Best Practice Botendienst

Wie Sie Oma Müllers Vertrauen "erfahren"


Dr. Michael Brysch

Der Botendienst wird – nicht zuletzt durch Corona getriggert – immer häufiger in Anspruch genommen. Insofern lohnt es sich, alle damit zusammenhängenden Prozesse zu optimieren. Wir haben bei Dr. Björn Schittenhelm, dem Inhaber dreier Apotheken, nachgefragt, worauf es ankommt.

Die Anzahl der Bestellungen in Apotheken-Online-Shops hat von Januar bis September 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum deutschlandweit um rund 14% zugelegt (Tabelle 1) – vor allem wohl coronabedingt. Schittenhelm, Inhaber der Alamannen- und der Schönbuch-Apotheke in Holzgerlingen sowie der Bären-Apotheke in Esslingen, konnte diesen Trend bei sich ebenfalls beobachten – sogar viel deutlicher, denn in seinen beiden Holzgerlinger Apotheken stieg die Anzahl um ganze 122%. Welche Ab- und welche Umsätze er über die Online-Shop-Bestellungen erzielt hat, sehen Sie in Tabelle 2.

Der größte Teil der Online-Shop-Bestellungen (2.374 von 2.958) wurde in der Offizin abgeholt, 80 Mal nutzten die Kunden ein Abholfach, 195 Mal nahmen sie Schittenhelms Versand in Anspruch und 309 Mal seinen Botendienst.

Eine Frage der Ehre

Diese 309 Botendienste sind allerdings eben nur diejenigen, die aus Bestellungen über den Online-Shop resultierten. Insgesamt ergibt sich noch einmal ein ganz anderes Bild: Als nämlich Mitte März die Kontaktbeschränkungen in Kraft getreten seien, wären nicht nur über den Online-Shop, sondern auch ansonsten – z.B. telefonisch, per Mail oder per Fax – vermehrt Bestellungen für den Botendienst in seinen Apotheken eingegangen, so Schittenhelm. Und natürlich sei es für ihn "Ehrensache" gewesen, diese Bestellungen auch auszuliefern, sprich: sein Botendienst-Angebot massiv auszubauen. Vorher hätten nämlich nur zwei Rentner die wenigen allabendlichen Lieferungen mal eher nebenbei übernommen.

Von Mitte März bis Ende September hätten die Boten dann insgesamt 10.918 km in 1.428 Stunden zurückgelegt, um 6.530 Mal zu liefern – übrigens in einem Radius von gerade einmal rund 10 km. 5.928 der Aufträge hätten sie gleich abschließen können, die übrigen 602 Versuche (circa 9%) wären beim ersten Mal erfolglos geblieben. Das sei dennoch eine gute Quote, so Schittenhelm – gerade wenn man bedenke, dass die Kunden gar nicht gewusst hätten, wann genau der Bote bei ihnen eintreffe. Die Benachrichtigung über den exakten Lieferzeitpunkt etabliere er nämlich gerade erst über die Botendienst-Software.

Ab in die Tonne

Was die direkt in der Apotheke stattfindenden Prozesse anbelangt, unterscheidet sich ein Botendienst laut Schittenhelm kaum von einer "normalen" Bestellung. Zusätzlich falle hier lediglich an, dass die Bestellung eingetütet und mit einem (idealerweise von der Warenwirtschaft generierten) Etikett versehen werden müsse. Die Tourenplanung aber und sogar den Vorgangsabschluss übernehme die an die Warenwirtschaft angeschlossene Botendienst-Software (vgl. dazu ausführlich AWA 17/2020).

Insofern seien auch die Kosten für die Prozesse in der Apotheke mehr oder weniger die gleichen wie bei einem Abholer-Vorgang. Hinzu kämen dann natürlich noch die Kosten für alles außerhalb der Apotheke, insbesondere also für den Fahrer und das Auto.

Übrigens: Eine entsprechende Software lohnt sich laut Schittenhelm für alle Apotheken, in denen täglich mehr als 20 bis 25 Botendienste anfallen.

So sehr sich die Prozesse innerhalb der Apotheke auch prinzipiell ähneln: Bei Spitzenwerten von über 200 Botendiensten am Tag sei doch einiges aus dem Handverkauf ins Backoffice verlagert worden: Während in seiner Hauptapotheke vor Corona fünf Mitarbeiter an den Kassen gestanden hätten, wären es während der ersten Welle nur noch zwei bis drei gewesen. Die anderen hätten aber keinesfalls Däumchen gedreht, sondern seien damit beschäftigt gewesen, die einzelnen Bestellungen einzugeben etc.

Grundsätzlich würde Schittenhelm "eine Apotheke heute ganz anders bauen. In Coronazeiten kann man diese schönen großen Freiwahlen mit den Kosmetikbereichen, wie wir sie auch haben, eigentlich komplett in die Tonne treten. Wir brauchen wieder schlanke, kleine Handverkaufs- und viel größere Backoffice-Arbeitsplätze." Die Mitarbeiter sollten schließlich genügend Platz für ihre Aufgaben haben – zumal man berücksichtigen müsse, dass bisweilen hunderte von Tüten im Backoffice stehen könnten.

Katastrophenprävention

Ganz zentral für Schittenhelm: Der Bote als "Mitarbeiter ohne Aufsicht beim Kunden" muss die Apotheke adäquat repräsentieren. Es sei "natürlich eine Katastrophenwerbung für die Apotheke, wenn der Bote nicht geschniegelt und gebügelt ist." Auch Oma Müller, die im Risikoalter ist und ihre Wohnungstüre ungerne für irgendwelche wildfremden Menschen aufmacht, müsse Vertrauen haben, dass die Person, die gerade bei ihr klingele, wirklich zur Apotheke gehöre.

Deswegen würden Schittenhelms Boten ein professionelles Coaching erhalten und ganz klar gebrieft, wie sie sich zu verhalten haben. Außerdem kleide man sie derzeit "richtig schön" ein – mit Overall, Logo und allem, was sonst noch dazugehöre. Natürlich sei der Wagen ebenfalls mit den Erkennungszeichen der Apotheke beklebt. Und last, but not least komme es auch darauf an, die Boten anständig zu bezahlen, "also nicht mit den in der Logistikbranche üblichen Pauschalen". Wohin nämlich Dumpinglöhne und "Mordsdruck" führen, könne man so manches Mal bei den Fahrern von DHL und Co. beobachten.

Übrigens: Wichtig ist es Schittenhelm zufolge auch, den Kunden möglichst vielfältige Zahlungsmöglichkeiten einzuräumen. Denn immer weniger Einkäufe würden – nicht zuletzt wieder Corona-getriggert – bar beglichen. Die Zahlungsarten, über die Schittenhelm die in Tabelle 2 aufgeführten Online-Shop-Umsätze erwirtschaftet hat, mögen dies verdeutlichen (ohne Rx-Umsätze von 38.258 €):

  • Barzahlung: 49.368 €,
  • PayPal: 21.473 €,
  • Lastschrift: 13.438 €,
  • Rechnung: 10.370 € sowie
  • EC-/Kredit-Karte: 4.438 €.

Hybrid gehört die Zukunft

Schittenhelm zufolge dürfte das E-Rezept auch beim Botendienst zum "Game Changer" werden. Denn derzeit müsse das Papierrezept ja noch physisch in der Apotheke vorliegen, sodass viele Kunden in die Offizin kämen, um ihre Rx-Arzneimittel zu erhalten. Daher werde der Botendienst hier im Augenblick noch nicht so stark in Anspruch genommen wie bei den freiverkäuflichen Apothekenwaren. Wenn es aber zukünftig ausreiche, das E-Rezept virtuell vorzulegen, würden viele Kunden schon allein aus Bequemlichkeit auch für Rx-Arzneimittel nicht mehr in die Apotheke kommen – und der Botendienst dürfte durch die Decke schießen.

Schittenhelms Ratschlag an alle Kollegen: "Stellen Sie sich schnellstmöglich als Hybrid-Apotheke auf, die sowohl vor Ort als auch im Netz präsent ist! Und bauen Sie Ihren Botendienst stetig aus! Denn anders als die reinen Versender können wir Same-Day-Delivery! So versorgen wir die Patienten ideal und haben damit gleichzeitig unser bestes Marketing-Instrument an der Hand!"

Dr. Michael Brysch, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Chefredakteur AWA, E-Mail: mbrysch@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(22):6-6