Die Innovationskraft durch psychologische Sicherheit fördern

Wie Spitzenleistung im Team möglich wird


Viktor Vehreschild

Wie lässt sich erklären, dass manche Teams bessere Leistung bringen als andere? Google ist dieser Frage in einer eigenen Studie nachgegangen und hat entdeckt, dass es vor allem darauf ankommt, wie die Mitglieder eines Teams miteinander umgehen.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Frau Ross arbeitet während der Nachtschicht als Krankenpflegerin in einem Krankenhaus, als sie bemerkt, dass ihr ein Fehler unterlaufen ist. Sie hat gerade einem Patienten eine zu hohe Medikamentendosis verabreicht. Ross ist allein im Dienst und überlegt nun, was sie tun kann. Sie müsste unverzüglich den Arzt anrufen. Doch erinnert sie sich, wie der vor wenigen Tagen reagiert hat, als einer Kollegin ein ähnlicher Fehler passiert ist: Er ist laut geworden, hat an der Kompetenz der Kollegin gezweifelt, und jeder auf der Station hat von dem Vorfall erfahren. Ross möchte nicht derart bloßgestellt werden und entscheidet sich, den Arzt nicht zu informieren.

Oder eine andere Situation: Seit Kurzem verstärkt Herr Potente das Managementteam eines großen Unternehmens. Er erfährt von dem schon lange verfolgten Plan, einen Konkurrenten zu übernehmen. Den neuen Kollegen sieht man die Vorfreude förmlich an. Potentes Bauchgefühl sagt ihm jedoch, dass die Übernahme keine gute Entscheidung ist – und je länger er darüber nachdenkt, desto skeptischer wird er. Er ist innerlich hin- und hergerissen: "Soll ich meinen Bedenken nachgehen und kritische Fragen stellen – auch auf die Gefahr hin, dass die Kollegen denken, ich suche das Haar in der Suppe? Oder soll ich lieber meinen Mund halten? Ich möchte nicht gleich am Anfang der Spielverderber sein. Wichtiger ist es, eine gute Beziehung zu allen aufzubauen." Potente behält seine Bedenken für sich.

Was Aristoteles mit Spitzenleistung im Team zu tun hat

In beiden Fällen wäre es im Sinne des Unternehmens, der Kollegen und der Kunden bzw. Patienten gewesen, wenn sich unsere "Protagonisten" anders entschieden hätten. Doch individuell betrachtet ist nachvollziehbar, warum sie das jeweils nicht getan haben. Bevor wir allerdings genauer auf die Beweggründe eingehen, erlauben Sie uns einen kleinen Exkurs – zwar nicht in die Antike, immerhin aber mit einer entsprechenden Referenz dorthin.

Denn Google-Forscher haben sich vor einigen Jahren in einem Projekt namens Aristoteles von der Aussage des gleichnamigen griechischen Philosophen inspirieren lassen, dass das Ganze mehr ist als die Summe der Einzelteile. So wollten sie herausfinden, was ein Team, das Spitzenleistung bringt, von anderen Teams unterscheidet.

Die Forscher haben zunächst angenommen, dass die Leistung eines Teams von dessen Zusammensetzung abhängt: Wenn ein Team z.B. aus vielen individuellen Leistungsträgern bestünde, müsste damit auch die Gesamtleistung hoch sein. Die Forscher haben verschiedene Personenmerkmale in den Blick genommen: Berufserfahrung, Ausbildung, Alter, Geschlecht usw. Doch konnten sie ihre Frage mit diesem Ansatz nicht beantworten.

Fündig wurden sie erst, als sie in den Blick nahmen, wie die Teammitglieder miteinander umgingen. Denn Spitzenleistung entstand vor allem in den Teams, in denen das Miteinander von sogenannter psychologischer Sicherheit geprägt war.

Am Rande: Die Google-Forscher haben noch vier weitere Leistungstreiber gefunden:

  • Zuverlässigkeit bei der Aufgabenbearbeitung,
  • Struktur und Klarheit über Erwartungen und Rollen,
  • Sinnerleben und
  • die Einschätzung, dass die geleistete Arbeit einen wertvollen Beitrag leistet.

Was ist psychologische Sicherheit überhaupt?

Es ist ein ganz natürliches Bedürfnis, dass Menschen am Arbeitsplatz kompetent wirken möchten. Schließlich geht es um das Gehalt, mögliche Beförderungen und die Anerkennung durch Chefs, Kollegen sowie Kunden. Eigene Unzulänglichkeiten, Fehler und Momente der Schwäche scheinen dann fehl am Platz. Das jedoch führt leider manchmal zu falschen Entscheidungen. So werden wichtige Bedenken nicht geäußert, Fehler vertuscht oder gute Ideen nicht vorgeschlagen. Langfristig verringert das die Innovationskraft und den unternehmerischen Erfolg.

In einer psychologisch sicheren Arbeitsumgebung hingegen werden Menschen ermutigt, auch mal ein Risiko einzugehen und ihre eigene Verletzlichkeit zu zeigen. So entsteht das Gefühl, sich einbringen zu können und als Mensch mit allem Drum und Dran akzeptiert zu werden – unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, hierarchischer Position usw. Jeder kann seine Meinung vertreten, Fehler zugeben, (auch vermeintlich dumme) Fragen stellen und eigene Ideen äußern, ohne Angst haben zu müssen, anschließend als ignorant, inkompetent, störend oder sonst irgendwie negativ dazustehen. Niemand muss befürchten, von den Kollegen bzw. der Teamleitung bloßgestellt oder gar bestraft zu werden.

Was Sie tun können

Eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung zu schaffen ist gar nicht so schwer. Am besten fangen Sie gleich damit an, die folgenden Punkte zu beherzigen.

1. Zu Ihren eigenen Fehlern und Schwächen stehen

Auch Führungskräfte sind nur Menschen. Sie sind nicht perfekt, machen ebenso wie ihre Mitarbeiter Fehler, vergessen etwas oder fühlen sich unsicher. Stehen Sie ruhig dazu! In dem Maße, in dem es Ihnen gelingt, sich als Mensch mit Stärken und Schwächen, mit Erfolgen und Misserfolgen zu zeigen, fördern Sie die psychologische Sicherheit in Ihrem Team.

Versuchen Sie also nicht, Ihre Fehler zu vertuschen oder zu verheimlichen. Sprechen Sie offen darüber und beschreiben Sie, was Sie daraus gelernt haben. Sie könnten z.B. in der nächsten Teambesprechung sagen: "Möglicherweise vergesse ich etwas. Dann erinnert mich bitte daran!"

2. Neugierig sein und Fragen stellen

Wenn Menschen Interesse entgegengebracht wird, bringen sie sich besonders gerne ein, berichten von ihren Ideen und äußern ihre Bedenken. Seien Sie also neugierig! Interessieren Sie sich für Ihre Mitarbeiter! Stellen Sie viele Fragen!

Wenn Sie z.B. in der nächsten Teambesprechung etwas diskutieren, bitten Sie jedes Teammitglied um eine kurze Meinungsäußerung. So signalisieren Sie Interesse und stellen sicher, dass die Diskussion nicht nur von den Lauten und Meinungsstarken dominiert wird, sondern dass auch die Leisen und Zurückhaltenden zu Wort kommen. Wenn Sie befürchten, dass die Zeit knapp wird, können Sie jedem eine begrenzte Rededauer von z.B. einer Minute vorgeben.

Weiterhin kann es im Sinne der psychologischen Sicherheit förderlich sein, gezielt nach abweichenden Meinungen zu fragen: "Mich interessiert, wer von Ihnen das anders sieht?"

3. Verständnis zeigen

Bemühen Sie sich, Ihr Gegenüber zu verstehen. Sie können dafür z.B. die Technik des aktiven Zuhörens nutzen: Durch nonverbale Signale geben Sie Ihrem Gegenüber Bestätigung und regen es zum Weitersprechen an. Sie können das Gehörte anschließend in Ihren eigenen Worten zusammenfassen und sich erkundigen, ob es so gemeint gewesen ist. So stellen Sie nicht nur sicher, dass Sie es richtig verstanden haben, sondern drücken auch Ihre Wertschätzung aus.

Achten Sie überdies auf Ihre Mimik und Gestik: Wenden Sie sich Ihrem Mitarbeiter körperlich zu, halten Sie Blickkontakt und registrieren Sie, ob sich negative Ausdrücke in Ihrem Gesicht abzeichnen: Sofern sich z.B. Ihre Stirn in Falten legt, weil Sie mit einer Aussage nicht einverstanden sind, sprechen Sie das lieber direkt an – statt den indirekten "mimischen Weg" zu wählen.

Service

Zum Testen der psychologischen Sicherheit in Ihrem Team können Sie unsere Checkliste benutzen.

Materialien, die Google aus den Ergebnissen von Aristoteles entwickelt hat, um Teamleistungen in der Praxis zu fördern, finden Sie auf der Website von re:Work.

Ein Literaturtipp zur Vertiefung: Edmondson, A. C. C.: Die angstfreie Organisation, Vahlen: München 2020 (im Erscheinen).

Viktor Vehreschild, Psychologie in Düsseldorf, 40223 Düsseldorf, E-Mail: mail@psychologie-in-duesseldorf.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(03):12-12