Nicht nur High-Tech, sondern vor allem auch High-Touch

Wie Sie Kundendaten als "Schatz" für Ihre Apotheke nutzen können


Dr. Michael Brysch

Vielfach herrscht in Vor-Ort-Apotheken noch Skepsis, wenn es darum geht, Kundendaten zu nutzen. Prof. Dr. Gerhard F. Riegl zufolge muss dieses Paradigma jedoch gebrochen werden. In seinen Augen sind Kundendaten nämlich ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Zukunft.

Schon in der Vor-Corona-Zeit waren die digitalisierungsverursachten Veränderungen gigantisch. Die Pandemie habe diesen Prozess aber noch einmal "turbobeschleunigt", erläuterte Riegl, der das "Institut für Management im Gesundheitsdienst" in Augsburg leitet, Anfang Oktober dieses Jahres auf der Online-Veranstaltung "Expopharm Impuls".

Werde im Apothekenkontext von Digitalisierung gesprochen, dächten viele zwar an Effizienz, Investitionen, Automaten oder dergleichen, jedoch nicht unbedingt an das, was die "eigentliche Herzkammer der Digitalisierung" sei – nämlich an Kundendaten. Das Erfolgsrezept, um von der Digitalisierung profitieren zu können, liegt laut Riegl gerade auch für Vor-Ort-Apotheken darin, gestützt durch den "Schatz" dieser Daten "mehr High-Touch, und nicht nur High-Tech" zu verwirklichen.

Gedankenlesen? Keine Utopie!

Die Online-Anbieter seien da schon viel weiter, denn sie würden ihre Geschäftsmodelle auf den Einsatz von Datenökonomie stützen und damit die Vor-Ort-Apotheken nach Strich und Faden abhängen: Aufgrund der erhobenen Daten wüssten Versender und Co. beispielsweise, wo sich die Kunden aufhalten oder was die Kunden als nächstes benötigen. Im Prinzip könnten die Online-Anbieter dadurch Gedanken lesen und in der Folge verblüffende, personalisierte Angebote machen. Somit hätten sie die Bedarfsbefriedigung voll im Griff. Wissen durch die Daten sei also Macht – was nur leider in vielen Vor-Ort-Apotheken noch zu stark vernachlässigt werde.

Einen Grund dafür sieht Riegl in einer gewissen Datenphobie, die er mit der Angst vor Strom in Zeiten der Industriellen Revolution verglich: Während damals die Furcht vor der tödlichen Wirkung im Vordergrund gestanden habe, könne man sich heutzutage ein Leben ohne Strom wohl kaum noch vorstellen.

"Exzellenz in Menschlichkeit" statt Salatschleuder

Dass medizinische Daten "heiliges Territorium" bleiben müssen, ist für Riegl selbstverständlich. Aber der Patient bestehe eben "nicht nur aus Medikationsmanagement und nicht nur aus elektronischer Patientenakte", sondern aus "viel mehr Daten, aus Gefühlen, Emotionen, aus Stimmungen, aus Lebenssituationen" – und dies alles sei, wenn man einfühlsam mit dem Kunden umgehen wolle, unter Umständen noch wichtiger als die rein fachlich-medizinischen Daten.

Um in der Apotheke eine "Exzellenz in Menschlichkeit" anzubieten, müsse man sich also von der Datenphobie lösen – ebenso wie von der Vorstellung, dass es sich beim Sammeln von Kundendaten um Kundenspionage handele. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: Wer Kundendaten sammle und sie für die Kunden vorteilhaft einsetze, mache die Kunden damit sogar glücklich und dankbar. Zukunftsgewinner sind nach Riegls fester Überzeugung somit "nicht mehr die besten Pharmazeuten, sondern die besten Kundenversteher – die selbstverständlich auch exzellente Pharmazie anbieten."

Das verhalte sich im Apothekenmarkt übrigens ganz ähnlich wie in der Automobilindustrie: Tesla etwa verstehe sich vor allem als Softwareunternehmen mit angehängter Autoproduktion, während die deutschen Autohersteller insbesondere stolz auf ihre Ingenieurskunst, ihre Blechbieger etc. seien – und derzeit am eigenen Leibe erführen, wie stark sie abgehängt würden: Eben "weil der Besitz von Kunden eventuell wichtiger ist als der Besitz einer Fabrik."

Nun fragen Sie sich vielleicht, wie Sie überhaupt an die Daten gelangen? Dabei gilt Riegl zufolge: Die Daten müssen immer im Einvernehmen mit dem Kunden erhoben werden. Was nicht nach den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung geschieht, ist tabu! In der Apotheke seien die Daten aber sicherer als etwa in Kalifornien oder in einer Cloud. Zudem verwies Riegl darauf, dass der Datenschutz "nicht zum Schutz vor Menschlichkeit und Achtsamkeit führen" dürfe.

Prinzipiell seien die Kunden gerne zu "Deals" bereit – also dazu, gewisse Daten preiszugeben, sofern sie daraus einen persönlichen Nutzen ziehen können. Manchmal geschehe das zwar "etwas naiv" und vorschnell, so etwa, wenn es bei Payback und Co. als Gegenleistung für die Einkaufsdaten lediglich eine Salatschleuder gebe. Eine bevorzugte Behandlung hingegen – und zwar eben nicht unbedingt in Form von Geld oder einem Bonus – könne da adäquater sein.

Riegl verdeutlichte das am Vorzeige-Beispiel Amazon: Prime-Kunden bekämen nämlich nicht nur günstigere Preise, sondern auch zusätzliche Services, wie etwa eine schnellere Belieferung oder eine bessere Betreuung.

Botendienst, Wearables und Co.: Ein Strauß an Möglichkeiten

Die Daten ließen sich, so Riegl weiter, an allen Ecken und Enden erheben – und zwar sowohl online als auch ganz analog in der Offizin. Das beginne schon damit, dass man den Kunden Fragen stelle und ihnen aufmerksam zuhöre, statt selbst große Reden zu schwingen. Auch beiläufige Infos gelte es zu registrieren.

Als Negativ-Beispiel dafür verwies Riegl auf eine Erfahrung aus seiner Stammapotheke: Dort habe er ein Rezept eingelöst und anschließend die beratende PTA gebeten, ihrem Chef einen Gruß auszurichten – worauf sie ihn nach seinem Namen gefragt habe. Ob da ein aufmerksamer Blick aufs Rezept nicht von mehr Interesse am Kunden gezeugt hätte?

Weiterhin ließen sich Daten auch über anonymisierte bzw. offene Fragebögen erheben. Kundenkarten böten darüber hinaus die Möglichkeit, Verhaltensmuster zu analysieren. Der Botendienst erlaube es, Daten zur Lebenssituation zu erhalten. Und manch selbstperfektionierender Kunde sei sogar bereit, der Apotheke seines Vertrauens die über Wearables und dergleichen ermittelten Daten preiszugeben.

Online ließen sich Daten etwa über das Nutzungsverhalten auf der Apotheken-Homepage erheben. Gleichermaßen erfahre man in Foren so manches über Kundenpräferenzen und Co. ("User Generated Content"). Außerdem könnten Apps bzw. Plattformen einigen Aufschluss über die Kunden geben.

Apropos Plattformen: Riegl mahnte, dass man immer eine eigene Online-Strategie benötige – auch wenn man Online-Dienste (an nicht ganz uneigennützige) Plattformen und Co. outsource. Die datenbasierte Kundenorientierung dürfe man keinesfalls komplett aus der Hand geben.

Übrigens: Nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten funktioniert die Datenerhebung laut Riegl auch in kleinen Apotheken. Voraussetzung sei lediglich, dass man sich für Daten interessiere und diese nicht lediglich als "Wust" wahrnehme, sondern vielmehr Spaß daran habe, sie sprechen zu lassen.

Fast wie Old Shatterhand

Letztlich komme es darauf an, dass Sie "digitale Fährtenleser" werden, die alle Touch-Points und Kundenspuren in Ihren Apotheken registrieren, verinnerlichen und somit ein besseres Verständnis für Ihre Kunden entwickeln. Auch Ihr ganzes Team sollten Sie – so Riegls Empfehlung – dahingehend sensibilisieren.

Auf dieser Basis gilt es anschließend, die Interaktionsqualität an allen Berührungspunkten auf der "Customer Journey" durch die Apotheke zu optimieren. Begeistern Sie Ihre Kunden also stets aufs Neue, z.B. durch

  • das Äußere der Apotheke,
  • das Ambiente in der Offizin,
  • eine zielgruppenspezifisch gestaltete Freiwahl,
  • eine passgenaue Beratung und Diskretion,
  • treffsichere (Werbe-)Aktionen oder
  • eine prädiktive Vorratshaltung.

Wenn es Ihnen auf diese Weise datengestützt gelingt, Ihre Beliebtheit bei den Kunden zu steigern und sich unverzichtbar zu machen, haben Sie das Ziel erreicht: Einen uneinholbaren Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb. Denn gerade die Online-Anbieter vermögen die "Exzellenz in Menschlichkeit" allenfalls vorzutäuschen. Eine erlebnisorientierte Vor-Ort-Apotheke hingegen kann laut Riegl sehr wohl zum "Sehnsuchtsort für die Kunden" werden.

Dr. Michael Brysch, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Chefredakteur AWA, E-Mail: mbrysch@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(21):6-6