Gut organisiert ist halb gewonnen (Teil 2)

Best Practice: Filialen erfolgreich aufstellen


Dr. Michael Brysch

Je größer Ihr Unternehmen, umso schwieriger wird es, alles effizient zu managen. Gerade Filialverbünde stehen vor besonderen organisatorischen Herausforderungen. Wie Sie die meistern können, wurde auf dem 6. TAD-Küstengespräch am 09.11.2019 in Bremerhaven vorgestellt.

Uns steht ein Tsunami bevor! Davon zeigte sich Dr. Stefan Hartmann, der erste Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK), überzeugt. Doch aufgeben will Hartmann keinesfalls. Sein Ziel ist es, alles, was da kommen wird, zu überstehen – und vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Die zentrale Frage, um das zu schaffen: "Wie müsste die stationäre Apotheke aufgestellt sein, wenn Amazon vollumfänglich – als Krankenkasse, als Großhandel und als Versandapotheke – in den Apothekenmarkt einsteigen würde?"

Um diese Frage zu beantworten, solle man sich überlegen, was Amazon, DocMorris und Co. – abgesehen von der persönlichen Beratung – auch zukünftig wohl nicht bieten könnten. Gerade die personalintensiven Bereiche böten die Chance, Patienten in der Vor-Ort-Apotheke zu halten. So etwa setzt Hartmann u.a. auf die Inkontinenzversorgung und ein Venenkompetenzzentrum. Außerdem freut er sich schon auf das Modellvorhaben zur Grippeimpfung in der Apotheke: "Ist das nicht geil?"

Das Beispiel

Hartmann leitet einen Filialverbund aus vier Apotheken mit 61 Mitarbeitern (18 Approbierte, 40 PTAs und drei PKAs). Hinzu kommen vier Boten, die ihrer Aufgabe mit zwei Botendienstfahrzeugen nachkommen. Beliefert werden die Apotheken von mittlerweile fünf Großhändlern. Ein paar Kennzahlen des Verbundes:

  • Kunden: 185.000 p.a.,
  • Lagerwert: 390.000 €,
  • Absatz: 373.000 Packungen p.a.,
  • Absatz über die gesetzliche Krankenversicherung: 96.500 Packungen p.a.,
  • Lagerbestand: 55.000 Packungen,
  • Lagerbreite: 19.000 Packungen,
  • Lieferfähigkeit: 82%–87%.

Um solch einen Verbund zu managen, muss alles gut organisiert sein, sowohl innerhalb der einzelnen Apotheken als auch zwischen ihnen. Hartmann stellte vor, wie ihm das gelingt – und zwar nach dem Grundsatz: "Jede Apotheke muss sich fremdfinanziert in Mieträumlichkeiten zu 100% rechnen." Denn schließlich werde unsere Zukunft eben nicht mehr lediglich pharmazeutisch, sondern auch "politisch und betriebswirtschaftlich entschieden: Nur wenn unsere Apotheken einen entsprechenden Gewinn erwirtschaften, können wir in die pharmazeutische Qualität investieren."

Ähnlich den Brüdern Nattler (vgl. AWA 23/2019) führt auch Hartmann sein Team, indem er den Mitarbeitern Verantwortung überträgt und ihnen vertraut. Die Mitarbeiter müssen ihm den Rücken freihalten, damit er als Chef sich auf die folgenden Aufgaben fokussieren kann:

  • Gesamtstrategie,
  • Gesamtorganisation,
  • Personalgesamtverantwortung,
  • Personalakquise,
  • Finanzierung (inklusive individueller betriebswirtschaflicher Auswertungen und Reportingsysteme) sowie
  • IT-Infrastruktur (inklusive Digitalisierung).

Ebenfalls wie die Brüder Nattler hält es Hartmann für sinnvoll, Mitarbeiter nach ihren Stärken bzw. Präferenzen einzusetzen: "Es gibt wirklich Menschen, die die Rezeptur oder das Verblistern lieben. Wenn Sie denen zuschauen bei der Arbeit: Da geht Ihnen das Herz auf! Die kann ich nach Hamburg oder nach Berlin auf Fortbildungen schicken, mit dem Flieger und mit Übernachtungen: Was glauben Sie, wie motiviert die zurückkommen?"

Die Filialleiter

Damit sich jede Apotheke rechnet, müssen die Filialleiter – von Hartmann "Apothekenleiter" genannt – wie Unternehmer denken. Sie "organisieren ihre Apotheken wirklich so, als ob es ihre eigenen wären." Entsprechende Stellenbeschreibungen existieren. So sind die Filialleiter z.B. für die Urlaubsregelungen in ihrer Apotheke verantwortlich. Und wenn etwa ein Hochpreiser für 50.000 € bestellt werden müsse, entscheide natürlich auch die Filialleitung, wo das geschieht – beim Großhandel oder direkt. Gehe es nicht um Waren, dürfen die Filialleiter (derzeit) für bis zu 2.000 € einkaufen, ohne sich bei Hartmann rückzuversichern. Denn gebe etwa ein Rezeptdrucker seinen Geist auf, für den man sowieso Ersatz benötige, "dann möchte ich damit nicht mehr belästigt werden."

Alle sechs Wochen trifft man sich zu einer Leitungsbesprechung, die einen Vormittag dauert. Dann berichtet jeder Leiter über seine Filiale, und Hartmann erläutert Neuigkeiten, die ihm wichtig sind. Besprochen wird auch eine sogenannte Offene-Themen-Liste: "Da werden Themen definiert, die jeder zu bearbeiten hat. Ist ein Punkt erledigt, wird er herausgenommen, damit keine Aufgaben untergehen." Zudem unternehme man einmal im Jahr einen Apothekenleiterausflug – zumeist zum "PZ-Management-Kongress" nach Mallorca, um dort auch über Dinge zu reden, für die sonst keine Zeit bleibe. Weiterhin habe man das Filialapothekenleiter-Magazin "Eins & Drei" abonniert.

Selbstverständlich sei schließlich, dass alle Filialleiter ein Diensthandy sowie einen Dienstlaptop erhalten und (soweit möglich) Homeoffice machen dürfen. Hartmann dazu: "Ich muss halt Vertrauen haben. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie [die Filialleiter] sogar eher weniger abrechnen."

Die Synergien

Wer seinen Filialverbund effektiv organisieren will, muss Synergien bündeln. Das geschieht bei Hartmann z.B. in Form einer softwaregestützten zentralen Preisgestaltung. Bereits vor einiger Zeit habe man die Preise apothekenübergreifend im gesamten Freiwahl- und Over-the-Counter (OTC)-Bereich um 7% bis 15% erhöht. Während das in der Freiwahl wegen einer höheren Preissensibilität nicht funktioniert habe, sei man im OTC-Bereich dabei geblieben – ohne nennenswerte Kundenverluste.

Hartmann: "Wir wissen alle, dass 20% des OTC-Gesamtumsatzes heute an der stationären Apotheke vorbeilaufen. Das sind bei mir statistisch betrachtet 5.000 € pro Apotheke und pro Monat, [...] die ich auch nicht wieder zurückbekomme, wenn ich wieder mit meinen Preisen nach unten gehe. Wir leben im stationären Einzelhandel, wir müssen Geld verdienen [...]. Wir haben auch bis heute keine flächendeckenden Flyeraktionen mit Billigpreisen." Er biete lediglich einmal im Monat eine Zahlteller-Aktion an: Da gebe es "zwei Produkte wirklich zu einem Top-Preis."

Zentral geregelt ist bei Hartmann auch der Einkauf über den Großhandel mitsamt Retourenmanagement. Er selbst sei ein "Just-in-Time-Fan", der gerne über den Großhandel bestelle. Denn der Direkteinkauf rechne sich häufig nicht: In seinen Apotheken setze man pro Außendienstmitarbeiter-Besuch Prozesskosten von 70 € bis 100 € an – und die müssten erst einmal wieder hereingeholt werden. Seine Empfehlung: "Da müssen Sie aussieben. Auf die nette Art, aber knallhart. Suchen Sie sich ein paar [Hersteller] zusammen, circa zwanzig [...], mit denen Sie wirklich zusammenarbeiten wollen!"

Die Großhandelsrechnungen lässt Hartmann für seine vier Apotheken gemeinsam extern überprüfen. Das sei ein wichtiges Thema: "Wir Apotheker unterhalten uns oft wahnsinnig gerne darüber, ob wir eine Nagelschere von der Firma XY für 65 Cent oder 75 Cent verkaufen. Da können wir uns zehn Stunden ohne Ergebnis drüber unterhalten. Aber bei einer Großhandelsrechnung machen Sie ohne Diskussionen einen Haken dran über 100.000 €!"

In seinen vier Apotheken und auch in seiner Apothekenkooperation sei die Prüfung der Rechnungen zwar "nicht mehr in dem Maß erforderlich, weil sich der Großhandel gar nicht trauen würde, uns [...] die Konditionen, auf die wir uns geeinigt haben, nicht zu geben." In Einzelapotheken habe er allerdings schon "ganz, ganz gruselige Sachen" erlebt.

Auch die Spezialisierungen hat Hartmann zentralisiert: In einer der Apotheken messen die Mitarbeiter für alle Apotheken Kompressionsstrümpfe an (Venenkompetenzzentrum). Und verblistert wird ebenfalls nur an einem Standort – für insgesamt drei Heime.

Last, but not least: Zur Verrechnung der Kosten für getauschtes Personal und alles andere, "was auch immer zwischen den Filialen hin und her geht," empfahl Hartmann, "dass Sie intern eine umsatzsteuerfreie Rechnung schreiben, damit Sie jede Apotheke sauber betriebswirtschaftlich gerechnet haben (...). Ganz, ganz wichtig!"

Dr. Michael Brysch, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Chef-Redakteur AWA, E-Mail: mbrysch@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(01):6-6