ruinieren – sie eingehen. Für was?

Da haben es nüchterne Persönlichkeiten, die durchaus motiviert, aber eben analytisch und eher emotionsarm agieren, leichter. Sie sind weniger gefährdet, im Überschwang, aus Selbstbestätigungswahn oder reinem Aktionismus heraus Fehlentscheidungen zu treffen.

Empfinden Sie sich dagegen schon lange als Hamster im Hamsterrad, gilt es gegenzusteuern. Die erste Aufgabe: Gewinnen Sie Zeit für sich! Die zweite Aufgabe: Gehen Sie Veränderungen an! Kommen zum Hamsterrad-Effekt wirtschaftliche oder Standort-Probleme hinzu, garniert womöglich noch mit einem kriselnden persönlichen Umfeld, sind Sie im Grunde zum radikalen Umsteuern verdammt – oder zum Niedergang in unterschiedlichster Ausprägung.

Wichtigste Ressource: Zeit

Beurteilen Sie sich immer wieder selbst: Wie stehen Sie hinsichtlich Fitness, Gesundheit und Leistungsfähigkeit bzw. -bereitschaft da? Wie viele "gute" Jahre bleiben Ihnen wohl noch? Was müssen (wobei man mit "müssen" vorsichtig sein sollte, intelligente Menschen haben immer eine Alternative), können und möchten Sie noch erreichen?

Ganz Mutige sehen dem Schicksal ins Auge und lassen sich eingehend auf ihren Gesundheitszustand und ihre Krankheitsrisiken testen ("Manager-Gesundheitscheck", teils mit Ganzkörper-MRT sowie Gentests, am bekanntesten ist 23andme.com). Aber Vorsicht: Nicht jeder kann mit den Testergebnissen umgehen, die ja nur Wahrscheinlichkeiten und Risikoeinschätzungen liefern!

Scheuen Sie sich nicht, Ersatzbestätigungen zu suchen, wenn der Betrieb Ihnen zu wenige positive Impulse liefert. Geeignet sind die Pflege des persönlichen Umfeldes, Hobbys, Sport oder eine Weiterqualifizierung. Wer seine Stärken im heilberuflich-therapeutischen Bereich sieht, der kann sich durch eine Heilpraktiker-Ausbildung neue Handlungsoptionen und Sichtweisen verschaffen. Überhaupt sollten Sie Ihre Talente und Fähigkeiten nicht brachliegen lassen, nur weil der Betrieb Ihnen vermeintlich ein allzu enges zeitliches Korsett anlegt.

Bei einem nachhaltigen Unzufriedenheitslevel könnte das Modell "vorzeitiger Ausstieg" anstehen. Machen Sie eine Vermögens-Privat-Bilanz: Lassen Sie sich Ihre Rentenansprüche ausrechnen. Werden Lebensversicherungen fällig? Haben Sie noch Mieterträge? Welche Belastungen fallen weg (betriebliche und private Schulden, Unterhaltsleistungen etc.)?

Tabelle 1 zeigt, welches Vermögen Sie für 1.000 € Kapitalertrag monatlich benötigen (diese 1.000 € werden mit 2% jährlich zwecks Werterhalt über die Laufzeit dynamisiert, siehe Endbetrag in der letzten Zeile), in Abhängigkeit von der Nettoverzinsung sowie nach Abzug etwaiger Steuern und Abgaben. Im Modell wird das Kapital komplett aufgebraucht. Für andere Monatsbeträge können Sie die Werte linear umrechnen. Vielleicht kommt so ein Lebensabend fernab Europas infrage, zu günstigeren Lebenshaltungskosten und bei besserem Klima?

Eine kritische, ruhige Selbstreflexion sollte Ihnen helfen, die Zukunft klarer zu sehen – und ein falsches "Abbiegen" gerade am Ende des Berufslebens zu vermeiden. Hat man einmal eine völlig falsche Abzweigung genommen, ist es schwer, wieder auf die richtige Spur zu gelangen (Abbildung 1). Das gilt erst recht, wenn man die Neigung hat, öfters die falsche Seite zu wählen – was dann immer weiter ins Aus führt. Leider ziehen gravierende Fehlentscheidungen weitere Fehler geradezu magisch an. Lassen Sie es gar nicht so weit kommen! Denn ganz ehrlich: Haben Sie es noch nötig, sich in berufliche Abenteuer zu stürzen?

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(24):10-10