"Welche eine Sache gehen wir heute an?"

Wie Sie als Multi-Channel-Apotheke punkten


Linda Wnendt

Wer nicht auch im Netz aktiv ist, wird leicht abgehängt. Allerdings sollten die Online-Aktivitäten clever auf das Vor-Ort-Geschehen abgestimmt sein. Wie also gelingt Ihnen der Weg hin zur Multi-Channel-Apotheke? Ein Erfahrungsbericht.

Wir leben und arbeiten in einer Zeit der großen Veränderungen: Digitalisierung, E-Rezept, Internetversand – beschleunigt noch und zusätzlich erschwert durch Corona. All das fordert uns ein radikales Change Management ab. Vor diesem Hintergrund ist es höchste Zeit, mutig zu werden! Denn wie schon Mahatma Ghandi sagte: "Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun und welche Entscheidungen wir treffen!"

Registrierkassen raus aus den Köpfen!

Einer Vor-Ort-Apotheke ergeht es wie dem Kölner Dom: Sie wird nie fertig gebaut oder zu Ende gedacht sein. Mit wachsamen Augen heißt es, auf die schnellen Veränderungen im digitalen Wandel zu schauen, sie zu verstehen und umzusetzen. Wir müssen die Registrierkassen endlich aus unseren Köpfen verbannen. Nicht die Zukunft ist digital, sondern bereits das Jetzt!

Wer von Ihnen schaut von Zeit zu Zeit mit den Augen der Kunden auf die eigene Offizin? Sinnvoll ist das auf jeden Fall – gerade wenn es uns nicht egal ist, dass unsere Kunden zur (Internet-)Konkurrenz abwandern. Denn die Sichtweise der Kunden hilft uns, weg von 08/15 und hin zur eigenen Profilschärfung ganz im Kundensinne zu kommen.

Mut zur Veränderung

Veränderung ist eine Chance. Veränderung bedeutet, dass wir nicht stillstehen. Veränderung bedeutet Fortschritt. Viele von uns empfinden Veränderungen als negativ und handeln blockiert. Doch es sind in der Regel nicht die Veränderungen, die uns blockieren oder Stress verursachen, sondern die Art und Weise, wie wir selbst damit umgehen.

Möchten wir viele Aufgaben auf einmal erledigen, müssen wir einen hohen Berg besteigen – was oft unmöglich scheint und damit auch jede einzelne Aufgabe infrage stellt. Sind viele Dinge zu verändern, tut daher als Erstes eine Liste gut. Auf dieser wird es "eine Sache" geben, die Ihnen am wichtigsten ist! Und dann gilt es zunächst, nur diese "eine Sache" (fokussiert) zu erledigen.

2018 war die "eine Sache" in meiner Apotheke ein automatisches Warenlager. Als ich das mit meinem "A-Team" (unser von "Ahrtor-Apotheke" abgeleitetes Markenversprechen) umgesetzt habe, kam der wirkliche Mut zur Veränderung. Denn erst auf dem Weg zum Ziel haben wir gemerkt, wozu wir wirklich fähig sind.

Nachdem der Kommissionierer eingebaut war, konnten wir die nächste "eine Sache" umso motivierter angehen: Einen Komplettumbau (den wir beim Einbau des Kommissionierers natürlich schon auf dem Schirm hatten). Dazu haben wir uns im Team überlegt: "Wer sind wir? Und wie möchten wir gesehen werden?"

Unsere Antwort war ein apothekenuntypisches Designkonzept, das eine befreundete Architektin (als ihr erstes Apothekenprojekt) umgesetzt hat: Minimalistisches Industriedesign aus Rohbetondecke, Zementestrichboden, Nussbaum, Stahl und Messing – gepaart mit traditionellen Elementen wie einem Apothekenschrank von 1850 im Beratungsraum (siehe Bildergalerie am Ende des Beitrags). Der Smartphone-verwöhnte Kunde findet sich bei uns ebenso wieder wie der traditionsbewusste. Da wir keine Industrieaufsteller nutzen, schaffen wir eine ruhige Atmosphäre. Bei uns steht der Mensch im Vordergrund – nicht das Produkt.

Digitale Schritte gehen

Wir haben unaufdringliche digitale Sicht- und Freiwahl-Elemente integriert, um mit der Zeit zu gehen. Wichtig ist das vor allem, weil unsere Kunden von morgen heute schon "digital" denken.

Es lohnt sich also auch hier, aus der Perspektive des Kunden zu schauen und die persönlichen Abneigungen etwa gegen einen eigenen Versandhandel oder gegen Social Media zu überwinden. Wir z.B. haben Social Media bereits während Umbaus genutzt und konnten unsere Kunden via Facebook mit hinter die Kulissen nehmen.

Doch wir waren und sind uns im Klaren: Fortschritt und Digitalisierung bedeuten, dass wir niemals fertig sein werden: Die nächste "eine Sache" war unser internes Kommunikationssystem mit digitalem Qualitätsmanagement. Danach ist unser Webshop entstanden, der uns als Apotheke vor Ort mit Botendienst besonders wertvoll macht.

Unseren Shop verstehen wir nicht als Konkurrenz zum Versandhandel, sondern als zukunftsorientierte, digitale Schnittstelle: "Ready fürs E-Rezept vor Ort" sozusagen! Denn wir möchten auch in Zukunft das Vertrauen unserer Kunden genießen.

Das Profil schärfen

Jede Apotheke vor Ort hat ihre eigenen Stärken und Schwerpunktthemen, manch eine kann außerdem auf eine lange (Familien-)Tradition zurückblicken. Aber: Ist das auch für alle Kunden direkt sichtbar? Identifizieren sich unsere Kunden mit uns?

Meine Schwerpunktthemen sind die Ernährungs- und Darmberatung, zu denen ich mich als Fachapothekerin habe ausbilden lassen. Und das sollen meine Kunden auch wissen.

So habe ich Anfang 2020 begonnen, meine eigene digitale Marke "Die webAPOTHEKERIN Linda Wnendt" zunächst mit Themen speziell für Frauen aufzubauen.

Neben zwei Webseiten mitsamt Blogartikeln und zwei wöchentlich erscheinende Podcasts gibt es Facebook-Fanpages sowie mein Facebook-Profil für Darmgesundheit. Aktuell arbeite ich an der "einen Sache" Onlinekurse für Kunden. Nahrungsergänzungsmittel-Eigenmarken sollen anschließend folgen.

Unsere Informations- und Social-Media-Plattformen sind zwar eng mit der Apotheke vor Ort in Ahrweiler verknüpft, aber auch über Ahrweiler hinaus in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz präsent. Dabei zeigen wir uns unseren Fans auf Facebook ganz ohne (Produkt-)Werbung, sondern ausschließlich mit Livestreams und Stories vom "A-Team". Hierdurch gewinnen wir ihr Vertrauen.

Kurzum: Wir pflegen eine umfassende Offline- und Online-Präsenz. Aus der digitalisierten lokalen Apotheke ist fortschreitend eine Multi-Channel-Apotheke geworden, für die wir sowohl vor Ort als auch im Netz durchweg positives Feedback bekommen. Nicht zuletzt steigt unser Gewinn seit 2019 weitaus stärker als in den Vorjahren – und auch als in der deutschen Durchschnitts-Apotheke.

Wie sieht die Zukunft aus?

Wir als "A-Team" haben ein ganz klares Ziel vor Augen: Wir werden nicht nur als Apotheke vor Ort einzigartig sein, sondern dem Versandhandel auch über Ahrweiler hinaus unsere Expertise entgegensetzen. Wir fokussieren uns auf das, was wir können – und das ist nicht Preisdumping, sondern Wissen! Bringen wir unser Wissen also auch auf digitalem Weg zu unseren Kunden und schaffen so eine Verbindung zu unserer Apotheke vor Ort!

Alles begann mit einer einzigen "Sache". Und seitdem entscheiden wir uns immer wieder neu für die nächste "eine Sache" – in kleinen wie in großen Dingen. Dazu zählen auch Fragen wie: Biedern wir uns bei unseren Kunden mit sechs Gratis-Masken an – oder findet in unserer Apotheke echter Service statt? Ärgern wir uns über reduzierte Erstattungspreise für die zweiten Bezugsscheine – oder stecken wir unsere Energie in die eigene Profilschärfung, die uns unabhängig von politischen Entscheidungen macht?

Digitalisierung und Fortschritt verbunden mit dem gewissen Etwas – dem: "Darf es ein wenig mehr sein?" – sind für Apotheken vor Ort die übergeordnete "eine Sache". Es geht nicht darum abzuwägen, sondern vielmehr darum zu handeln! Lassen wir nicht anderen den Vortritt – oder laufen ihnen gar hinterher!

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(06):6-6