Fehlerhafte Eingangsrechnungen

Vorsteuerabzug auch rückwirkend möglich


Helmut Lehr

Der Europäische Gerichtshof hatte bereits im Jahr 2016 klargestellt, dass fehlerhafte Rechnungen mit steuerlicher Rückwirkung berichtigt werden können. Vier Jahre später hat die Finanzverwaltung endlich reagiert und diese Möglichkeit amtlich bestätigt.

Dem Bundesfinanzministerium zufolge haben die im Jahr 2019 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfungen dem Fiskus ein Mehrergebnis von rund 1,55 Mrd. € beschert. Die Umsatzsteuer-Mehrergebnisse aus Betriebsprüfungen sind darin noch gar nicht enthalten. In nicht wenigen Fällen beruhten die Nachforderungen der Finanzämter auf fehlerhaften Rechnungen. Die Prüfer haben dann den bereits in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug gekürzt und zusätzlich Zinsen für länger zurückliegende Besteuerungszeiträume gefordert.

Unternehmer und Selbstständige haben jetzt deutlich bessere Karten. Das Bundesfinanzministerium hat nämlich ausdrücklich anerkannt, dass fehlerhafte Eingangsrechnungen auch noch nachträglich (selbst einige Jahre später) rückwirkend berichtigt werden können (vgl. Schreiben vom 18.09.2020, Aktenzeichen: III C 2 – S 7286-a/19/10001 :001). Erkennt also z.B. der Betriebsprüfer einige Jahre später, dass eine Apotheken-Eingangsrechnung fehlerhaft ist, kann der Rechnungsaussteller die Fehler jetzt noch rückwirkend korrigieren – zumindest in bestimmten Fällen. Die Folge: Der Vorsteuerabzug für den länger zurückliegenden Prüfungszeitraum bleibt erhalten – wodurch insbesondere die Belastung mit Nachzahlungszinsen von stattlichen 6%/Jahr entfällt.

Vorsicht, kein Freibrief!

Natürlich will die Finanzverwaltung auch weiterhin verhindern, dass Unternehmer allzu sorglos agieren und ihre Pflichten bei der Prüfung von Eingangsrechnungen vernachlässigen. Deshalb können nur solche fehlerhaften Rechnungen rückwirkend korrigiert werden, die bestimmte Mindestinhalte aufweisen (vgl. Schnell-Check).

Das bedeutet aber nicht, dass eine Rechnung, in der einer dieser fünf Mindestinhalte fehlt, gar nicht mehr korrigiert werden kann. Eine Korrektur ist vielmehr auch dann noch möglich – allerdings nicht mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit. Soll heißen: Das Finanzamt gewährt den Vorsteuerabzug in solchen Fällen erst im Voranmeldungszeitraum der Rechnungsberichtigung. Erfolgt die Berichtigung erst nach einer Betriebsprüfung, müssen Sie dann auch weiterhin mit Nachzahlungszinsen rechnen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung, aus der Sie den Vorsteuerabzug geltend machen können, sind nach wie vor sehr hoch. Grundsätzlich müssen Rechnungen nämlich weiterhin alle Angaben nach §14 Abs. 4 Umsatzsteuergesetz enthalten (vgl. die Checkliste im AWA 20/2016).

Beispiel

Bei Apothekerin Johannsen findet im November 2020 eine Betriebsprüfung für die Jahre 2015 bis 2017 statt. Dabei moniert der Prüfer die Rechnung einer Anwaltskanzlei über 10.000 € zuzüglich 1.900 € Umsatzsteuer aus dem Jahr 2015. Die Rechnung enthält lediglich den Hinweis "Rechtliche Beratung Apotheke". Diese Leistungsbeschreibung sei nicht konkret genug, weshalb ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht komme.

Daraufhin wendet sich Johannsen umgehend an die Anwaltskanzlei und bittet um eine Rechnungskorrektur. Die Kanzlei antwortet per E-Mail, bezieht sich konkret auf die ursprüngliche Rechnung, indem sie Rechnungsnummer und Rechnungsdatum angibt, und fügt eine ordentliche Leistungsbeschreibung bei (Auflistung der einzelnen Tätigkeiten nach Tag, Dauer und Bearbeiter etc.). Außerdem wird der betriebliche Bezug zur Apotheke nochmals klargestellt.

Hinweis: Nach den Ausführungen im erwähnten Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 18.09.2020 muss der Betriebsprüfer den Vorsteuerabzug für das Jahr 2015 anerkennen. Die Prüfung bleibt zumindest insoweit ohne Mehrergebnis.

Abwandlung

Die Rechnung der Anwaltskanzlei enthält überhaupt keine Leistungsbeschreibung, sondern nur die Bezeichnung "Honorar".

Eine solche Rechnung erfüllt die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht. Deshalb ist der Vorsteuerabzug für das Prüfungsjahr 2015 nicht möglich. Korrigiert die Kanzlei die Rechnung im November 2020, kann Johannsen die Vorsteuer in Höhe von 1.900 € allerdings in der Umsatzsteuervoranmeldung für November 2020 ("erneut") geltend machen, weil zu diesem Zeitpunkt erstmals eine korrekte Rechnung vorliegt.

Das Finanzamt wird dann im Umsatzsteueränderungsbescheid für 2015, der nach Abschluss der Betriebsprüfung ergeht, Nachzahlungszinsen in Höhe von 6%/Jahr (bezogen auf die Vorsteuerkürzung von 1.900 €) berechnen – allerdings unter Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen 15-monatigen "Karenzzeit".

Stornierung und Neuausstellung möglich

Bislang war nicht eindeutig geklärt, ob die rückwirkende Berichtigung einer Rechnung auch in der Form erfolgen kann, dass die ursprüngliche Rechnung storniert und eine neue Rechnung ausgestellt wird. Nun aber hat das Bundesfinanzministerium diese Möglichkeit ausdrücklich erlaubt.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(21):16-16