Drohende Rx-Boni

Der 2,50-Euro-Hammer


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Einer der gefährlichsten Punkte in den Reformvorschlägen unseres Bundesgesundheitsministers Jens Spahn besteht in der Legalisierung von Boni bei verschreibungspflichtigen Präparaten – und damit in der Aushebelung der Preisbindung. Was könnte wirtschaftlich drohen?

Immerhin: 2,50 € Kundenbonus je Rx-Packung bedeuten "nur" 2,10 € nach Mehrwertsteuer. Bei 730 Mio. Rx-Packungen im Jahr stünden dennoch rund 1,5 Mrd. € im Feuer, im schlimmsten Fall wäre das ein Ertragsverlust von knapp 80.000 € jährlich je Apotheke – unter der Voraussetzung, dass die 2,50-€-Grenze hält, woran Zweifel bestehen.

Man kann diesen gefährdeten Rohertrag in dann gefährdete Mitarbeiterstellen umrechnen, eine Argumentation, die bei Politikern eher eine Wirkung zeigt. 1,5 Mrd. € (übrigens noch etwas mehr als das, was das 2HM-Gutachten den Apotheken entziehen möchte) entsprechen jeweils grob etwa

  • 48.000 PKA-Vollzeitstellen,
  • 40.000 PTA-Vollzeitstellen bzw.
  • 24.000 Approbierten-Vollzeitstellen.

In praxi wären die Approbierten weniger gefährdet, die PKA wohl am meisten. Nach Köpfen wären weitaus mehr Angestellte betroffen, denn vieles würde man über Stundenkürzungen und Arbeitsverdichtung lösen. Faktisch ließe sich ein solcher Betrag jedoch kaum wegsparen, es wären also Gewinneinbußen hinzunehmen.

Demgegenüber stünden Umverteilungseffekte infolge zunehmender Schließungen sowie ein dann wieder zumindest regional entstehender Personalüberhang (mit Konsequenzen für die Gehälter). Zudem würden Rx-Boni lokal auf sehr unterschiedliche Art und Weise gewährt. Die Realität sähe also vielschichtiger aus, und der Betrag der tatsächlich ausgeschütteten Boni wäre wohl erheblich niedriger als in der obigen Worst-case-Annahme.

Strategische Aspekte

Sollten Rx-Boni gesetzlich "geadelt" werden, ist es wahrscheinlich, dass sie in die deutsche Apothekenlandschaft "überschwappen". Dürften deutsche Versender Nachlässe gewähren, könnte man dies den übrigen Apotheken auch nicht verwehren. Dann konkurrieren die stationären Apotheken mittels Preisnachlässen um die Rezepte (vgl. Abbildung 1).

Damit verblasst sogar die Gefahr des Versandes, denn die Apotheken vor Ort machen sich selber nieder. Kann es da überhaupt Gewinner geben?

Absatzbetrachtungen

Fangen wir mit den Kunden an. Chroniker und Alte benötigen typischerweise etwa 20 bis 30 Rx-Packungen im Jahr. Die Einsparungen durch Boni zu je 2,50 € beliefen sich also auf überschaubare 50 € bis 75 € jährlich (so sie überhaupt den Kunden zustehen). Das macht niemanden reich oder arm. Da fragt man sich, ob hier nicht mehr zerschlagen denn Nutzen gestiftet wird.

Die größte Gefahr lauert jedoch bei den "lieben Kollegen" – die Over-the-Counter (OTC)-Preisfreigabe vor 15 Jahren mag als Blaupause gelten. Flyer und Co. würden eine Renaissance erleben, um die neuen Medien bereichert. Doch rechnen wir und greifen dazu noch einmal die bekannten OTC-Kalkulationen auf:

Sie verkaufen heute ein Präparat mit einem effektiven Einkaufspreis von 5,00 € für 10,00 € netto. Mit 19% Mehrwertsteuer sind das dann 11,90 €. Nun senken Sie den Preis auf runde 10,00 €, sprich 8,40 € netto. Damit sinkt Ihr Rohertrag von 5,00 € auf 3,40 €, und Sie müssten demzufolge einen Mehrabsatz in Höhe des Rohertragsverhältnisses (5,00 €:3,40 €=1,47 entsprechend 47% mehr Packungen) erzielen. Rechnen wir jetzt noch die wirklich zusätzlich anfallenden, operativ-variablen Kosten je Packung nur für Beratung und Packungshandling mit ein, z.B. eher sparsame 2,00 €, dann müssen die Deckungsbeiträge ins Verhältnis gesetzt werden, also (5,00 €–2,00 €):(3,40 €–2,00 €). So benötigen Sie bereits das 2,14-Fache oder beachtliche 114% an Mehrabsatz, um den Stückertragsschwund und die zusätzliche Kostenbelastung nur zu kompensieren. Einen echten Zusatzgewinn haben Sie immer noch nicht. Analog lässt sich das für Rx-Boni rechnen (Tabelle 1). Dabei gehen wir von lageabhängig unterschiedlichen Rx-Stückerträgen und Rezepterträgen aus. Die operativen Kosten werden mit 3,00 € je Rx-Packung bzw. 4,00 € je Rezept angenommen.

Während 1,00 € Bonus je Rx-Packung noch halbwegs kompensierbar erscheint (nötige Absatzsteigerungen um etwa 10% bis 15%), wird es bei 2,50 € wirklich eng, in aller Regel illusorisch. Selbst wenn man den Mehraufwand unter den Tisch fallen lässt, wären über 25% bis 30% vonnöten. Richtig gerechnet, sind 40% bis gut 50% anzusetzen. Wo soll das herkommen? Das kann nur in Maximalfrequenzlagen funktionieren – auf Kosten einer größeren Zahl umliegender Apotheken.

Etwas "sanfter" fallen die Rechnungen aus, wenn der Bonus nur je Rezeptblatt gewährt wird, und nicht je Rezeptzeile oder Packung. Das wäre im Fall der Fälle eine kluge Alternativstrategie. Dennoch: Auch hier wird es, ehrlich aufwandsbezogen gerechnet, sehr schwer. Über 20% Mehrrezepte bei 2,50 € Bonus je Rezeptblatt wollen erst einmal eingesammelt sein.

In der Praxis werden sich jedoch gerade in größeren Frequenz-Apotheken zusätzliche Barumsätze tätigen lassen. Diese könnten dann quasi die "Gewinnspitze" darstellen, wenn ansonsten nur bestenfalls die Ertragsschwund- und Aufwandskompensation im Rezeptbereich gelingt. Das würde die heutige Situation umkehren, in der Rezepte vermittels günstiger OTC-Preise angelockt werden. Indes sorgen der Versand und übereifrige Kollegen dafür, dass der OTC-Kalkulationsspielraum begrenzt bleibt.

Fazit

"Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos." Mit gesundem Menschenverstand und betriebswirtschaftlichem Denken wird schnell klar, dass Rx-Boni einen massiven "Kellertreppeneffekt" anstoßen würden, erst recht, wenn sich ihre Höhe nicht justiziabel gestalten ließe. Sicher würde die Branche an sich das überleben. Aber die Kollateralschäden wären hoch, zehntausende Beschäftigte würden erheblich betroffen sein – und das nur, damit maximal einige "Zehner" eingespart werden, die gleich an der nächsten Ecke ausgegeben sind?

Angesichts der im Feuer stehenden Beträge braucht man über höhere Notdienstpauschalen (+120 Mio. €) oder völlig undefinierte neue Dienstleistungshonorare (+240 Mio. €, dafür auch Zusatzaufwand) als Kompensation gar nicht näher nachzudenken.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(02):4-4