Ebenfalls eine moderne Seuche

Weg mit der Lobbykratie!


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Geschätzt gut 6.000 Lobbyisten arbeiten alleine in Berlin, und Brüssel ist hinsichtlich einer Einflussnahme inzwischen mindestens ebenso interessant geworden. Hunderte davon verfügen sogar über einen Hausausweis zum Deutschen Bundestag und haben so einen recht direkten Zugang zu den Abgeordnetenbüros. Übrigens hat nach Angaben des Portals Abgeordnetenwatch.de sowohl unsere ABDA als auch der DAV zwei solcher Hausausweise, die BAK noch einen – Respekt!

Daneben verfügen über solche Privilegien aber auch der AOK-Bundesverband, ein Bundesverband Osteopathie e.V., der Biogasrat e.V., eine Fachvereinigung Polystyrol-Extruderschaumstoff e.V., das SOS-Kinderdorf e.V., VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz, ein Verein der Getreidehänder der Hamburger Börse e.V. oder gar die de'ge'pol – Deutsche Gesellschaft für Politikberatung e.V. (sic!). Diese nur beispielhaft ausgewählten Lobbygruppen illustrieren, dass neben den üblichen Verdächtigen aus (Groß-)Industrie und Wirtschaft verschiedenste Sozialorganisationen, Umweltverbände oder NGOs im Sinne ihrer Interessen hinter den Kulissen hochaktiv sind. Es ist also mitnichten alles der böse Kommerz, oder doch? Am Ende geht es allen doch nur um unser Bestes, nämlich das Geld der Bürger, welches nur "richtig" kanalisiert gehört. Dass in der Konsequenz bisweilen ganze Gesetzesvorlagen quasi in die Feder der Entscheidungsträger diktiert werden, ist ebenfalls nicht neu. Immerhin sorgen Organisationen wie Lobbycontrol, Abgeordnetenwatch oder "Frag den Staat" für etwas Durchblick, wie auch ab 2022 ein Lobbyregister.

Damit kommen wir zu den entscheidenden Punkten. Warum muss jemand überhaupt lobbyieren? Mag sein, dass man sich, seine Interessen und Nöte überhaupt erst einmal bekannt machen will, da nicht auf dem "Radar" der Politik stehend – akzeptiert! Aber ist es nicht viel öfter so, dass man für sich mehr herausschlagen möchte, als im freien und transparenten Wechselspiel der Kräfte vor den Augen der (zahlenden) Bürger zu erzielen wäre, man sich also schlicht (allzu oft ungerechtfertigte) Vorteile verschaffen will? Auch das ist menschlich und verständlich. Nur: Ist es richtig, dass die Bürger das meist eben nicht erfahren, oder erst, wenn diverse Gesetze, Regularien oder kräftige Subventionen bereits auf der Zielgeraden sind? Am Ende wird es für viele teurer, und nur wenige profitieren davon. Auch das ist eine Art volkswirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch höchst fragwürdige Umverteilung "von unten nach oben".

In der Tat müssen gerade wir als Apotheken vielleicht sogar dankbar für dieses System der Intransparenz und "Strippenzieher" im Hintergrund sein. Wäre es ansonsten vielleicht nicht schon längst viel schlimmer für uns gekommen? Wären Preisbindung, Fremdbesitzverbot, Vertriebswegbindung etc. noch haltbar gewesen? Mag sein, mag aber auch nicht sein. Ist denn unsere Leistungsbilanz so schlecht, dass wir damit nicht vor den Augen der Öffentlichkeit punkten können? Sogar mehr, als jetzt schon? Brauchen wir wirklich "Kamingespräche" und die "Seelenmassage" uns gewogener Politiker? Oder könnten wir unsere Leistungen, Preise und Strukturen nicht öffentlich verteidigen und eigene Mehrheiten für uns gewinnen?

Ein Ausweg aus der heutigen "Lobbykratie" wäre möglich. Nicht-öffentliche Kontakte von Interessenvertretern zu politischen Entscheidungsträgern werden im Grundsatz untersagt. Sollten sie doch einmal nötig sein, sind sämtliche Kontakte unter Zeugen grundsätzlich zu dokumentieren und zu protokollieren. Verstöße sind empfindlich zu sanktionieren. Die Kommunikation mit Lobbygruppen soll nicht abgeschafft, sondern auf eine neue, transparente Grundlage gestellt werden. Dazu wird das Instrument der öffentlichen Anhörung verpflichtend eingeführt. Jede Interessengruppe bekommt grundsätzlich ein faires Anhörungsrecht – aber nur unter den Augen der Öffentlichkeit! "Hinterzimmer-Gespräche" und die Beeinflussung einzelner Abgeordneter wären damit Geschichte.

Doch die Abgeordneten mögen sich so ihrer gesetzlich garantierten Unabhängigkeit beraubt sehen. Aber über welche (Un-)Abhängigkeit reden wir, und wem sind Abgeordnete vorrangig verpflichtet? Doch sicher vor allem den Bürgern! Wie so oft gilt trotz aller Fallen im Detail: Wo ein Wille, da ein Weg. Am Willen gilt es offenkundig noch zu arbeiten …

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(20):19-19