Editorial

Der Weisheit letzter Schluss?


Dr. Michael Brysch

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

böse Zungen halten uns Apothekern ja vor, dass wir im Studium vor allem auf "Bulimie-Lernen" von Strukturformeln, Pflanzensystematik und Co. getrimmt würden. Dennoch haben uns mancher Dozent, vieles außerhalb der Uni sowie vor allem auch die tägliche Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Gesundheitswesen und Wirtschaft gelehrt, Dinge aus verschiedenen Perspektiven mit anderen ebenso wie mit uns selbst zu diskutieren und uns unsere eigene Meinung zu bilden. Darauf sollten wir gerade in diesen Zeiten zurückgreifen, in denen so einiges (nicht nur von Ärzten) "Verordnete" als der Weisheit letzter Schluss hingenommen wird.

In einem sehr lesenswerten Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" hat die Autorin und Verfassungsrichterin Juli Zeh jüngst kritisiert, dass die Verhältnismäßigkeit des Shutdowns trotz dazu bestehender Chancen nicht ausreichend diskutiert worden sei. Vielmehr habe "man einzelne prominente Experten zu Beratern gemacht und zugelassen, dass eine eskalierende Medienberichterstattung die Öffentlichkeit und die Politik vor sich her treibt."

Nun kann der einzelne bei allen täglich auf uns einprasselnden (gefühlt teils einseitigen) Informationen kaum den Überblick behalten. Zudem darf sich wohl niemand anmaßen zu wissen, was "richtig" ist. Dennoch gilt es, die öffentliche Diskussion darüber anzuregen, was auf Basis der derzeitigen Erkenntnisse aus allen (!) relevanten Disziplinen am besten sein könnte. Und hierzu können Apothekeninhaber auch durch ihre Kontakte zur (lokalen) Politik, zu Ärzten, zum Einzelhandel und zu (reflektionsfähigen) Kunden beitragen – nicht nur um der eigenen Apotheke willen, sondern vor allem, um damit langfristig möglichst viele Leben zu retten (vgl. AWA 7/2020).

Es grüßt Sie herzlich Ihr

Dr. Michael Brysch

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(09):2-2