Das Team als Überraschungsfaktor

Wie die Betriebsübernahme reibungslos klappt


Ute Jürgens

Ein junger Apotheker übernimmt eine lange bestehende Apotheke mit einem eingespielten Team. Die neuen Mitarbeiter sind ihm genauso wenig bekannt wie die spezifischen Arbeitsabläufe. Wie kann die Zusammenarbeit von Anfang an gut gelingen?

Apotheker Dr. Frisch hat vor nicht allzu langer Zeit sein Studium abgeschlossen und – nach ersten Praxiserfahrungen – die Löwen-Apotheke gekauft. Deren ehemaliger Besitzer hatte lange nach einem Nachfolger gesucht und war kurz davor gewesen, die Apotheke zu schließen. Die letzte Chance, das Team und den Betrieb zu erhalten, hatte er darin gesehen, den Preis radikal zu senken. Das rief Frisch auf den Plan, der nach einer kurzen Besichtigung zuschlug. Nun ist er neu in der Stadt und kennt weder das Team noch die Stammkundschaft.

Natürlich ist Frisch voller Elan. Er hat viel vor und möchte sowohl die Einrichtung modernisieren als auch die digitalen Dienstleistungen und den Umgang mit den Kunden verbessern.

Sich über die eigene Rolle klar werden, ...

Während sich viele Kollegen erst dann Gedanken über ihren Führungsstil machen, wenn etwas schief gelaufen ist, stellt Frisch entsprechende Überlegungen bereits im Vorfeld an. Daher hat er auch schon diverse Workshops zum Thema sowie einen Vortrag auf der "Interpharm" besucht.

Nun schwankt er, ob er das Team direktiv-hierarchisch leiten soll – was vermutlich alles schneller vorantreiben würde – oder als sogenannter „Servant Leader“ (dienender Anführer). Darunter versteht man einen "Dirigenten im Gesamtkonzert", der sich idealerweise einerseits visionär und charismatisch gibt, der andererseits aber ebenso nahbar wie mitmenschlich engagiert ist und sich bereit zur kritischen Selbstreflexion, zum Dialog auf Augenhöhe und zum wirklichen Zuhören zeigt.

Am Ende entscheidet sich Frisch für dieses Konzept. Denn er liest, dass derjenige, der sich damit identifizieren kann, in der Regel über eine Einstellung verfügt, die ihm im Umgang sowohl mit der oft mäkelnd-kritischen Kundschaft als auch mit schwierigen Mitarbeitern zum Erfolg verhilft [1].

... dann erst mal beobachten ...

Frisch weiß, dass man in der ersten Zeit viel falsch machen kann, was sich später nur mit erheblichem Aufwand korrigieren lässt. Deswegen entscheidet er sich, zunächst drei Monate lang (fast) nur zu beobachten. Ohne sich einzumischen, hört er zu, wenn die Kollegen sich unterhalten, und erfährt viel Interessantes:

  • Was läuft einwandfrei und sollte eher nicht geändert werden?
  • Wo hakt es in den Abläufen, und wo besteht dringender Handlungsbedarf?
  • Wer besetzt welche Rolle im Team?
  • Wo verlaufen Gräben in der Gruppe, und wo gibt es Seilschaften?
  • Welche Mitarbeiter sind für ihn persönlich vom Typus her schwierig, und mit wem versteht er sich automatisch gut?

Frisch nimmt sich auch viel Zeit für persönliche Gespräche, die sich teils zufällig ergeben. Darüber hinaus sucht er aktiv vor allem das Gespräch mit den introvertierten Mitarbeitern, die, obwohl sie "leise" sind, viel leisten. Denn sie können andere durch ihre Beobachtungsgabe oft besser einschätzen als die extrovertierten Typen.

Um die Mitarbeiter und die verschiedenen Situationen intuitiv gut einzuschätzen, nutzt Frisch die aus Korea stammende Nunchi-Methode [2]. Nunchi ist eine Art emotionaler Intelligenz, die manche Menschen von Natur aus besitzen, während alle anderen sie mit Übung, Zeit und Geduld erlernen können. Wer über "Nunchi" verfügt, kann Kunden und Mitarbeiter gut einordnen und daher ebenso blitzschnell wie richtig auf sie reagieren – egal ob es um Emotionales geht oder um Sachliches. Grundsätzlich ist es dabei wichtig,

  • eigene vorgefasste Meinungen zu erkennen und loszulassen. Denn wir sehen andere Menschen oft nicht so, wie sie sind, sondern vielmehr, wie wir sind.
  • beim Betreten eines Raumes die aktuelle Stimmung wahrzunehmen, sich darauf einzustellen und sich bewusst zu sein, dass man sie – vor allem als Chef – automatisch verändert.
  • auch mal zu schweigen, da andere dann gesprächig werden und von sich aus Antworten auf viele Fragen geben.
  • zwischen den Zeilen das Ungesagte, also die nonverbalen Hinweise, zu lesen.
  • respektvoll zu agieren und gute Manieren an den Tag zu legen.

Alles in allem nimmt Frisch wahr, dass die Stimmung im Team gemischt ist. Auf der einen Seite freut man sich, dass die Apotheke und der eigene Arbeitsplatz nun doch erhalten bleiben. Auf der anderen Seite herrschen Verunsicherung sowie die Angst vor Neuem, teils bilden sich Widerstand und Blockaden. Manche Mitarbeiter warten auch erst einmal einfach nur ab, und einige sind unbewusst gekränkt, da der alte Chef sein Team (vermeintlich) im Stich gelassen hat [3].

Hier kann Frisch schon einmal stabilisieren, indem er z.B. viel lobt, Arbeitserleichterungen gewährt, die vorher nicht üblich waren, oder auch den alten Chef für alle, die es wünschen, um ein Zwischenzeugnis bittet.

Übrigens analysieren natürlich auch die Mitarbeiter den neuen Chef mitsamt seinen Stärken und Schwächen, seinen "Allergien" und seinen "Gute-Laune-Tasten". Denn schließlich ist in uns allen instinktiv der Wunsch angelegt, Vorgesetzte zu verstehen, um einschätzen zu können, was ihnen missfällt – und wie man bei ihnen punkten kann.

... und Veränderungen anstoßen

Während der "Beobachtungsphase" stößt Frisch allerdings auch schon kleinere Änderungen an, die in seinen Augen garantiert zu schnellen Verbesserungen führen werden. Damit verschafft er seinem Team u.a. Luft und Erfolgserlebnisse, wodurch er langsam das Vertrauen gewinnt.

Nach drei Monaten beruft Frisch eine Teamsitzung für den Samstag Nachmittag ein. Er erklärt, dass dieser Zeitpunkt nötig ist und jährlich eine einmalige Angelegenheit bleiben wird. Das Meeting findet in einem Wellness-Hotel in der Nähe statt, und die Angestellten können selbst entscheiden, ob sie dort übernachten oder nach dem Treffen schnurstracks wieder nach Hause fahren möchten.

Während des Meetings sitzen alle an einem Tisch. Zu Beginn reicht Frisch Getränke und Häppchen herum. Das dient dazu, anzukommen, laufende Gespräche ausklingen zu lassen und dafür zu sorgen, dass alle am Tisch gleichberechtigt etwas bekommen, ohne dass ein ständiges "Gib mir mal ...!" die Erläuterung der Tagesordnung unterbricht.

Anschließend berichtet Frisch von seinen ersten Monaten sowie darüber, was ihm besonders gut gefällt, was er beibehalten will und wo er Änderungen anstrebt. Er befürchtet, als Neuer – und somit quasi als Bedrohung von außen – die gewachsene Gruppe gegen sich aufzubringen. Um das zu verhindern, legt er Wert auf Offenheit und ermuntert sein Team zu Rückmeldungen. Er bemüht sich, die verschiedenen Standpunkte zu verstehen, und bleibt ebenso respektvoll wie höflich, selbst wenn er manche Einstellung entschieden ablehnt [1].

Auch als Frisch dann seine Projekte für die Zukunft schildert, fordert er das Team zu Rückmeldungen auf: "Was könnte in Ihren Augen bei den Kunden am ehesten auf Interesse stoßen?" Denn die Mitarbeiter kennen die Kundschaft ja schon viel länger als er. Hieraus entspinnt sich eine Diskussion, die Frisch moderiert. Er achtet darauf, dass jeder zu Wort kommt und ausreden kann.

Frisch gewappnet in die Zukunft

Mit der Zeit entwickelt Frisch ein gutes Gespür dafür, wann er sich seinen Mitarbeitern gegenüber wie verhalten sollte. Schritt für Schritt macht er die Apotheke zukunftsfähig, überzeugt die Zweifler, bietet bei Bedarf Fortbildungen zu verschiedenen Themen an (Betriebswirtschaft, Software, Kundenkommunikation etc.) und steigert das Betriebsergebnis langsam, aber stetig.

Literatur

[1] Pörksen, B., Schulz von Thun, F.: Die Kunst des Miteinander-Redens, Carl Hanser Verlag: München 2020
[2] Hong, E.: Nunchi. Das koreanische Geheimrezept – Menschen und Situationen intuitiv richtig einschätzen, Knaur Balance: München 2019
[3] Wardetzki, B.: Loslassen und Dranbleiben – Wie wir Veränderungen mutig begegnen, Kösel-Verlag: München 2019

Ute Jürgens, Kommunikationstrainerin und Einzelcoach, KomMed-Coaching, 28865 Lilienthal, E-Mail: KomMed@freenet.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(13):10-10