Sinn der Preisbindung

Neue Runde im Gutachten-Bingo


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Nach dem noch nicht verdauten 2hm-Gutachten-Debakel läutet unser Gesundheitsminister Jens Spahn nunmehr eine zweite Runde ein. Jetzt werden die Arzneimittel-Preisbindung und deren Nutzen bzw. gar Notwendigkeit für eine flächendeckende, ordnungsgemäße Versorgung fokussiert. Beauftragt ist das IGES-Institut, das u.a. den Arzneimittel-Atlas herausgibt. Fachliche Expertise darf man somit wohl voraussetzen. Und so droht die nächste "Überraschung", die bei nüchterner Überlegung gar keine sein sollte. Die Karten liegen schließlich auf dem Tisch.

Zuerst: Ja, die Preisbindung ist geeignet, eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Das dürfte völlig unstrittig sein. Setzt man das Honorar nur hoch genug an, wird man auch in Klein-Entenhausen hinter dem Berg rentabel eine Apotheke betreiben können. Indes ist Geld nicht alles, was sich z.B. an den Landärzten sehen lässt: Obwohl man hier sicher keine materielle Not zu fürchten hat, bleiben "Arztsitze" mit einem Einkommen jenseits der 200.000-€-Grenze zunehmend unbesetzt.

Das leitet zum entscheidenden Punkt über: Ist ein einheitlicher Arzneimittelpreis eine wirtschaftliche Maßnahme, oder gibt es nicht günstigere Alternativen, mit denen sich das Ziel genauso erreichen lässt? Hier wird es spannend. Machen wir eine bewusst einfache Modellbetrachtung.

In einer Apotheke fallen über das Gesamtsortiment hinweg je Packung etwa 5 € Kosten vor Unternehmerlohn an. Dass diese Kosten standortabhängig von München bis Mecklenburg-Vorpommern schwanken (was schon Zweifel an der Sinnhaftigkeit gleicher Preise wecken könnte, wie bei anderen Gütern des täglichen Lebens), sei erwähnt, aber hier nicht vertieft. Je Rx-Packung mögen die Kosten spürbar höher liegen, beispielsweise bei 7 € bis 8 €, was mit den heute erzielten Deckungsbeiträgen konform geht. Wir legen zudem als trefflich diskutable Rentabilitätsuntergrenze für eine Apotheke ein Teilbetriebsergebnis ("Gewinn") von 100.000 € nur aus dem Rx-Segment fest.

Pro Kopf der Bevölkerung werden in etwa neun Rx-Packungen verordnet, in Städten (Fachärzte!) mehr, auf dem Land weniger – was für eine regionale Differenzierung spricht. Nehmen wir an, wir möchten einer Land-Apotheke mit nur 15.000 Rx-Packungen jährlich (für entsprechend rund 2.000 Einwohner) aus versorgungspolitischen Gründen eine Existenzgrundlage bieten. Dann bräuchte diese Apotheke einen Deckungsbeitrag von 100.000 €/15.000 Packungen = 6,67 € zusätzlich zu ihren Kosten von sagen wir 7,50 €, also gut 14 € Packungsertrag. Gehen wir von einer Apotheke mit bereits 25.000 Rx-Packungen aus, wären geringere 4,00 € plus 7,50 €, also 11,50 €, opportun. Und der Durchschnitt mit inzwischen fast 40.000 Rx-Packungen käme mit gut 2,50 € Deckungsbeitrag oder rund 10 € Ertrag aus.

Hier wird schnell deutlich: Legen wir das Honorar (z.B. auf erwähnte 14 €) so fest, dass Klein-Entenhausen noch seine Apotheke hat, werden sich große Apotheken einen Ast lachen und extrem profitieren. Justieren wir das Honorar indes zu niedrig, kann tatsächlich eine Ausdünnung in der Fläche erfolgen. Über die Honorarhöhe lässt sich also immanent eine Versorgungsuntergrenze definieren. Andere Länder sind da ehrlicher: Sie begrenzen die Niederlassung und garantieren so eine ausreichende Einwohnerzahl je Apotheke.

Nun leben zwei Drittel der Deutschen in Orten mit über 10.000 Einwohnern, und hier werden fast drei Viertel des Apothekengeschäftes getätigt. Will man also die Versorgung in der Fläche fördern, ist es sinnvoller und viel preiswerter, dies dort gezielt zu tun (z.B. durch ein fondsgestütztes Umverteilungssystem analog dem Nacht- und Notdienstfonds), als die Festpreise mit der Gießkanne so hoch zu setzen, dass auch die Apotheke in Klein-Entenhausen glücklich wird. Nebenbei stützen wir mit zu hohen Honoraren viele städtische Apotheken, die wir – rein versorgungspolitisch betrachtet – leider nicht bräuchten. Jeder Euro Rx-Apotheken-Honorar schlägt bei den Kostenträgern mit fast 900 Mio. € brutto auf! Man schaue auf obige Werte und rechne ...

So bleibt Ernüchterung: Festpreise kann man machen, sehr zielgenau sind sie nicht. Es gäbe clevere Alternativen – ganz ohne Kundenboni. Denn Boni haben bei einem Sachleistungsprinzip nichts zu suchen!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(03):19-19