Nacharbeiten oder vergüten?

Was für Minusstunden in Coronazeiten gilt


Dr. Markus Rohner

Im Zuge der Corona-Pandemie sind in Apotheken häufig Schichtdienste eingeführt worden – mit der Folge, dass weniger gearbeitet wurde. Daher stellt sich die Frage, ob Minusstunden nachgearbeitet oder vergütet werden müssen.

In vielen Apotheken ist während der Hochphase der Corona-Pandemie ein Schichtdienst eingeführt worden, um die Ansteckungsgefahr zwischen den Mitarbeitern zu reduzieren. Dadurch haben viele Apothekenmitarbeiter weniger gearbeitet und somit Minusstunden aufgebaut. Weil sich die Arbeitszeiten mittlerweile normalisieren, stellt sich nunmehr aber die Frage, ob diese Minusstunden nachgearbeitet werden müssen.

Annahmeverzug: Was ist das?

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber eine feste Wochenstundenzahl – nämlich die vertraglich vereinbarte – abrufen, sonst gerät er in den sogenannten Annahmeverzug. Das bedeutet: Der Arbeitnehmer könnte arbeiten, aber der Arbeitgeber nimmt sein Angebot, die Arbeitsleistung zu erbringen, nicht an. In der Folge muss der Arbeitgeber die somit entstandenen Minusstunden bezahlen, der Arbeitnehmer sie jedoch nicht nacharbeiten. Ist hingegen bei der Einführung des Schichtdienstes eine Änderung der Wochenstundenarbeit schriftlich – und somit einvernehmlich – im Arbeitsvertrag vereinbart worden, besteht dieser Anspruch des Arbeitnehmers nicht.

Andere Regeln gelten auch, wenn es ein (tarifliches) Jahresarbeitszeitkonto gibt. Nach §4 Bundesrahmentarifvertrag lassen sich z.B. flexible Arbeitszeiten so vereinbaren, dass wöchentlich mindestens 29 und höchstens 48 Stunden abgerufen werden. Über einen Zwölf-Monats-Zeitraum (in der Regel das Kalenderjahr) muss die durchschnittliche Arbeitszeit dann 40 Stunden pro Woche betragen. Nur wenn dieser Durchschnitt nach den zwölf Monaten nicht erreicht ist, muss der Arbeitnehmer die Minusstunden im sich anschließenden Quartal nacharbeiten. Liegt ein solches Arbeitszeitkonto vor, können die zu Pandemiebeginn angefallenen Minusstunden also mit Mehrstunden in den nächsten Monaten verrechnet werden.

Existiert aber kein Arbeitszeitkonto und wurde der Arbeitsvertrag bei Einführung des Schichtdienstes nicht angepasst, finden die gesetzlichen Regelungen Anwendung. Maßgeblich ist dabei §615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Gerät der Arbeitgeber demnach mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, kann der Arbeitnehmer für die Arbeit, die er deswegen nicht geleistet hat, die vereinbarte Vergütung verlangen – und ist auch nicht verpflichtet "nachzuleisten". Wenn er jedoch dadurch, dass er nicht in der Apotheke gearbeitet hat, etwas sparen oder sich sogar anderweitig hinzuverdienen konnte (bzw. darauf absichtlich verzichtet hat), darf ihm der entsprechende Wert von seiner Vergütung abgezogen werden (Anrechnungsvorschrift nach §615 Satz 2 BGB) – und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber das Risiko für den Arbeitsausfall trägt (§615 Satz 3 BGB).

Aber trägt der Arbeitgeber überhaupt das Risiko für Minusstunden aufgrund der Corona-bedingten Schichtdienste? Zwar gibt es noch keine höchstrichterlichen Urteile im Corona-Kontext. Zurückgreifen kann man aber auf die grundsätzliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das mit der sogenannten Sphärentheorie argumentiert. Ihr zufolge trägt das Risiko letztlich derjenige, in dessen "Sphäre" es liegt. Während das Wegerisiko (vom Wohnort zur Arbeitsstätte) in der Regel dem Arbeitnehmer zuzuordnen ist, liegen das Betriebs- und das Wirtschaftsrisiko beim Arbeitgeber. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Betrieb vorübergehend wegen Smog-Alarms oder einer Flutkatastrophe eingestellt wird. Aber auch auf die Corona-bedingten Arbeitsausfälle dürften diese Grundsätze Anwendung finden.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Interessant ist anschließend die Frage, ob die sonstigen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §615 BGB vorliegen, nämlich

  1. dass ein erfüllbares Arbeitsverhältnis vorliegt,
  2. dass die Arbeitsleistung – von Ausnahmefällen (§296 BGB) abgesehen – entweder tatsächlich (§294 BGB) oder unter gewissen Umständen wörtlich (§295 BGB) angeboten wird,
  3. dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Angebots nicht außerstande ist, die Arbeitsleistung zu erbringen (§297 BGB), und
  4. dass der Arbeitgeber die ihm angebotene Leistung nicht angenommen hat.

Nicht kritisch sind in der Regel die Voraussetzungen 1 und 3. Denn zum einen bestand wohl bei den meisten Corona-bedingten Arbeitsausfällen ein erfüllbares – sprich: überhaupt ein – Arbeitsverhältnis. Und zum anderen dürften die Arbeitnehmer überwiegend nicht – z.B. krankheitsbedingt – außerstande gewesen sein, auch tatsächlich zu arbeiten.

Ausschlaggebend kann aber Voraussetzung 2 sein, also die Frage, ob und in welcher Form der Arbeitnehmer seine Leistung angeboten hat. Bei Meinungsverschiedenheiten über den zeitlichen Umfang der zu erbringenden Arbeit im Rahmen des Schichtdienstes reicht es z.B. aus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung wörtlich anbietet – was er im Streitfall allerdings auch beweisen muss. Die Rechtsprechung stellt dabei keine allzu hohen Anforderungen. Das Angebot kann auch konkludent, also durch schlüssiges Handeln, erfolgen. So genügt es z.B. unter Umständen, wenn der Mitarbeiter dagegen protestiert, dass seine Stundenzahl reduziert wird – und damit seine Leistungsbereitschaft zum Ausdruck bringt.

Auch wenn die Rechtsprechung sehr großzügig und arbeitnehmerfreundlich ist, kann es sich lohnen, diese Umstände bei den Gesprächen über die Einführung von Schichtdiensten und Minusstunden genauer unter die Lupe zu nehmen: Haben der Inhaber und seine Mitarbeiter in diesem Rahmen die Arbeitsverträge weder einvernehmlich schriftlich geändert noch Weiteres zur Vergütung der Minusstunden besprochen? Dann liegt eventuell kein Annahmeverzug des Arbeitgebers vor, weil der Arbeitnehmer eben nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er seine Arbeitsleistung trotzdem anbietet.

Die Adexa und auch sonstige Gewerkschaften haben zwar gefordert, Minusstunden im Zuge von Corona geradezu selbstverständlich über §615 BGB auszugleichen. Das allerdings ist nicht allgemein gültig. Vielmehr sollten Apothekeninhaber immer den konkreten Sachverhalt prüfen (lassen). Und wenn es zu einem Prozess kommt, muss der Arbeitnehmer zumindest nachweisen, dass ein Annahmeverzug vorgelegen hat.

Übrigens: Voraussetzung 4 wird im Fall der Corona-bedingten Minusstunden zwar in der Regel erfüllt sein. Allerdings muss zuvor geprüft werden, ob das auch auf Voraussetzung 2 zutrifft, denn ein Angebot kann man schließlich nur ausschlagen, wenn es auch gemacht wurde.

Darf die Vergütung gekürzt werden?

Eine häufig übersehene Regelung ist in diesem Zusammenhang auch die bereits erwähnte Anrechnungsvorschrift nach §615 Satz 2 BGB, derzufolge sich der Arbeitnehmer anderweitige Verdienste oder ersparte Aufwendungen anrechnen lassen muss: Übt er etwa aufgrund der frei gewordenen Zeit eine Nebentätigkeit aus, der er bei einer Vollbeschäftigung nicht nachgekommen wäre, muss er sich diesen Verdienst anrechnen lassen. Und spart der Arbeitnehmer Fahrtkosten, weil er z.B. an einem Wochentag nicht in der Apotheke arbeitet, können diese ersparten Aufwendungen ebenfalls vom Verdienst abgezogen werden.

Bietet der Apothekeninhaber einem Arbeitnehmer mit Minusstunden die Möglichkeit, in einer anderen Filiale in Vollzeit zu arbeiten oder Stunden aufzustocken, muss der Arbeitnehmer dies in der Regel akzeptieren. Andernfalls könnte sein Vergütungsanspruch gemäß §615 Satz 2 BGB entsprechend gekürzt werden.

Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die pauschale Aussage, Minusstunden müssten vergütet und nicht nachgearbeitet werden, so nicht zutrifft. Es ist vielmehr erforderlich, die betriebsinterne Regelung über die Arbeitsausfallzeiten, die Umstände der Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer sowie auch dessen Reaktionen darauf genau zu beleuchten.

Dr. Markus Rohner, Rechtsanwalt, Partner der RST Beratungsgruppe, 45128 Essen, E-Mail: mrohner@rst-beratung.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(15):14-14