Vom Apothekenleiter zum Chef-Kommunikator

Wie Sie Ihr Team in einem wachsenden Filialverbund führen


Simon Nattler

Jedes Unternehmen wächst nur so stark, wie es die Persönlichkeit des Unternehmers zulässt. Neben Umsätzen und Kundenzahlen müssen vor allem die internen Strukturen beim Wandel mithalten. Das gelingt nur durch eine Änderung des Führungsverhaltens.

Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Führungskraft eine Gruppe von maximal zehn Mitarbeitern führen sollte. Die genaue Anzahl hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab und wird auch als "individuelle Führungsschwelle" bezeichnet. In Apotheken haben wir durch die Filialisierung sowie die stetige Zunahme an Teilzeitkräften allerdings schnell deutlich mehr Mitarbeiter. Die Verteilung auf verschiedene Standorte kommt noch erschwerend hinzu.

Das Tückische: Wenn die Schwelle überschritten wird, macht sich das nicht plötzlich bemerkbar, sondern wird häufig erst (zu) spät erkannt. Die ersten Warnzeichen sind eine steigende Fehlerquote kombiniert mit Unruhe durch mehr schädlichen Flurfunk. Später erscheinen Mitarbeiter zunehmend egoistisch und melden sich mit einer "Ist doch nicht mein Problem!"-Haltung öfter krank.

Sie als Unternehmer müssen in dieser Situation immer mehr am – statt im – Unternehmen arbeiten. Die hierdurch entstehende Lücke können Sie am Anfang überbrücken, indem Sie sich noch mehr hineinknien und ständig zwischen Apothekenalltag, Mitarbeiter- sowie Unternehmensführung hin- und herspringen. Irgendwann sind Sie dann aber bei 100%!

Durch die ständige Arbeit am Limit haben Sie gerade dann (und das ist ein Teufelskreis!) wenig Verständnis für die Unzufriedenheit des Teams. Denn augenscheinlich hat sich nichts an der Zusammenarbeit geändert – zumindest für Sie, weil ja jeder Mitarbeiter immer noch schnell greifbar ist. Anders sieht es beim Team aus: Es verliert den Kontakt zu Ihnen als Leitfigur – und damit eine wichtige Identifikationsmöglichkeit mit der Apotheke.

Ich selbst war 2015, als ich meine dritte Filiale eröffnet habe, am Limit. Seither konnte ich mit den folgenden drei Schritten enorme Freiräume zurückgewinnen – bei gleichzeitig hoch zufriedenen Mitarbeitern.

1. Neue Führungsebene

Um Ihre individuelle Führungsschwelle nicht zu verpassen, sollten Sie die Führung rechtzeitig auf mehrere Schultern verteilen. Häufig höre ich von Kollegen, dass sie keine Zeit hätten, um mehr Verantwortung auf andere zu übertragen, und mir ging es vor fünf Jahren ähnlich. Fakt ist aber, dass es nie einfacher, sondern immer schwieriger wird, damit zu beginnen, solange die Apotheke weiter wächst – und erst recht, wenn das Wachstum zurückgeht.

Stärken Sie daher in einem ersten Schritt Ihren Filialleitern den Rücken, und legen Sie die Teamführung fest in deren Hände. Jeder Mitarbeiter muss wissen, dass der Filialleiter sein erster Ansprechpartner für alle Anliegen ist. Das heißt aber auch, dass Sie selbst keine direkten Mitarbeiteranfragen mehr annehmen – selbst wenn das zunächst hart und unpersönlich klingen mag! Natürlich können und sollen Sie weiterhin über fachliche und persönliche Dinge sprechen. Aber wenn die Mitarbeiter wissen, dass Sie bei Fragen zu Arbeitszeit, Gehalt und Ähnlichem immer noch zur Verfügung stehen, untergräbt das die Autorität des Filialleiters – und das macht es schwerer, ihn als echte Führungskraft zu verankern.

Tipp: Installieren Sie unbedingt auch in Ihrer Hauptapotheke einen solchen Filialleiter-ähnlichen Ansprechpartner!

Lassen Sie Ihre neuen Teamleiter durch Schulungen und externe Trainer zu echten Führungskräften ausbilden. Denn Teamführung will gelernt sein. Und während Sie wahrscheinlich schon über mehrere Jahre Erfahrungen gesammelt haben, stehen viele Filialleiter noch ganz am Anfang. Setzen Sie sich daher gerade in den ersten Monaten mindestens wöchentlich zusammen, um über Konflikte und Herausforderungen zu sprechen.

Auf diese Weise reduziert sich nach und nach die Größe des von Ihnen direkt geführten Teams – das am Ende "nur" noch aus Ihren Filialleitern besteht. Und auch die Filialleiter ihrerseits betreuen jeweils überschaubare Mitarbeitereinheiten. Mit der Zeit ergibt sich so aus dem Alltag heraus ganz automatisch, was die Filialleiter alleine entscheiden dürfen, und wann Sie als Chef hinzugezogen werden müssen.

Meine Filialleiter sind heute eine Art Filter für mich: Nur ein Bruchteil der Mitarbeiteranfragen dringt noch zu mir durch. Ich gewinne dadurch Zeit. Und die Filialleiter fühlen sich wertgeschätzt, sind in der Folge motivierter und mehr mit der Apotheke sowie dem Team verbunden. In erster Linie profitieren aber die Mitarbeiter, da die Filialleiter in der Regel besser greifbar sind und Anliegen somit schneller geklärt werden können.

2. Offene Kommunikation

Während Chefs oft Probleme haben, den Überblick zu behalten, fehlt den Mitarbeitern häufig der tiefere Einblick. Denn durch die zunehmend komplexe Welt sind sie sehr auf Details fixiert und darauf bedacht, keine Fehler zu machen – wozu sie wiederum laufend Informationen benötigen. Gleichzeitig wollen die Mitarbeiter heutzutage über den Sinn von Entscheidungen aufgeklärt werden. Alle gleichberechtigt zu informieren, ist jedoch in Filialverbünden eine besondere Herausforderung.

Bei mir gab es früher ein klares Wissensgefälle zwischen Hauptapotheke und Filialen, denn es fehlte schlicht die Zeit, um alle simultan zu informieren. Das hat häufig zu gefährlichem Halbwissen geführt, da Informationen über inoffizielle (WhatsApp-)Kanäle weitergetragen und dadurch nicht selten verfälscht worden sind.

Daraufhin haben wir ein filialübergreifendes Intranet eingeführt. So konnten wir den Austausch deutlich vereinfachen und die geheime "Schatten-IT" im Team unterbinden. Außerdem ließ sich viel von der Zeit einsparen, die vorher durch die ständige Suche nach Informationen oder dem richtigen Ansprechpartner verloren gegangen war (vgl. AWA 23/2019).

3. Mehr Bindung durch Beteiligung

Wenn Sie als Galionsfigur immer weniger zur Verfügung stehen, wird es zur wichtigsten Herausforderung, die Mitarbeiter weiterhin persönlich an die Apotheke zu binden. Entscheidend ist hier eine gemeinsame Vision des gesamten Teams. Das muss nicht immer ein fernes und abstraktes Ziel sein.

Beispiel: Viele Apotheken haben während des ersten Corona-Lockdowns einen starken Ruck gespürt, der die Teams viel stärker zusammengeschweißt hat. Denn das Ziel (bzw. der gemeinsame "Gegner") war ganz klar. Schaffen Sie also dauerhaft solch einen Fixpunkt (natürlich kein Virus)! Und überlegen Sie dann gemeinsam, wie die nächsten Schritte aussehen könnten – statt Ihr Team mit einer Art "Pressemitteilung" vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Uns ist der Durchbruch gelungen, indem wir nicht mehr in festen Organigramm-Strukturen gedacht, sondern das Team dynamisch und filialübergreifend nach Interessen vernetzt haben (z.B. nach Labor-, Rezeptur-, pharmazeutischen oder Marketing-Themen). Dadurch sehen sich mittlerweile alle Mitarbeiter trotz der verschiedenen Standorte wieder viel mehr als ein Team. Und dieser Team-Spirit ist am Ende auch das, womit sie sich identifizieren!

Wer abgibt, gewinnt!

Wenn Sie sich dazu entscheiden zu expandieren, entscheiden Sie sich gleichzeitig auch dazu, Verantwortung abzugeben. Erfahrungsgemäß ist das ein schwerer, aber für die weitere Entwicklung unabdingbarer Schritt. Falls Sie ihn nicht gehen wollen, laufen Sie zwar vielleicht dennoch mit voller Kraft los, verharren aber trotzdem auf der Stelle.

Übrigens: Gerade langjährigen Mitarbeitern fällt es häufig am schwersten, Sie in Ihrer neuen Rolle als Chef-Kommunikator zu begreifen. Aber auch sie müssen sich an die neuen Abläufe gewöhnen. Neue Mitarbeiter hingegen sehen einen Filialverbund schon ganz anders: Sie kennen den engen Kontakt mit dem Inhaber meistens gar nicht mehr in dieser Form und akzeptieren entsprechende Strukturen daher von Beginn an leichter.

Simon Nattler, Inhaber der ELISANA-Apotheken, Gründer der Team-App apocollect, 45896 Gelsenkirchen, E-Mail: inbox@apocollect.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(22):10-10