Apothekenzukunft

Russisches Roulette


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es gibt Menschen, die zuverlässig unter den zur Wahl stehenden Optionen die für sie schlechteste und mühsamste heraussuchen, so wie es Zeitgenossen gibt, denen alles Mögliche, ja fast Undenkbare widerfährt, und dies laufend – die bekannten Pechvögel. Nach Murphy's Law geht zudem alles schief, was denn schiefgehen kann. Unser Berufsstand scheint ebenfalls in die Kategorie der Wesen "on the dark side of the moon" zu gehören. Dies zeigen die letzten Monate wieder eindrucksvoll.

Kern der Sache ist der leidige Rx-Versand, welcher es übrigens trotz des Quasi-Falls der Rx-Preisbindung für Auslandsversender nicht geschafft hat, Boden gutzumachen – die Marktanteile im Rezeptsegment stagnieren seit Jahr und Tag. Die Augen sind indes auf die Zukunft und das E-Rezept gerichtet, das in der Tat als "Gamechanger" und für manch klassische Apotheke als "Showstopper" wirken könnte. Wurde jahrelang das Versandverbot für Rx-Arzneimittel mit Verve und geradezu penetrant vertreten, hörten wir zum Ende des letzten Jahres überraschenderweise ganz neue Töne.

Nebenbei: Ein Versandverbot für alle Arzneimittel oder auch versanderschwerende Auflagen für die Abgabe (nicht Logistik) apothekenpflichtiger Arzneien – wie z.B. die Erfordernis des persönlichen Kontaktes – wurden interessanterweise nie verfolgt. Und eine eigene zentrale Lieferplattform? Seit 15 Jahren verschlafen! Die jüngeren "Kamin- und Vier-Augen-Gespräche" mit dem Bundesgesundheitsminister müssen demzufolge einen starken Eindruck bei der Standesführung hinterlassen haben. Ich vermute den Verweis auf die zwei nuklearen Universalwaffen gegen allzu aufmüpfige Apotheker, und die heißen "Preisbindung" und "Fremdbesitzverbot". Da knicken sie dann alle ein.

So nahm das Unheil seinen Lauf. Ein erster Gesetzesentwurf zur "Apothekenstärkung" machte aus der gesicherten (deutschen) Preisbindung ein sensibles löcheriges Konstrukt (u.a. im Hinblick auf die Privatverordnungen), neu aufgehängt im Sozialgesetzbuch V mit Verweis auf eine "entschlackte" Arzneimittelpreisverordnung – dies allerdings wohl EU-rechtssicher. Diese "Entschlackungskur" der Preisverordnung um den berühmten §78 Abs. 1 Satz 4 ("die Arzneimittelpreisverordnung […] gilt auch für Arzneimittel, die […] in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden") sowie die Streichung der Länderliste sollen die Reform eben aus der Schusslinie des EU-Rechts nehmen. Hierüber tobt nun der Gelehrtenstreit. Vereinfacht sind folgende Entscheidungsoptionen möglich:

1. Annahme des Ministeriumsvorschlags. Damit ist die Preisbindung zwar aufgeweicht, aber wohl EU-rechtssicher. Fragezeichen stehen hinter der Durchsetzbarkeit gegenüber ausländischen Versendern.

2. Verschärfung des Ministervorschlags durch Beibehaltung des § 78 Abs. 1 Satz 4, der die Auslandsversender in die Pflicht nimmt – aber mit EU-Recht kollidiert und das Ganze somit wieder vor den Europäischen Gerichtshof bringen dürfte.

3. Festhalten am Rx-Versandverbot, was wohl rechtlich machbar wäre und eher in der Heimat beklagt werden könnte ("Berufsfreiheit"). Doch wer sollte hier noch klagen? Viel deutschen Rx-Versand gibt es nicht mehr, zumal niederländische Versender ja kräftig die deutsche Konkurrenz aufkaufen.

4. Aufgabe der Preisbindung und Ersatz durch Verhandlungspreise auf lokaler bzw. Landesebene.

Will man am jetzigen Festpreissystem festhalten, ist ein Verzicht auf das Rx-Versandverbot völlig unverständlich. Obwohl die vierte Option manche Chancen böte (u.a. jährliche Verhandlungen), ist der Berufsstand mental hierzu noch nicht bereit. Bleiben die laue, aber EU-rechtssichere Variante 1 sowie die nun von der ABDA-Mitgliederversammlung gewählte Option 2. Letztere beinhaltet jedoch das hohe Risiko eines erneuten EU-Gerichtsverfahrens, in welchem die Wirksamkeit der Gleichpreisigkeit dargelegt werden müsste. Und hier lautet meine ehrliche Meinung: Das wird mit Blick auf die wirtschaftliche Realität verdammt schwer werden, doch dazu an anderer Stelle mehr. Die Chancen stehen m.E. 50:50 – schlechter als beim russischen Roulette! Und so sind wir wieder bei den einleitenden Zeilen ...

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(10):19-19