Bis zur Unfähigkeit

Das Peter-Prinzip in der Apotheke


Prof. Dr. Reinhard Herzog

In den 1960er Jahren errang das "Peter-Prinzip" des US-Autors Laurence J. Peter große Bekanntheit: In größeren Organisationen neigen Mitarbeiter dazu, bis zur Stufe ihrer Unfähigkeit aufzusteigen – um dann dort dauerhaft zu verharren. Gilt das womöglich auch in der Apotheke?

Jeder kennt diverse Beispiele aus Politik und Wirtschaft, in denen sich das Peter-Prinzip [1] eindrucksvoll zu bestätigen scheint. Aus tüchtigen Mitarbeitern werden hier unfähige Chefs und aus beliebten Lokalpolitikern dort Bundespolitiker, deren Überforderung evident ist. Sie alle sind in Positionen hineingewachsen, die einige Nummern zu groß für sie sind. Trotzdem überkommt dabei niemanden ein schlechtes Gewissen, hat man doch lediglich einst so fähige Mitarbeiter oder altgediente Funktionäre befördert. Aber genau darin liegt der systemimmanente Fehler, der auch in unserer Apothekenbranche verheerend wüten kann. Einige Beispiele mögen dies illustrieren.

Gute PKA als Chefeinkäuferin

Frau Gewissenhaft als langjährig bewährte PKA erledigt Ihre Warenbewirtschaftung "stets zu Ihrer vollsten Zufriedenheit". Die Bestände stimmen, alles wird sorgfältig verbucht und eingeräumt. Die Frei- und Sichtwahl ist akkurat gepflegt.

Im Zuge Ihrer Expansion mit nunmehr zwei Filialbetrieben haben Sie sich entschlossen, den Posten "Chef-Einkäufer und -Logistiker" neu zu schaffen, mit dem der gesamte Warenfluss, der tägliche Einkauf einschließlich der meisten Direktbestellungen sowie die Botendienste organisiert werden sollen. Damit verbunden ist die Aufgabe, weitere PKAs im Filialverbund zu führen und bedarfsgerecht einzuteilen. Nur die wichtigsten Großaufträge und Großhandelsverhandlungen übernehmen Sie noch selbst.

Was läge also näher, als Frau Gewissenhaft diese Tätigkeit anzuvertrauen? Gesagt – getan! Sie freuen sich insgeheim auch darüber, dass Sie mit 250 € monatlicher Gehaltszulage recht günstig davongekommen sind, während externe Kandidaten deutlich höhere Lohnvorstellungen hatten – und eben zusätzlich eingestellt worden wären.

Doch was ist dann passiert? Gewissenhaft bleibt ihrer Linie treu. Sie kümmert sich um alles selbst, verbucht noch viele Packungen, während die Auszubildenden daneben Däumchen drehen. Beim Einkauf verzettelt sie sich in Kleinigkeiten, und einen guten Kontakt zu den Außendienstlern findet sie nicht. Zudem schaut sie vor allem auf den günstigsten Bestellwert und achtet auf niedrige Warenbestände, sodass es zu Lieferproblemen kommt. Vom Markt und Bedarf versteht sie kaum etwas.

Das ist ein typischer Fall: Hier wurde eine tüchtige Mitarbeiterin in eine Position gehoben, die sie schlicht nicht ausfüllt. Nun ist entweder viel Schulung und Feinarbeit nötig – oder eine rasche Umbesetzung.

Netter Apotheker als Filialleiter

Herr Sanftleben ist ein allseits sehr beliebter Apotheker, eben sanft und langmütig, ein perfektes "Arbeitstier". Er ist sehr zuvorkommend gegenüber der Kundschaft – und sich nicht zu schade, in der Rezeptur auszuhelfen oder ein Regal aufzufüllen. Harmonie geht ihm über alles. Im Team ist er somit hoch geschätzt.

Jetzt suchen Sie eine Filialleitung. Sie liebäugeln natürlich mit Sanftleben – zu Recht? Nun, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er seiner Rolle treu und "everybody's darling" bleiben. Für ihn sprechen seine Arbeitsauffassung und seine Kundenorientierung. Für eine Filiale, die auf ihrem jetzigen Level zu verwalten ist, wäre er also eine ganz gute Wahl. Für einen Betrieb jedoch, der "entrostet" und auf Vordermann gebracht werden muss, dürfte er eine Fehlbesetzung sein. Dazu ist er einfach zu brav, angepasst und harmoniebedürftig.

Einfache Nachfolgerfrage?

Frau Penibel ist bereits seit vielen Jahren eine sehr tüchtige approbierte Mitarbeiterin. Insbesondere imponiert sie durch ihre äußerst genaue Arbeitsweise. Pharmazieräte sind regelhaft begeistert von der exakten Dokumentation und der buchstabengenauen Umsetzung der zahlreichen Vorschriften. Die Kunden schätzen Penibel für ihre äußerst kompetenten, ausführlichen Beratungen und haben gelernt, dass die Apotheke von heute ein schwieriges, vorschriftendurchsetztes Geschäft mit zahlreichen Fallstricken und vielen Wiederholungsbesuchen geworden ist. Was liegt da für die inzwischen in die Jahre gekommene Altinhaberin näher, als dieser doch so bewährten und pharmazeutisch exzellenten Mitarbeiterin die Übernahme anzutragen?

Nun, verkauft ist verkauft – oder? Was kümmert einen da die Nachfolge? Abgesehen von persönlichen Erwägungen (was tut man seinen Mitarbeitern und der Kundschaft an?) kann eine Nachfolge jedoch empfindliche Rückwirkungen entfalten.

Im Falle einer Verpachtung sind Sie vom (Miss-)Erfolg des Nachfolgers immer noch abhängig. Ähnliches gilt für die Vermietung eigener Betriebsräume. Wenn Sie noch im Haus oder direkt nebenan wohnen, können Sie weiterhin vielfach in Beschlag genommen werden.

In solchen Fällen sollte sich jeder Altinhaber sehr genau überlegen, an wen er die Nachfolge übergibt, denn hier wird man dann womöglich mit den Konsequenzen des Aufstiegs in die Unfähigkeit noch direkt und folgenreich konfrontiert. Oder Sie wählen von vornherein das Modell: "Aus den Augen, aus dem Sinn" – und sorgen für eine (nicht zuletzt räumliche) Distanz.

Ein "Querkopf" als Nachfolger?

Herr Eckig ist ein junger Approbierter, der Ihnen innerlich mehr Ärger als Freude bereitet. Die Aufstellung der Apotheke hinterfragt er stets und hadert gern mit klaren Anordnungen, insbesondere, wenn er ihren Sinn nicht erkennen kann. Kunden gibt er eigenmächtig Nachlässe, verwöhnt sie – neben Komplimenten – mit allerlei Zugaben und sagt ihnen vieles zu, was an anderen Stellen der Apotheke für Frust und Zusatzarbeit sorgt.

Die Patienten mögen Eckig jedoch sehr, denn bei ihm gibt es nur wenige Probleme, stattdessen stets kundenfreundliche Lösungen. Ärger entsteht dafür im Backoffice. Mit den Ärzten und anderen wichtigen Multiplikatoren hingegen kommt Eckig dank seiner kommunikativen Art wiederum schnell ins konstruktive Gespräch. Indes: Ihr innerlicher Groll wächst, und Sie weisen Eckig zunehmend genervt zurecht. Würden Sie ihm bevorzugt Ihre Apotheke als Nachfolger anbieten? Wahrscheinlich wohl eher nicht – obwohl gerade er von allen hier gezeigten Beispielen den größten unternehmerischen Spirit an den Tag legt. So kann man sich täuschen!

(Standes-)Politik

Kommen wir zu einem ganz trüben Kapitel. Gerade in Deutschland regieren meist nicht die Besten und Klügsten, sondern Mittelmaß. Einige Gründe können Sie bereits aus den genannten Beispielen ersehen. In der Politik setzt sich das fort. Und so sieht dann eben unsere (Berufs-)Politik aus. Leute mit genügend Sitzfleisch, Zähigkeit und der Fähigkeit, unterstützende Seilschaften zu bilden, gelangen nach oben – nicht jedoch die auch mal aneckenden, kreativen "Querdenker" oder die radikalen Reformer.

Der starke Wunsch nach dem Erhalt des Heutigen und eine gleichzeitig ausgeprägte Risikoscheu beim Blick in die Zukunft erklären diese harmoniegetriebene Regression zum Mittelmaß, die sich in unseren politischen Vertretern widerspiegelt. Unsere derzeitige politische Lage ist insoweit nur folgerichtig – und wird sich erst ändern, wenn die Risikoaversion durch eine (situativ erzwungene) Aufbruchsstimmung ersetzt wird.

Fazit

Kluge Unternehmer besetzen herausgehobene Positionen nicht mit Blick in den Rückspiegel, sondern schauen vielmehr bewusst, ob die Kandidaten zu den künftigen Anforderungen passen. "Bewährtes" kann da absolut kontraproduktiv sein – umso mehr, wenn Sie Transformationsprozesse und Neuerungen anstoßen wollen. Altgediente "Verwalter" sind dann das reinste Gift – und fast eine Garantie für den Misserfolg!

Zum Weiterlesen

[1] Peter, L. J., Hull, R.: Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen, Rowohlt Verlag: Hamburg 2001

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(15):4-4