Die Kunden stets im Fokus?

Facetten der Qualität


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Gerade in Apotheken droht das Thema Qualität zu einer innenzentrierten Selbstbeschäftigung zu werden, bei der die typischen Kundenbedürfnisse und -erwartungen schnell aus dem Blickfeld geraten. Lösen wir uns also mal von der klassischen Apothekensicht.

Qualität ist definitionsgemäß und neutral ausgedrückt die Summe aller Eigenschaften eines Produktes, Systems oder Prozesses bzw. – unter Einbeziehung von Werten – die Güte aller obigen Eigenschaften. Aus der Kunden- bzw. Anwendersicht fächert sich der Begriff Qualität dagegen recht weit in folgende Dimensionen auf:

  • Die haptische oder "Anfass-Qualität". Hierzu zählen äußerlich erlebbare Faktoren, wie Erscheinungsbild, optische Wertigkeit, sichtbare Verarbeitungsgüte, ja sogar auch mal ein Geruchseindruck,
  • die Funktionsqualität, die im Grunde das Herzstück ist,
  • die Langzeitqualität bzw. Haltbarkeit sowie
  • zunehmend die Nachhaltigkeit bzw. die ökologische Dimension (die man allerdings zum Teil der Funktionsqualität im erweiterten Sinne zuordnen könnte).

Welche dieser Qualitäten Vorrang hat, hängt zum einen vom Produkt, zum anderen aber auch ganz maßgeblich von den sehr unterschiedlichen Kundenvorstellungen ab. Der eine steht auf "Bling-Bling" und mehr Schein als Sein, der andere dagegen möchte ganz nüchtern nur etwas Funktionierendes, idealerweise zum günstigen Preis. Umgekehrt sind nicht wenige Kunden bereit, für Äußerlichkeiten, Emotionen (inklusive Vertrauen) und Marken viel Geld auszugeben. Unter einem guten Markennamen kann man zudem eine ganze Weile quasi im Windschatten segeln, obwohl die objektive Leistung das gar nicht mehr hergibt – Qualität als Marketinginstrument und Missbrauch des Begriffs. Beispiele gibt es reichlich, so etwa die "Spaltmaß-Fetischisten" in der Autobranche, die jedoch bei der ganz profanen Alltagstauglichkeit patzen.

"Qualitäts-Fetischismus"?

Man kann es mit der Qualität auch übertreiben. So ergibt es z.B. – apropos Autos – wenig Sinn, einen üblichen Pkw auf eine Million Kilometer auszulegen. Der Durchschnittskunde fährt keine 15.000 km im Jahr. Solch übersteigerte Qualität kann sogar kontraproduktiv sein, verzögert sie doch einen notwendigen Strukturwandel. Umgekehrt wird gerade die Haltbarkeit teilweise bewusst limitiert, Stichwort Obsoleszenz (geplante Ausfälle nach einer definierten Zeit).

In komplexen Systemen kommt es zuvorderst darauf an, dass alle Einzelkomponenten ein gewisses Qualitätslevel erfüllen. Was nützt beim Auto ein Getriebe, das jahrzehntelang hält, wenn Motor und Zentralelektrik regelhaft viel früher streiken? Schon Henry Ford ließ deshalb Schrottplätze absuchen und (teure) Teile, die offenkundig nie kaputt gingen, danach günstiger fertigen. In der Apotheke nützt es wenig, wenn Sie Top-Experte für Prostatabeschwerden hochbetagter Männer sind, aber bei "Allerwelts-Beschwerden" patzen. Auch in der Rezeptur können Sie noch so sorgfältig dokumentieren und alle Stoffe prüfen – wenn die Waage eine (womöglich versteckte) Macke hat, ist dies alles "für die Katz". Das "Gesamtpaket" muss also stets stimmen.

In der Pharmazie kann man einen hohen galenischen Aufwand betreiben, um geringfügige, kaum praxisrelevante Verbesserungen z.B. bei der Wirkstofffreisetzung und -anflutung zu erreichen. Diese Verbesserungen werden indes gerne vom Marketing entsprechend ausgeschlachtet, sodass sie sich rein betriebswirtschaftlich sogar lohnen können.

Aufwendige, ins Auge fallende Verpackungen senden dabei ebenfalls gerne (nicht immer gerechtfertigte) Qualitätsbotschaften. Prominente Beispiele finden sich im Kosmetiksegment, aber auch bei Lebensmitteln (z.B. Süßwaren und Spirituosen), seltener bei Pharmaverpackungen. Ganz spartanisch präsentieren sich selbst 20.000-€-Präparate ohne Goldrand, Schleifchen oder Luxus-Behältnis. Rein monetär wäre dies eine Kleinigkeit. Dabei ist der äußere Eindruck für eine spätere Wirkung womöglich gar nicht so gering, wenn die Aufmachung bereits höchste Qualität und Wirksamkeit suggeriert – eine Art zusätzlicher Placeboeffekt und zudem eine Steigerung der Compliance. Dies wäre ein interessanter Ansatz für künftige Studien. Wie gesagt – der Zusatzaufwand wäre gering, und selbst geringe Steigerungen des Therapieerfolgs würden das sofort wettmachen.

Kundenferner Qualitätsbegriff

Insbesondere in der Apotheke hat sich ein sehr innenzentrierter Qualitätsbegriff herausgebildet. Fast das gesamte, typische Qualitätsmanagement-Handbuch befasst sich allenfalls indirekt mit kundenwirksamer Qualität – und fast gar nicht mit kundenerlebbarer. Ob jedoch zig Prozesse zur Rezepturherstellung oder Betäubungsmittel-Dokumentation hinterlegt sind, interessiert den Kunden kaum.

Dass Rezepturen "lege artis" hergestellt, Vorschriften eingehalten werden und das richtige Präparat "frisch" über den Verkaufstisch wandert, wird schlicht als selbstverständlich vorausgesetzt. Damit können Sie nur wenig punkten. Oder rechnen Sie es einem Einkaufsmarkt hoch an, dass ausreichend haltbare Lebensmittel sauber und ordentlich im Regal stehen? Im Gegenteil, hier gibt es höchstens Minuspunkte, wenn das nicht der Fall ist.

Damit gilt es, die eigene Sichtweise zu verlassen und die Perspektive der Kunden einzunehmen. Für sie zählt die erlebbare Qualität in der Apotheke. Viele kleine Details zeigen hierbei, dass Ihr Geschäft sorgfältig und "mit Liebe" geführt wird – ein enormer Pluspunkt bei der Vertrauensbildung. Das reicht von der Einrichtungsgestaltung über die Produktpräsentation bis hin zur Wertigkeit Ihrer Zugaben und Werbematerialien.

"Digitale Qualität"

Heute tritt zunehmend die "digitale Qualität" hinzu. Lieblose, nicht aktuell gehaltene Standard-Webseiten, Apps mit mangelnder Funktionalität, digitale Briefkästen, die offenkundig beinahe tot sind (da selten "geleert") – auch dies sind mittlerweile Todsünden, wenn es darum geht, die Unternehmensqualität darzustellen. Sie sollten also jedweden Eindruck von Schlampigkeit vermeiden. Tabelle 1 gibt Ihnen weitere Anregungen.

Die nächste Ebene ist mit den "persönlichen Qualitäten" zu umschreiben: Unbedingte Zuverlässigkeit, Authentizität, Ehrlichkeit. Seien Sie der "Anwalt des Kunden", und stellen Sie das Kundenwohl vor kurzfristige, monetäre Interessen. Demzufolge verbieten sich überteuerte "Nepp-Produkte", die Sie sich selbst niemals kaufen würden. Füllen Sie den Begriff "Apothekenqualität" mit Leben, und lassen Sie ihn nicht als leere Phrase bzw. zur Rechtfertigung überhöhter Preise verkommen. Umgekehrt sollte die Apotheke kein "Ramschladen" sein, der Arzneimittel trivialisiert und als billiges Massengut präsentiert. Das bedeutet durchaus Aufwand und Sorgfalt bei der Produktauswahl. Doch genau das erwartet man von einem qualitativ hochwertigen Fachgeschäft!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(04):4-4