Nachlese FUTUREPHARM 2019

Digital-Erkenntnisse für die nähere Zukunft


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Nichts ist so ungewiss wie die Zukunft – und dann kommt es doch anders, als man denkt. Dennoch ist der Blick nach vorne immer spannend, erst recht, wenn Künftiges von Experten beleuchtet und teils schon ganz praktisch von progressiven Apotheken umgesetzt wird.

Digitalisierung und Internet – bedeutet das nun die völlige Disruption, positiver gewendet die "kreative Zerstörung" oder auch enorme Chancen? Angesichts der zunehmenden Online-Anteile im Handel ist die Angst in den stationären Geschäften quer durch alle Branchen evident. Geschäftsaufgaben senden eindeutige Signale. Speziell unser Heilberufler-Nachwuchs sieht die freiberufliche Zukunft und die hohe Arbeitsbelastung nicht zuletzt aus solchen Gründen zunehmend kritisch (siehe u.a. die apoBank-Studie "Zukunftsbild Heilberufler 2030"). Gleichzeitig gibt es aber eine ganze Reihe "weißer Raben", also Unternehmer, denen es gelingt, trotz schwieriger Randbedingungen über dem Durchschnitt zu wachsen und sich immer noch als attraktive Alternative zum Versand zu positionieren.

Stationär ist nicht tot!

Die Werte aus diversen Erhebungen prognostizieren dem stationären Einzelhandel durchaus noch gute Chancen:

  • Die große Kunden-Mehrheit (rund 3/4) sucht im Netz nach stationären Geschäften.
  • Unternehmensseiten stehen ganz oben bei der Informationssuche, mit Abstand folgen erst Online-Portale.
  • Gesucht wird zu gut 50% nach Sonderangeboten und Öffnungszeiten, ebenfalls zur Hälfte nach Bewertungen, zu einem Drittel nach Adresse und Kontaktdaten.
  • Jede zwanzigste aller Google-Suchen hierzulande beschäftigt sich mit Gesundheit.
  • Ein hoher Kundenanteil (knapp die Hälfte) recherchiert heute erst im Internet – und kauft dann doch im Laden. 2/3 der Kunden sind dabei nicht markentreu.

Begriffe, die immer wieder fallen, sind Vertrauen, Kompetenz, Persönlichkeit und "Erlebniseinkauf". Die "Eventisierung des Einzelhandels" ist das Schlagwort. Auch wenn dies seit Jahren mantraartig wiederholt wird und bisweilen eher an das Pfeifen im dunklen Wald erinnert – es gibt eben Erfolgsstorys. So gelingt es beispielsweise einem Schuhhändler im durchaus höheren Preissegment, durch Event-Abende speziell für Stammkunden seinen Absatz deutlich zu steigern. Sage und schreibe 80% der Eventteilnehmer kaufen aus diesem Anlass neue Schuhe! Die spannende Frage ist natürlich, wie viele der kontaktierten Stammkunden tatsächlich zu einem solchen Abend kommen. Das hängt vom Gebotenen ab. Auf die Apotheken übertragen bedeutet dies, dass diverse, auch nicht-fachliche Veranstaltungen eine erwägenswerte Option sind. Eine sorgfältige Zielgruppenselektion minimiert die Streuverluste bei z.B. regelmäßigen Newslettern. Positiv: Gerade Apotheken-Stammkunden haben ja typischerweise mehr Zeit.

Click & Collect

Ein Ausweg aus der Versandmisere wird in Click & Collect-Systemen gesehen – im Netz vorbestellen, im Laden abholen. "Big-Player" wie Elektronikmärkte, traditionell extrem stark vom Versand bedrängt, können bereits beachtliche Erfolgsraten vorweisen. Entscheidend wird für unsere Apotheken eine branchenweite Plattform sein, welche bei Kunden einen hohen Bekanntheitsgrad erlangen muss, was eine hohe Hürde darstellt. Hier könnten Anbieter wie ein Wort & Bild-Verlag, dessen Internetseiten rund 10 Mio. User und über 40 Mio. Seitenaufrufe monatlich verzeichnen, tatsächlich einen entscheidenden Vorsprung haben.

Google als Value Driver

Über die Google-Plattform konnten Sie einiges im AWA 05/2019 lesen. Insbesondere unter starkem Wettbewerbsdruck stehende Apotheken in den Städten sollten alles daran setzen, schnell im Netz gefunden zu werden. Google My Business ist ein Einstieg – hinterlegen Sie dort Ihre Daten. Stellen Sie attraktive, einladende Bilder von Ihrer Apotheke, gewissen Sortimenten oder einigen "Highlights" ein. Achten Sie auf vollständige Anschrift und Kontaktdaten sowie korrekte Öffnungszeiten – danach wird immer noch am häufigsten gesucht. Überlegen Sie sich treffende Beschreibungen und überlegen Sie, wie Sie zu positiven Bewertungen im Web kommen. Und schon heben Sie sich aus der Masse wieder etwas besser hervor! Wichtig: Sie müssen Ihre Eintragungen ganz konventionell per Post verifizieren.

Tipp: Mit einer attraktiven Präsentation bei Google erzielen Sie ein Vielfaches an Klicks, als Sie sie mit Ihrer Website je erzielen können (letztere halten sich ja oft sehr im Rahmen)!

Schnell bezahlen

Wichtiger werden Bezahlsysteme. Dies ist nicht nur eine Frage der Kundenbequemlichkeit und damit ein Wettbewerbsfaktor. Bargeldhandling kostet viel Zeit, noch etwas länger dauert heute die typische Kartenzahlung. Wesentlich schneller sind kontaktlose Bezahlmethoden mittels NFC-Technik (Near Field Communication). An Systemen wie Apple Pay, Google Pay oder adäquaten Lösungen der Banken wird eine moderne Apotheke heute nicht mehr vorbeikommen.

Digitale Wohnstube

Die Digitalisierung der Offizin mit großflächigen Bildschirmen verspricht in der Sichtwahl Erfolg, während Bildschirme in der Freiwahl zur Selbstbedienung seitens der Kunden bislang noch sehr zögerlich angenommen werden. Eine virtuelle Sichtwahl umfasst mehrere Aspekte. So entfällt das Um- und Einräumen (in Kombination mit einem Kommissionierautomaten), es können weiterhin schlicht Packungen im Bestand eingespart und damit die Kapitalbindung reduziert werden. Augenfällig sind die neuen Möglichkeiten, die "Sichtwahlbühne" völlig neu zu bespielen – bis hin zu Stimmungsbildern, welche der ganzen Offizin ein situativ anpassbares Ambiente verleihen können.

Fazit

Abseits gesetzlicher Schutzzäune haben die Offizinapotheken durchaus noch starke Trumpfkarten auf der Hand, um auch in einer weiter digitalisierten und webbasierten Welt zu bestehen. Sie müssen ihre Trümpfe aber rechtzeitig ausspielen, sonst versauern diese auf der Hand! Und am Spieltisch sitzen nicht nur Versandhändler, Amazon und Co., sondern auch die Kollegen gegenüber. Der kluge Umgang mit der Konkurrenzlage vor Ort ist aber wieder ein ganz anderes Thema …

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(07):6-6