Wandel mit Ladehemmung

Der Beharrungsfaktor


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Die Unbeweglichen und Indifferenten von heute sind die Insolventen von morgen." Tatsächlich gibt es genügend Beispiele, wo selbst ehemals mächtige Großkonzerne unter das Räderwerk des Fortschritts gekommen sind: Der einstige "Drogeriemarktkönig" Schlecker, die Baumarktkette Praktiker, die vormaligen "Kaufhauskönige" Neckermann und Quelle bzw. dann Arcandor oder in den USA die ehemals führende Foto-Firma Kodak. Selbst General Motors, eine der größten US-Firmen, ist vor rund zehn Jahren nur knapp der Pleite entronnen. Im Markt der großen Publikums- und Tageszeitungen wartet man gespannt auf den ersten "Großen", der die Flügel streckt. Schon stehen die ersten "Big-Pharma-Konzerne" auf der Schreckensliste – angesichts so mancher Schuldenstände und grassierendem Übernahme-Gigantismus kein Wunder, vor allem wenn die Gelddruckmaschinen der "Blockbuster" ins Stocken kommen sollten. Man schaue aktuell z.B. auf den Generika-Giganten TEVA.

"Lieber pleite als sich wandeln" – so dürfte das "Erfolgsmotto" bei vielen einst starken Firmen lauten. Eingelullt von jahrelang sprudelnden Gewinnen, träge geworden durch Marktführerschaft und vermeintlich kleingehaltene oder schlicht aufgekaufte Konkurrenz, findet sich die Wohlstandsverfettung nicht nur bei einzelnen Individuen, sondern in ganzen Unternehmen. Zwar wird dann in periodischen Kostensenkungsrunden immer wieder etwas Speck herausgeschnitten, und es laufen Heerscharen hochbezahlter Berater und "Rationalisierer" durch die Flure. Doch im Grunde wandelt sich die Mehrzahl der Firmen nicht grundlegend. Der Autobauer baut Autos wie eh und je, der Fleischkonzern züchtet – allenfalls kosteneffektiver – immer mehr Schweine und Druckereien drucken, was das Zeug hält. Wenn es die Stückzahlen nicht mehr hergeben, erhöht man eben die Preise, entweder direkt oder trickreich indirekt. Hinsichtlich indirekter Preiserhöhungen offenbart sich der Fantasiereichtum ganzer Branchen, seien es kunstvoll verkleinerte Packungen zum gleichen Preis, sei es das Spiel mit den Ausstattungen (Autobranche!) oder seien es schlicht weniger Seiten und geringere Qualität bei diversen Zeitungen. Notfalls helfen zusätzlich schlicht Betrug, Bestechung und Lobbyismus.

Diese Fantasie hätte man lieber einmal in die Erkundung künftiger Märkte und Bedürfnisse gesteckt – und in eine entsprechende Produktentwicklung. Hier zeigt sich dann eklatantes Führungsversagen. Und man fragt sich gerade bei börsennotierten Firmen, wie es soweit kommen konnte und warum schwache Vorstände so lange so unheilvoll gewirkt haben. Doch gehen etliche "Chief Executive Officers" schon trickreich vor, um ihr Unvermögen zumindest über einige Jahre zu verschleiern und auf dem Papier gute Zahlen zu liefern. Abspaltung, Auslagerung, Verkauf von Sparten und kunstvolle Finanzierungsakrobatik (will unter dem Strich heißen: steigende Verschuldung) können die Zukunftsprobleme eine Weile elegant verdecken. Aktienanleger sollten hier eine entsprechende Sensibilität entwickeln. Bei den Familienunternehmen erweisen sich gerne (alters-)starrsinnige Firmenpatriarchen als das größte Zukunftsrisiko, gefolgt von der gefürchteten "dritten Nachwuchsgeneration", die lieber von der Substanz lebt als hart arbeitet.

Das Grundübel vieler Firmen ist eine zumindest latente Kundenverachtung. Man "drückt" Produkte in den Markt, man strebt die "Preissetzungsmacht" an und versucht, Trends aktiv zu gestalten oder gar Märkte künstlich neu zu erschaffen. Man weiß angeblich, was Kunden brauchen – und diese haben es dann zu schlucken, bisweilen wortwörtlich. Doch Winde drehen sich, entwickeln sich zu Stürmen, und keine Firma oder Branche hat heutzutage noch die Meinungsführerschaft auf Dauer gepachtet. Dann fangen die ernsten Probleme an.

Insofern müssen auch wir als Apotheker aufpassen. Wir meinen zu wissen, was für unsere Kunden gut ist – oder aus Expertensicht gut zu sein hat. Gleichzeitig scheuen wir den Wandel, das Verlassen der Komfortzone. Und doch spüren wir, dass es so wie heute nicht mehr bleiben wird.

Da bleibt nur wieder der gute alte Albert Einstein, der schon wusste: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen, und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert!"

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(13):19-19