Gerade in Coronazeiten von Bedeutung

Wie Sie mit Reklamationen umgehen können


Emanuel Winklhofer

Der moderne Verbraucher ist vom Handel sehr verwöhnt, frei nach dem Motto: "Bei Nichtgefallen einfach zurückgeben!" Das gilt auch für die Apotheke – insbesondere in diesen Zeiten, die von Corona und verstärkten Aggressionen geprägt sind. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Das Verhalten der Verbraucher hat sich in den vergangenen 20 Jahren sehr stark verändert. Dazu hat sicherlich auch ein zunehmender Konkurrenzdruck beigetragen. Gerne ziehen gerade Amazon und Co. alle Register und bieten die großzügigsten Reklamationsregelungen bis hin zur kostenlosen Rücknahme an, um die Kunden zu halten.

Dieses Vorgehen ist als Marketingmaßnahme sicherlich verständlich, kostet die Wirtschaft allerdings enorm viel Geld. Wenn der lokale Einzelhandel da noch mithalten will, muss er sein Serviceverhalten an das der "Großen" angleichen – zumal die Kunden viel forscher und fordernder als früher auftreten. Das gilt auch bei Reklamationen in der Apotheke – und ganz besonders seit Corona.

Wie wir uns durch Corona verändert haben

Wenn wir uns die Proteste und Demonstrationen der vergangenen Monate in den USA, Belarus oder Hongkong, aber auch in hiesigen Städten wie Berlin, München oder Stuttgart ansehen, lässt sich eine erhöhte Gewaltbereitschaft feststellen. Ja, nicht zuletzt Corona hat uns alle verändert. Ganz gleich, wofür oder wogegen Menschen auf die Straße gehen: Es dient als Ventil für die enorm gesteigerten Aggressionen. Auch wenn wir ehrlich in uns selbst hineinhören, können wir sicherlich in etlichen Situationen feststellen, dass wir viel schneller gereizt oder verärgert sind – und dementsprechend hitziger reagieren.

In der Apotheke werden vor diesem Hintergrund insbesondere die Reklamationen zu ganz neuen Herausforderungen. Denn auch hier sind die Kunden angriffslustiger als früher. Was dazu führt, dass auch hinter dem Handverkaufs-Tisch oder am Telefon im Backoffice viel schneller der "Ärgerknopf" gedrückt wird – und sich die Situation aufschaukelt.

Deshalb gehört gerade jetzt ein professionelles Reklamationsmanagement in das kommunikative Standardrepertoire des Marketing-Konzeptes und sollte von allen Mitarbeitern in der Apotheke beherrscht werden. Gerät man an einen aggressionsgeladenen Kunden, kommen schnell Frust und Stress auf. Das gilt umso mehr, als im Augenblick ja wirklich jeder sein Bestes gibt und ohnehin bei der Arbeit ebenso wie im Privatleben einer höheren Belastung ausgesetzt ist. Wenn man hier nicht sehr stark aufpasst, können solche Situationen ganz schnell zu einem Motivationsverlust im gesamten Team führen.

Nicht über einen Kamm scheren

Generell müssen wir zweierlei unterscheiden, nämlich berechtigte und unberechtigte Reklamationen – allerdings nur aus unserer eigenen Sichtweise. Denn aus der Perspektive des Kunden ist jede Reklamation berechtigt – sonst würde er sich ja nicht an uns wenden.

Zur ersten Kategorie gehört alles, was wir auch im Qualitätsmanagement festhalten und gegebenenfalls an Hersteller und Co. weiter melden: Eine verfärbte Tablette, ein ausgeflockter Pflanzenextrakt, eine zu späte Lieferung von Arzneimitteln, eine defekte Salbentube etc.

Zur zweiten Kategorie gehört alles, wofür wir nicht selbst verantwortlich sind: Ein Blutzuckermessgerät, das ein Kunde durch falsche Bedienung kaputt gemacht hat, die gestern gekauften Bonbons, die dem Kunden nicht schmecken, oder auch ein Medikament, das "nicht in der Tüte war" – nämlich weil es dem Kunden herausgefallen ist.

Darüber hinaus gilt: Sogar schon versteckte Hinweise auf kleine Unzufriedenheiten zählen heute zum Thema "Reklamationen", so z.B. Aussagen wie: "Ich dachte, der Fahrer kommt schon um 16:00 Uhr!", "Die Spraydose war schwer zu bedienen!" oder "Die Creme riecht komisch!"

Nichts Persönliches

Leider packen viele von uns aggressive Verhaltensweisen anderer Menschen sofort in die Schublade "Angriff auf mein Selbstwertgefühl". Wir sind allerdings nicht die Ursache eines solchen Verhaltens, sondern nur dessen Projektionsfläche. Das zu wissen, ändert zwar sicherlich nichts an unserem Empfinden, wenn wir tatsächlich einem aggressiven Kunden gegenüberstehen. Es kann aber nichtsdestotrotz sehr wichtig für uns sein, um solche Situationen besser, professioneller und selbstbewusster zu lösen.

Ganz gleich, aus welchem Grund auch immer ein Kunde mit einer Reklamation in die Apotheke kommt: Wir müssen sofort den "Business-Schalter" betätigen und uns freimachen von jeglichem Gefühl, persönlich angegriffen worden zu sein. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, eine für den Kunden großzügige Lösungzu suchen – und nicht darin, das Problem zu diskutieren.

Hierzu ein einfaches Beispiel: Kaum jemand diskutiert wohl darüber, ob ein Flyer, eine Anzeige oder eine neue Werbemaßnahme 30 € mehr oder weniger kostet. Kommt allerdings ein Kunde mit einer Reklamation für 30 € in die Apotheke, kann es passieren, dass sich drei Mitarbeiter aufregen, ihre Motivation für diesen Tag verlieren und obendrein noch den Kunden verärgern. Denken Sie also bitte immer an die Verhältnismäßigkeit – zumal die Frage im Raum steht, wie oft Reklamationen von z.B. 30 € pro Woche oder Monat überhaupt vorkommen.

Nicht ziehen lassen

Wenn ein Kunde verärgert in die Apotheke kommt und schimpft und schreit, dann spricht er wenigstens noch mit Ihnen! Auch wenn das zunächst einmal befremdlich klingen mag, hat es doch einen wichtigen Kern. Denn nur 4% der unzufriedenen Kunden reklamieren überhaupt etwas. Was aber machen die anderen 96%? Die geben dem Unternehmen meistens überhaupt keine Chance mehr zu reagieren, sondern wenden sich still ab und gehen zur Konkurrenz.

Für die Apotheke entsteht durch einen abwandernden Kunden langfristig ein Wertverlust – allein schon, weil sie pro Kunde jährlich einen Umsatz von ca. 540 € macht. Wenn nun ein Apothekenkunde im Durchschnitt für drei Personen einkauft, dann bringt er pro Jahr 1.620 € Umsatz. Hochgerechnet auf 25 Jahre ergeben sich somit mehr als 40.000 €. Der "Life-Time-Value" eines Kunden liegt also bei weit über 50.000 €.

Reklamationen professionell abzuwickeln, hat auch einen deutlichen Werbeeffekt, denn Kunden sind Multiplikatoren: Ein grundsätzlich zufriedener Kunde gibt seine Zufriedenheit an drei Menschen weiter, ein unzufriedener seine Unzufriedenheit an zwölf. Ein Kunde aber, der nach einer Reklamation schnell und kompetent zufrieden gestellt wurde, verbreitet das sogar an 20 Personen!

Zu guter Letzt

Natürlich sollen Sie nicht auf alles eingehen, was die Kunden fordern, und sich dabei vielleicht gar beschimpfen lassen oder finanziell alles tragen. In manchen sehr schwierigen Situationen kann es vielmehr durchaus sinnvoll sein, sich ganz klar vom Kunden abzugrenzen und ihn eventuell dem Wettbewerb zu überlassen.

Prinzipiell wichtig ist, das Thema "Reklamationen" in Teambesprechungen immer wieder zu thematisieren, damit die Mitarbeiter mit ihrer eigenen Entscheidungskompetenz stets lösungsorientiert im Sinne des Kunden reagieren können.

Sieben Tipps für die Praxis

  1. Denken Sie stets daran: Reklamationen sind kein persönlicher Angriff, sondern eine Chance, Kunden zufrieden zu stellen.
  2. Zeigen Sie den Kunden, dass sie auch mit Reklamationen in Ihrer Apotheke willkommen sind – sie werden es Ihnen danken.
  3. Auch wenn es Sie drängt, sich zu verteidigen, beachten Sie immer die ZAF-Regel: Zuhören – Ausreden lassen – Freundlich sein!
  4. Ergreifen Sie eine Sofortmaßnahme, die zur Lösung hinführt.
  5. Wenn sich die Lösung über längere Zeit hinzieht, informieren Sie den Kunden zwischendurch.
  6. Tun Sie mehr, als der Kunde erwartet – und "übererfüllen" Sie seine Wünsche.
  7. Vergewissern Sie sich nach einiger Zeit beim Kunden, ob bzw. dass alles zu seiner Zufriedenheit erledigt ist.

Service

Zwei kostenfreie 3-Minuten-Videos zum Thema finden Sie unter der Rubrik "AWA" auf der Homepage des Autors.

Emanuel Winklhofer, Apotheker, Agentur für Kommunikation, Seminare und Coaching, 93197 Zeitlarn, E-Mail: coaching@winklho.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(20):8-8