Die mentalen Abkürzungen des Kunden

Wie Sie von irrationalem Verhalten profitieren


Dr. Christian Knobloch

Bereits in den 1970er Jahren haben die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky gezeigt, dass wir in komplexen Situationen nicht immer rational entscheiden, sondern mentale Abkürzungen nehmen. Das können auch Sie sich zunutze machen, um Ihre Abverkäufe zu steigern.

Viele von uns nutzen beispielsweise unbewusst Heuristiken (also einfache Faustregeln), um Sachverhalte zu vereinfachen, und manch einer unterliegt auch kognitiven Verzerrungen, die sein Urteil beeinflussen. Im Folgenden stellen wir Ihnen einige dieser Phänomene vor und zeigen, wie Sie im Kundenkontakt davon profitieren können.

Framing-Effekt

Im Beratungsgespräch kann der Framing-Effekt nützlich sein. Er besagt, dass es einen Einfluss auf eine (Kunden-)Entscheidung hat, wie Sie deren Konsequenzen formulieren.

Dazu ein Beispiel: Sie können das Beratungsgespräch etwa mit "Benötigen Sie außerdem noch etwas?" oder mit "Das war alles?" beenden. Im ersten Fall suggerieren Sie, dass der Kunde weitere Artikel kaufen möchte bzw. sogar sollte, im zweiten Fall, dass er alles hat, was er braucht. Es dürfte klar sein, welche Formulierung sich positiver auf Ihre Abverkäufe auswirkt.

Mentale Kontenführung

Nach dem Prinzip der mentalen Kontenführung verbuchen wir unsere Ausgaben (bewusst oder unbewusst) im Kopf und ordnen sie unterschiedlichen mentalen Konten zu. Gelingt es Ihnen nun, verschiedenen Produkten mit ähnlicher Wirkung unterschiedliche Verwendungszwecke zuzuweisen, verbucht der Kunde seine Ausgaben für die einzelnen Produkte auch auf unterschiedlichen mentalen Konten. Einzelne dieser Konten werden somit "entlastet" – und die Ausgabenbereitschaft des Kunden steigt.

Auch hierzu ein Beispiel: Wenn Sie einem Kunden, der aufgrund akuter Muskelschmerzen eine Schmerzsalbe möchte, zusätzlich ein Magnesiumpräparat explizit als vorbeugendes Produkt empfehlen, verteilt er seine Ausgaben auf die Konten "gegen akute Schmerzen" und "zur Prävention von Schmerzen".

In gleicher Weise können Sie die mentale Kontenführung bei Sonderangeboten oder reduzierten Preisen nutzen: Kauft ein Kunde regelmäßig ein bestimmtes Produkt, plant er dafür in jedem Monat die entsprechenden Ausgaben ein. Das können z.B. 20 € sein. Reduzieren Sie den Preis des Produktes auf 16 €, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde einen weiteren Artikel zu ca. 4 € kauft. Denn er hat die erwarteten Ausgaben von 20 € bereits auf seinem mentalen Konto für "monatliche Ausgaben" verbucht – und dieses Konto weist nun ein Plus von 4 € auf.

Diese 4 € hat der Kunde nicht für weitere Ausgaben eingeplant – zumal er es aufgrund der getrennten Kontenführung gar nicht erst in Betracht zieht, damit das eventuell negative Saldo eines anderen Kontos auszugleichen. In seiner Empfindung steht ihm der Betrag somit direkt für zusätzliche Käufe zur Verfügung. Dies wiederum können Sie nutzen, um den Kunden gezielt auf ein weiteres Produkt hinzuweisen, das in etwa so viel wie die Preisdifferenz kostet.

Referenzpunkte

Kostenlose Zugaben wie beispielsweise Warenproben sollen dem Kunden zwar auch Freude bereiten, ihn aber gleichzeitig dazu anregen, das entsprechende Produkt beim nächsten Apothekenbesuch in Originalgröße nachzukaufen. Zugrunde liegt der Umstand, dass wir die aktuelle Situation in der Regel als Referenzpunkt ansehen.

Dazu erneut ein Beispiel: Angenommen, ein Kunde benutzt eine Gesichtscreme im Augenblick (noch) nicht, dann ist dies sein aktueller Referenzpunkt. Nun schenken Sie ihm eine Probe der Creme. Er verwendet sie, findet Gefallen an ihr und gewöhnt sich an sie. Dann ist die Nutzung der Creme sein neuer Referenzpunkt. Nachdem der Kunde die Probe aufgebraucht hat, befindet er sich allerdings wieder in der ursprünglichen Situation, in der er die Creme nicht benutzt hat – nur dass sich sein Referenzpunkt jetzt verschoben hat. Dies wiederum empfindet er als Verlust, was seine Kaufmotivationerhöht.

Achtung: Wenn ein Kunde regelmäßig Zugaben erhält, verändert sich sein Referenzpunkt. Gibt es nämlich einmal keine Zugabe, kann der Kunde das als Verlust empfinden – was seine Bindung an die Apotheke möglicherweise schwächt.

Besitztumseffekt

Im gerade vorgestellten Beispiel wirkt zusätzlich noch der Besitztumseffekt. Ihm zufolge ist es wahrscheinlich, dass der Kunde die Creme – unabhängig von ihrer Wirkung – höher schätzt, sobald er sie (allein schon als Probe) besitzt.

Diesen Effekt gilt es auch bei der Frage zu berücksichtigen, ob Sie auf bestimmte Produkte (sofern rechtlich zulässig) eine Geld-zurück-Garantie gewähren sollten. Stellen Sie sich dazu einen Kunden vor, der noch unschlüssig ist, ob er ein bestimmtes Produkt kaufen soll. Für diesen Kunden kann die Möglichkeit, das Produkt innerhalb eines bestimmten Zeitraums ohne Angabe von Gründen zurückzugeben und sein Geld wieder zu bekommen, ein entscheidender Grund sein, das Produkt "erst einmal" doch zu kaufen. Besitzt er das Produkt dann allerdings, schätzt er dessen Nutzen höher ein als vor dem Kauf – und behält es deswegen eher.

Status-quo-Verzerrung

Erhöhen Sie den Preis für ein Produkt, das regelmäßig gekauft wird, ließe sich vermuten, dass die Kunden auf ein günstigeres Alternativprodukt umsteigen. Tatsächlich ist das aber – zumindest bei leichten Preiserhöhungen – nur selten zu beobachten.

Eine Erklärung kann die Status-quo-Verzerrung liefern: Der Kauf eines Alternativprodukts verändert den Status quo – was von uns grundsätzlich als Verlust empfunden wird. Diesen Verlust muss der Gewinn (also die Kostenersparnis durch den Wechsel) erst einmal kompensieren.

Hinzu kommt: Falls das Alternativprodukt den Kunden weniger zufriedenstellen sollte als das ursprünglich von ihm gekaufte Produkt, wird die Kostenersparnis auch noch diesen Qualitätsverlust aufwiegen müssen – wobei zusätzlich zweierlei zu berücksichtigen ist:

  1. Verluste treffen uns stärker als Gewinne in gleicher Höhe (Verlustaversion).
  2. Wir leiden mehr unter Verlusten, die sich aus der aktiven Veränderung des Status quo ergeben, als unter Verlusten, die aus der Aufrechterhaltung des Status quo resultieren.

Daher ist der Kunde eventuell bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, um bei seinem gewohnten Produkt zu bleiben. Dann zieht er die sichere Ausgabenerhöhung im Status quo einer möglichen Qualitätseinbuße beim Produktwechsel vor.

Die Status-quo-Verzerrung sollten Sie auch im Beratungsgespräch berücksichtigen. Wenn ein Kunden vor Ihnen steht, der seine Kosmetik bisher nur in der Parfümerie gekauft hat, können Sie ihn fragen, welches Hautpflegeprodukt er gerade verwendet. Seine Antwort lässt sich dazu nutzen, ihm ein ähnlich wirkendes Produkt vorzustellen – und ihn auch auf diese Ähnlichkeit hinzuweisen. Dann nämlich ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er dieses Produkt auch tatsächlich kauft. Denn die Veränderung des Status quo fällt geringer aus als beim Kauf eines gänzlich anderen Produkts.

Übrigens: Die Status-quo-Verzerrung trägt auch dazu bei, dass eine einmal aufgebaute Kundenbindung häufig sogar dann bestehen bleibt, wenn die Konkurrenz z.B. günstigere Preise anbietet oder besser erreichbar ist. Kunden verzichten nämlich gegebenenfalls darauf, ihre Stammapotheke zu wechseln, weil sie ihren Status quo nicht verändern wollen.

Damit wird deutlich, dass Sie nicht immer neue Maßnahmen ergreifen müssen, um eine bestehende Kundenbindung zu bewahren. Manchmal kann es durchaus genügen, den Status quo aufrecht zu erhalten.

Dr. Christian Knobloch, Leiter der Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft, Universität Duisburg-Essen, 45141 Essen, E-Mail: christian.knobloch@uni-due.de

Stephanie Tölle, B.Sc., Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft, Universität Duisburg-Essen, 45141 Essen, E-Mail: stephanie.toelle@outlook.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(13):8-8