Den Apothekenwert objektiv ermitteln (Teil 2)

Wie Sie den Planungszeitraum bestimmen


Marco Benz

Das modifizierte Ertragswertverfahren ist neuer Standard, um den Apothekenwert zu ermitteln. Eine zentrale Rolle dabei spielt der sogenannte Planungszeitraum. Doch wie können Sie vorgehen, um ihn zu bestimmen?

Im AWA 3/2019 haben wir den Planungszeitraum als den Zeitraum definiert, den ein Apotheker mit gleicher Eignung und Qualifikation wie der Veräußerer benötigen würde, um die Apotheke – gleichsam bei Null angefangen – am selben Standort neu zu etablieren ("Reproduktion"). Um diesen Zeitraum zu ermitteln, hat der Bundesverband der öffentlich bestellten und vereidigten sowie qualifizierten Sachverständigen e.V. (BVS) ein Modell entwickelt, auf dem auch die hier vorgestellten Berechnungen fußen.

Verwendet werden dabei objektivierbare Faktoren: Zum einen die bisherigen unternehmerischen (Nicht-)Leistungen des Veräußerers (apothekenindividuelle Faktoren), zum anderen vom Veräußerer nicht beeinflussbare Standort- bzw. volkswirtschaftliche Parameter (apothekenexterne Faktoren; vgl. auch AWA 20/2017). Diejenigen Faktoren, die für die Apothekenbewertung geeignet sind, seien nachfolgend in Grundzügen skizziert.

Die apothekenindividuellen Einzelfaktoren

Inhaberabhängigkeit: Hier werden die Fähigkeiten und Kompetenzen des Inhabers (bzw. bei Filialapotheken des Filialapothekenleiters) ebenso wie seine Anwesenheitszeit berücksichtigt.

Personalabhängigkeit: Hier fließen die Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter genauso wie ihre Anzahl ein. Denn schließlich leiden bei einer Verknappung der Ressource "Mitarbeiter" unter anderem die Beratungsqualität und daraus folgend die Kundenzufriedenheit und -bindung.

Umsatzstrukturabhängigkeit: Hier werden die Umsatzstruktur analysiert und das Zusammenspiel mit den Verordnern im Einzugsgebiet bewertet. Je stabiler diese Zusammenarbeit, umso besser ist die Apotheke natürlich aufgestellt.

Organisationsabhängigkeit: Je effizienter die Prozesse in Back-Office bzw. Warenwirtschaft abgewickelt werden und je besser die Lieferfähigkeit ist, desto geringer sind die Prozesskosten. Dieser Faktor ist auch in hohem Maße vom Automatisierungsgrad abhängig.

Leistungsabhängigkeit: Hier spielen die internen Kennzahlen der Apotheke (wie z.B. Korberträge oder Barumsätze der Kunden) eine wesentliche Rolle.

Finanzierungsstrukturabhängigkeit: Hier wird z.B. über den Verschuldungsgrad und die Kreditorenlaufzeit ermittelt, wie stabil die Apotheke aufgestellt ist und wie krisenresistent sie sich zeigt.

Unternehmens- und Privatsphäre: In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wie Apotheken hängen die beiden Sphären eng zusammen. So etwa ist ein Landapotheker, der schon lange vor Ort wohnt, zumeist eng mit der dortigen Bevölkerung verbunden. Und je enger die derzeitige Verquickung, desto länger dauert es, um diesen Status quo wieder zu erreichen.

Regulatorische Abhängigkeiten: Zwar sind gesetzgeberische Einflüsse "apothekenextern". Allerdings wirken sie sich je nach individuellen Charakteristika der Apotheke unterschiedlich auf deren Erfolg aus. Je stärker der Veräußerer von Rezepten oder den teils gesetzlich festgelegten Einkaufskonditionen abhängig ist, desto anfälliger wird er auch für gesetzgeberisch bedingte Ertragseinbußen.

Die apothekenexternen Einzelfaktoren

Wettbewerbssituation: Je höher die Anzahl der Einwohner pro Apotheke im Einzugsgebiet, desto höher ist natürlich auch das Kundenpotenzial der Apotheke.

Altersstruktur: Da die Menschen mit zunehmendem Alter anfälliger für Krankheiten werden, wirkt sich ein höherer Anteil an älteren Menschen positiv auf das Umsatzpotenzial aus.

Gesundheitsausgaben: Je mehr Geld die Einwohner im Einzugsgebiet tatsächlich für ihre Gesundheit ausgeben, desto attraktiver ist der Apothekenstandort.

Haushaltsinformationen: Je höher z.B. das Einkommen und die Kinderzahl pro Haushalt, desto attraktiver ist der Standort.

Kaufkraft: Hier werden zum einen die Kaufkraft für das gesamte Einzelhandelssortiment und zum anderen die absolute Kaufkraft für das apothekenspezifische Sortiment (Over-the-Counter [OTC]-Präparate und Freiwahl) bewertet.

Bevölkerungsprognose: Mittels Prognosedaten lässt sich abschätzen, wie sich die Anzahl der Einwohner in den unterschiedlichen Altersklassen im Einzugsgebiet der Apotheke in naher und ferner Zukunft entwickeln wird. Empfehlenswert sind Daten für die nächsten 15 Jahre.

Pendlerströme: Was nützt eine hohe Kaufkraft der Einwohner, wenn ein Großteil von ihnen aus dem Einzugsgebiet hinauspendelt? Deshalb muss auch der Pendlersaldo am Standort bewertet werden.

Sonstige Standort-Informationen: Hierzu zählen z.B. Informationen darüber, wo die Einwohner ihren Gesundheitsbedarf bevorzugt decken, ihre Bereitschaft zur Selbstmedikation sowie die Bedeutung des Kaufmotivs "Preis".

Bundesland: Die Anzahl und die Werte von Verordnungen variieren von Bundesland zu Bundesland. Weil der Wert der Verordnungen in Hamburg beispielsweise deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt, ist ein Standort dort – bei ansonsten vergleichbaren Faktoren – attraktiver als in Hessen, das sich verordnungsmäßig deutlich unter dem Bundesdurchschnitt befindet.

Grundsätzlich gilt: Die apothekenexternen Referenzdaten müssen sich auf das Einzugsgebiet der Apotheke beziehen, und nicht auf einen Umkreis oder Radius: Verteilen sich nämlich z.B. in einem Postleitzahlen-Gebiet 13.000 Einwohner auf drei Apotheken, und 80% dieser Personen wohnen auf der linken Seite einer vielbefahrenen Bundesstraße, dann hat eine Apotheke auf der rechten Seite recht wenig davon.

Und wie geht man nun vor?

Zunächst werden die apothekenindividuellen Daten der zu veräußernden Apotheke ermittelt. Dann bewerten Sie jeden einzelnen Faktor. Dafür setzen Sie jeweils einen Zeitraum zwischen einem und 13 Jahren für die Reproduktionsdauer am Standort an. Anschließend bilden Sie den Durchschnitt über alle acht Einzelfaktoren und erhalten den apothekenindividuellen Gesamtfaktor (Tabelle 1).

Ähnlich verfahren Sie bei den apothekenexternen Einzelfaktoren: Hier ermitteln Sie jeweils, wie das Einzugsgebiet im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (=1,0) dasteht. Der Durchschnitt über alle neun Faktoren entspricht dann dem sogenannten "Multiplikator" (Tabelle 2).

Nun sind Sie schon fast fertig, denn der Planungszeitraum errechnet sich wie folgt:

In unserem Beispiel aus den Tabellen 1 und 2 beträgt er damit 6,9 Jahre·1,15=7,9 Jahre.

Ausblick: Im nächsten Beitrag erfahren Sie, wie der Substanzwert der Apotheke bestimmt wird.

Marco Benz, apomind CoMM GmbH, 73037 Göppingen, E-Mail: m.benz@apomind.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(05):8-8