Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung (Teil 1)

Retaxationen und Regresse – Zwei Seiten einer Medaille


Dr. Dennis Effertz

Die Ihnen wohlbekannte Abrechnungskontrolle steht Ärzten auf ähnliche Weise als sogenannte Wirtschaftlichkeitsprüfung ins Haus – und hat, weil die Ärzte nun einmal Verordner sind, auch große Bedeutung für Apotheken. Im Rahmen dieser kleinen Serie erklären wir Ihnen, warum!

Finanzielle Rückforderungen von Krankenkassen sind kein "apothekenexklusives" Phänomen: Abrechnungen werden in nahezu allen Leistungsbereichen geprüft und erforderlichenfalls berichtigt. Weil sich allerdings die Vertragsgrundlagen und rechtlichen Rahmenbedingungen je nach Leistungsträger unterscheiden, weichen auch Prüfwesen, Umsetzung und Bezeichnung dieser monetär wirksamen Maßnahmen voneinander ab. So sprechen wir z.B. bei Apotheken von "Retaxationen" und bei Ärzten von "Nachforderungen" (früher: "Regresse").

Diese kleine Serie soll Ihnen ein Grundverständnis für die Wirtschaftlichkeitsprüfung vermitteln – mit dem Fokus auf Arzneimittelverordnungen. Zunächst verschaffen wir Ihnen einen Überblick über die Thematik, um dann alltagsrelevante Fragestellungen zu erörtern. Am Ende sollen Sie in der Lage sein, das ärztliche Verordnungsverhalten besser zu verstehen, um dem Arzt Verordnungsvorschläge unterbreiten zu können, die nicht nur pharmazeutisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll für ihn sind.

Die rechtlichen Grundlagen

Der Gesetzgeber verpflichtet die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in den §§106ff. Sozialgesetzbuch (SGB) V, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen. Wie das konkret ausgestaltet wird, dürfen die Vertragspartner über die sogenannten Prüfvereinbarungen selbst entscheiden. Das, was Ihnen als "Regionalität" der Arzneilieferverträge (für Primärkassen) bekannt sein dürfte, findet sich bei Ärzten somit in den Verträgen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung wieder.

Das Prüfwesen im Bereich der Ärzte unterteilt sich in zwei wesentliche Bereiche:

1. Prüfung ärztlicher Leistungen auf

  • Wirtschaftlichkeit (§106a SGB V) sowie
  • Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnung (§106d SGB V).

2. Prüfung ärztlich verordneter Leistungen auf Wirtschaftlichkeit (§106b SGB V).

Für Sie in der Apotheke ist der letzte Punkt relevant. Denn hierzu zählen neben Hilfs- und Heilmitteln vor allem Arzneimittel.

Notabene: Für die Abrechnungsprüfung gegenüber Apotheken existiert kein expliziter gesetzlicher Auftrag. Dieser ergab sich früher aus den allgemeinen Erwägungen zur Prüfpflicht der Krankenkassen. Seit Einführung des §129 Abs. 4 SGB V im Jahr 2015 lässt er sich – als Umkehrschluss – aus den Regelungen darüber ableiten, wann Retaxationen unterbleiben müssen.

Neutralität des Prüfwesens

Einige wesentliche Grundsätze im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung weichen teils deutlich vom Ihnen bekannten Abrechungsverkehr mit den Krankenkassen ab. So ergibt sich die Neutralität des Prüfwesens gemäß §106c SGB V durch eine unabhängige und regional zuständige Prüfstelle sowie einen Beschwerdeausschuss, der sich paritätisch aus Vertretern der Krankenkassen und der KVen zusammensetzt und einen unparteiischen Vorsitzenden hat. Während die Prüfstelle Prüfungen von Amts wegen oder auf Antrag vornimmt, dient der Beschwerdeausschuss als unabhängige Widerspruchsinstanz. Wird er angerufen, muss eine schon festgestellte Rückforderung zunächst einmal nicht gezahlt werden ("aufschiebende Wirkung").

Kennen Sie diese Strukturen, kann Ihnen das bereits in der einen oder anderen Diskussion mit Ihren Hauptverordnern helfen. Denn schnell erwidern Ärzte ja auf die Frage, ob sie eine Verordnung nicht ändern können, mit: "Kann ich nicht! Ich habe von der Krankenkasse bereits einen Regress erhalten!" Das aber ist überhaupt nicht möglich.

Denn anders als an Apotheken bei der Arzneimittelabrechnung, dürfen Krankenkassen keine direkten Rückforderungen an einen Arzt stellen oder durchsetzen, "nur" weil sie Anrechnungsbestimmungen selbst (und gegebenenfalls strittig) interpretiert haben. Die Kassen sind vielmehr lediglich antragsberechtigt und können eine unabhängige Prüfung veranlassen. Erst wenn die Prüfstelle einen "Regress" feststellt, den der eventuell vom Arzt eingeschaltete Beschwerdeausschuss bestätigt, hat der Arzt objektiv etwas "falsch gemacht".

Beratung vor Regress

Ein Grundsatz der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die Prävention. Um die Arzneimittelausgaben zu kontrollieren und Ärzte vor Rückforderungen zu schützen, wurde das Instrument "Beratung vor Regress" geschaffen (vgl. §106 Abs. 3 Satz 4 SGB V). Sprich: Die Krankenkassen und die KVen müssen Ärzte vor dem eigentlichen Prüfverfahren beraten, um sie so bei einer rationalen (und wirtschaftlichen) Versorgung zu unterstützen – das ergibt sich aus unterschiedlichen Rechtsnormen (z.B. §73 Abs. 8 und §305a SGB V).

Sollte es im Rahmen von statistischen Prüfungen dennoch zu erstmaligen Auffälligkeiten kommen, muss die gemeinsame Prüfstelle den Arzt beraten – als eine Art Schiedsrichter, der die Spieler zunächst verwarnt. Eine tatsächliche Rückforderung gibt es in der Regel nur dann, wenn sich der Arzt dem verweigert. Erst im Wiederholungsfall ist also mit monetären Konsequenzen zu rechnen. Dabei gilt der Arzt nach fünf Jahren wieder als "Ersttäter" (Amnestieregelung).

Sollte Ihnen dies mit Blick auf die Arzneimittelabrechnung als "unfair" erscheinen, sei auf einen zugrundeliegenden gesetzgeberischen Gedanken hingewiesen: Der Arzt befindet sich im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Verordnungsweise und Behandlungsfehler – ein Drahtseilakt für das gesamte Verordnungsverhalten innerhalb einer für Ärzte gültigen Verjährungsfrist von zwei Jahren. Sie hingegen unterliegen im so vom Arzt gesteckten Rahmen "nur" dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Einzelfall für die jeweils vereinbarten Prüffristen aus dem Arzneiliefervertrag (in der Regel neun bis zwölf Monate).

Schadensersatz statt Nullretax

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten monetärer Rückforderungen gegenüber Ärzten unterscheiden. Während die Prüfungen der ärztlichen Leistungen analog der Arzneimittelabrechnung zu (theoretisch auch kompletten) Honorarkürzungen führen können, haben unwirtschaftliche Verordnungen "Schadensersatzforderungen" zur Folge.

Der Grund für letztere: Der Arzt hat hier niemals eine Vergütung für eine verordnete Leistung erhalten – somit kann auch keine Vergütung gekürzt werden. Sofern Sie in diesem Fall das Muster 16 mit der unwirtschaftlichen Verordnung korrekt beliefert und abgerechnet haben, hat allein der Arzt einen Schaden im Sinne eines unwirtschaftlichen Mehraufwands für die Krankenkasse verursacht – und für den muss er dann eintreten.

Die Nachforderungen sind gemäß §106b Abs. 2a auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich vom Arzt verordneten Leistung zu begrenzen. Laut Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind dabei sogar die Rabatte nach §130a Abs. 8 SGB V abzuziehen.

Im Apothekenbereich werden die Rabatte hingegen bekanntlich nicht abgezogen – mit dem Ergebnis einer Nullretax. Auch hier ist die gefühlte Ungleichbehandlung bei genauerer Betrachtung keine. Denn während Honoraransprüche für die eigenen Leistungen bei Ärzten und Apothekern gleichermaßen untergehen können, haben Apotheker gar keine Möglichkeit, selbst Leistungen zu veranlassen.

Fazit

Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist zwar regional individuell ausgestaltet, unterliegt aber einem gesetzgeberisch gesteckten Rahmen, an dem Sie sich orientieren können. Bereits die hier bislang dargestellten wesentlichen Grundsätze zeigen, dass viele Ärzte oftmals zu viel Angst vor monetären Konsequenzen haben.

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), Experte für Apotheken- und Sozialrecht, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(03):6-6