AvP-Insolvenz

Was Betroffene jetzt wissen sollten


Dr. Markus Rohner

Über das Vermögen der AvP Deutschland GmbH und der weiteren AvP-Gesellschaften ist das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die meisten Apotheker haben ihre Verträge mit der AvP bereits gekündigt. Wie aber steht die Lage derzeit – und was können Betroffene tun?

Einige Apotheken haben zwar noch Abschlagszahlungen für September 2020 erhalten, bevor der Insolvenzantrag gestellt wurde. Laut dem vorläufigen Insolvenzverwalter, Dr. Jan-Philipp Hoos, betrifft das allerdings nur 60% der ausstehenden Forderungen.

Lassen sich geleistete Abschlagszahlungen anfechten?

Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen Zahlungen anzufechten, die die Gläubiger kurz vor dem Insolvenzantrag erhalten haben. Hoos hat allerdings bereits verlauten lassen, dass er bei der Rückforderung gezahlter Abschläge zurückhaltend sein werde.

In der Regel haben Apotheker nur Zahlungen erhalten, die ihnen auch vertraglich geschuldet waren. Bei solchen sogenannten "kongruenten Leistungen" liegen hohe Anforderungen für die mögliche Insolvenzanfechtung vor. Das heißt konkret: Sind Sie betroffen, müsste man Ihnen nachweisen, dass Sie zum Zeitpunkt der Zahlung von der Insolvenzreife der AvP gewusst haben. Dies wird aber – auch nach bisheriger Aussage von Hoos – kaum möglich sein. Demnach ist es unwahrscheinlich, dass geleistete Abschlagszahlungen zurückgezahlt werden müssen.

Wie stehen die Chancen auf den Ausgleich offener Forderungen?

Das Gesamtvermögen der Schuldnerin – also hier der AvP – bildet die Insolvenzmasse. Diese wird nach Abzug der Verfahrenskosten quotal unter allen Insolvenzgläubigern aufgeteilt – also unter all jenen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Anspruch gegen die AvP hatten. Neben den Apothekern werden das voraussichtlich im Wesentlichen Banken und die Agentur für Arbeit sein.

Nicht zur Insolvenzmasse gehören grundsätzlich Fremdgelder, die für die Apotheker verwaltet werden. Das jedoch muss vertraglich vereinbart worden sein. Nun sind die Verträge zwischen der AvP und den Apotheken über die Jahre unterschiedlich ausgestaltet worden. Zumindest im Kern aber gleichen sie sich überwiegend: Die Apotheken treten ihre Forderungen gegenüber den Krankenkassen an die AvP ab, die dadurch Eigentümerin der Forderungen wird. Zum Ausgleich hält sie dann ein Fremdgeldkonto für die Apotheken bereit.

Ein Fremdgeldkonto kann so eingerichtet worden sein, dass die Gelder darauf nicht als Eigentum des Kontoinhabers eingestuft werden. Sofern das der Fall ist und Gelder nicht als Eigentum der AvP, sondern als Eigentum von Apothekern zu werten sind, gehören sie nicht zur Insolvenzmasse – und die Apotheker können gegenüber dem Insolvenzverwalter ein Aussonderungsrecht geltend machen.

Die vertraglichen Bestimmungen sind jedoch in sich widersprüchlich und regeln nicht eindeutig, wessen Eigentum die Gelder auf den zugesagten Fremdgeldkonten tatsächlich sind – allein schon dadurch, dass die AvP Eigentümerin der Forderungen gegenüber den Krankenkassen geworden ist und die Krankenkassen die Gelder als Ausgleich für diese Forderungen gezahlt haben.

Zudem können sich die einzelnen Vermögensmassen auf dem Fremdgeldkonto vermischen – gerade wenn ein Konto für mehrere Apotheker eingerichtet wurde. Dann lässt sich nicht mehr unterscheiden, wem welches Guthaben zusteht.

Schließlich wird auch noch vermutet, dass sich auf den Fremdgeldkonten keine ausreichenden Summen befinden, um alle Ansprüche der Apotheker auszugleichen.

Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, diese Sachverhalte abschließend zu prüfen. Das wird lange dauern, sodass sich die Betroffenen darauf einrichten müssen, die Liquiditätslücken zu schließen. Ob und in welcher Höhe am Ende Forderungen im Insolvenzverfahren ausgeglichen werden können, lässt sich derzeit nicht seriös prognostizieren.

Es empfiehlt sich, zunächst die weiteren Stellungnahmen des Insolvenzverwalters sowie auch die politische Entwicklung abzuwarten. Zurzeit laufen Apotheker jedenfalls keine Gefahr, dass die ihnen zustehenden Rechte beeinträchtigt werden – dass sie mehr Rechte bekommen, ist im Augenblick allerdings ebenso wenig zu erwarten. Auch ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausreichend klar, ob es sinnvoll oder sogar erforderlich sein wird, Interessen der Gläubiger zu bündeln.

Was gilt für noch nicht abgerechnete Rezepte?

Nun stellt sich die Frage, was für Rezepte gilt, die im September 2020 zwar abgeholt, aber von der AvP bislang noch nicht abgerechnet worden sind. Sofern Aussonderungsrechte bestanden, wurden diese Rezepte laut Hoos bereits zurückgegeben.

Für die überwiegende Zahl der Rezepte treffe das allerdings nicht zu. Diese Rezepte werde man kurzfristig bei den Kostenträgern einreichen und abrechnen. Die Zahlungen verbleiben Hoos zufolge dann erst einmal bis zur endgültigen Klärung separiert auf einem Treuhandkonto – ebenso wie die bei der AvP vorgefundenen Guthaben durch bereits abgerechnete Rezepte. Die Krankenkassen ihres Zeichens teilen den betroffenen Apotheken zurzeit mit, dass sie die Forderungen aus noch nicht abgerechneten Rezepten, die bei der AvP liegen, nur an die AvP leisten, um nicht doppelt zahlen zu müssen.

Rezepte, die sich am 16. September 2020 (dem Tag, an dem die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde) noch physisch in den Apotheken befanden, müssen laut Hoos nicht mehr in Papierform an die AvP herausgegeben werden – auch wenn sie bereits vor dem Insolvenzantrag digital an die AvP übermittelt worden sind. Die Originalrezepte können Sie deswegen bei Ihrem neuen Rechenzentrum einreichen. Hoos hat die Kostenträger bereits darüber informiert.

Hoos hat zugesagt, bis zur Klärung dieser sehr komplexen Rechtslage durch einen externen und objektiven Experten alle Vermögensmassen zu sichern und keinerlei Verfügungen darüber vorzunehmen. In der Zwischenzeit bieten Versuche, Zahlungsansprüche oder eventuell bestehende Aussonderungsrechte durchzusetzen, keine Aussicht auf Erfolg.

Wie lassen sich Liquiditätslücken schließen?

Für Betroffene kommt es nun darauf an, ihre Liquiditätslückenzu schließen. Denn mit einem zeitnahen Forderungsausgleich darf man wohl leider nicht rechnen. Immerhin: Banken, Großhändler und Krankenkassen haben bereits ihr Entgegenkommen signalisiert. Außerdem stellt der Bund betroffenen Apotheken über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Schnellkredite mit günstigen Zinskonditionen zur Verfügung. Diese Kredite lassen sich über die Hausbanken beantragen.

Auch Ihr Steuerberater kann entsprechende Liquiditätslücken schließen, beispielsweise indem er Herabsetzungsanträge bei der Einkommens- und Gewerbesteuer stellt oder den Forderungsausfall bei der Umsatzsteuer berücksichtigt. Speziell zu diesem letzten Punkt ist in Kürze eine gemeinsame Verlautbarung der Oberfinanzdirektionen zu erwarten.

Apotheken sind Teil des Gesundheitssystems und seiner strikten Regularien. Trotzdem sollen sie das Risiko von Schieflagen der Abrechnungszentren wirtschaftlich selbst tragen. Das ist weder für die Apotheken noch für das Gesundheitssystem mitsamt den Patienten akzeptabel. Daher wäre es wichtig, dass die Apothekerverbände und -kammern sowie die ABDA ihren Einfluss in den anstehenden politischen Prozessen mit Nachdruck geltend machen, um diesen Missstand zu beheben. (Stand: 08.10.2020)

Was wir Ihnen empfehlen

  • Das Risiko einer möglichen Pleite besteht bei privatwirtschaftlichen Partnern immer. Daher ist im Vertrag mit einem neuen Abrechner grundsätzlich klar zu regeln, dass die eingezogenen Gelder unterscheidbar auf Fremdgeldkonten für die Apotheke geführt werden.
  • Außerdem sollte der Abrechner regelmäßig nachweisen, dass er diesen Regelungen auch tatsächlich nachkommt.
  • Weiterhin sollten Sie die Vertragsbedingungen mit Ihrem derzeitigen Abrechner sowie deren Umsetzung auf den Prüfstand stellen und hier gegebenenfalls nachverhandeln.
  • Zusätzlich kann es sinnvoll sein, eine Ausfallversicherung für eingezogene Gelder abzuschließen.

Dr. Markus Rohner, Rechtsanwalt, Partner der RST Beratungsgruppe, 45128 Essen, E-Mail: mrohner@rst-beratung.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(20):14-14