Umsatzbringer oder Margenvernichter?

Amazon: The Marketplace to be?


Simon Nattler

Viele Apotheken sind auf der Suche nach neuen Umsatzpotentialen, um ihre Ertragslage zu verbessern. Anders als ein eigener Onlineshop verspricht der Verkauf über den Amazon-Marktplatz genau das: schnellen Umsatz. Aber geht die Rechnung am Ende wirklich auf?

Bei Verbrauchern steht Amazon hoch im Kurs – doch lohnt sich auch für Apotheken die Zusammenarbeit mit dem Online-Primus? (© AdobeStock/ifeelstock)

Der Frust bei Apotheken ist groß: Die Margen sinken, das Personal ist knapp, und immer mehr Umsatz wandert ab ins Internet. Viele Apotheken haben daher mittlerweile einen eigenen Onlineshop, der meist auch in professionellem Gewand daherkommt. Was fehlt, sind die Kunden. Denn viele Verbraucher sind es leid, sich von Shop zu Shop zu hangeln. Sie schauen lieber gleich dort, wo sie alles finden: bei Amazon.

Über 94 % aller deutschen Onlinekäufer besitzen ein Amazon-Konto. Das sind über 46 Millionen Kunden! Amazon hat daher Google längst abgelöst als beliebteste Suchmaschine für Produkte. Es ist ja auch praktisch: Wenn Sie einen Campingurlaub planen, bekommen Sie dort alles von der Angelschnur bis zum Zelt, und zwar mit nur einer Bestellung. Das passende Mückenspray und Kopfschmerztabletten legen Sie gleich mit in den Warenkorb. Denn Amazon ist bereits heute einer der größten Arzneimittelhändler in Deutschland - oder?

Nicht ganz! Amazon ist keine Versandapotheke und darf daher selbst keine Arzneimittel verkaufen! Was viele Käufer aber nicht wissen: Amazon beliefert nur jeden zweiten Kunden selbst, der Rest wird über den Amazon Marketplace abgewickelt. Dieser besteht aus vielen Einzelhändlern, die wie auf einem echten Marktplatz ihre Waren anbieten. Eine Win-Win-Situation: Händler profitieren von den schier endlosen Kundenströmen, und Amazon erweitert sein Angebot sogar in Randsortimenten. Da auch Apotheken diesen Verkaufsweg nutzen, ist beinahe jedes Arzneimittel bei Amazon zu finden.

Starten Sie in der ersten Reihe

Wer bereits einen eigenen Onlineshop hat, weiß: Die Einrichtung ist mühsam und teuer. Ein Shop muss ansprechend gestaltet und dauerhaft gepflegt werden. Sie müssen ein umfassendes Sortiment listen und aktuell halten, was bei schwankenden Verfügbarkeiten einen hohen Aufwand bedeutet. Selbst bei Krankheitswellen im Betrieb muss der Verkauf aufrechterhalten werden, denn ein Abschalten des Shops kommt natürlich nicht in Frage. Wenn Sie diesem Schritt aus dem Weg gehen und trotzdem online aktiv werden möchten, sollten Sie sich den Verkauf über Amazon einmal genauer ansehen.

„Eine Überlegung wert ist Amazon vor allem für Randsortimente sowie für überschüssige Ware. Und Sie müssen keine Angst haben, dass der US-Konzern Ihnen die Kunden wegnimmt – denn die gehören ihm ja schon längst ...“

Der Start ist vergleichsweise einfach. Denn wer an Präqualifizierungen gewöhnt ist, schreckt vor den Anforderungen kaum zurück. Amazon verlangt nur die Gewerbe- und Betriebserlaubnis sowie einige Einkaufsrechnungen als Beweis, dass Sie die Waren auf legalem Weg beziehen. Schließlich genießt die Plattform das maximale Vertrauen der Onlinekunden und will schwarze Schafe möglichst von vorneherein ausschließen.

Anders als in einem eigenen Onlineshop brauchen Sie sich nicht um Listung und Sortierung der Artikel zu kümmern, denn die meisten Arzneimittel und Freiwahlprodukte sind längst im Sortiment vorhanden und in Kategorien eingeteilt. Der Haken: Sie müssen sich für jede Kategorie einzeln freischalten lassen und Ihre Qualifikation immer wieder neu vorweisen. Das erinnert ein wenig an staatliche Bürokratie – und die Unterstützung von Amazon ist in der Tat nicht hilfreicher als der typische Anruf beim Amt. Wie so oft müssen Sie sich daher selbst ein wenig „durchwurschteln“, aber insgesamt sollte es niemanden vom Start abhalten.

Picken Sie Rosinen

Amazon sieht sich gern als Allesverkäufer. Ein ganz klarer Vorteil für Sie als Händler ist dagegen, dass Sie sich genau die Produkte heraussuchen können, die Sie verkaufen möchten. Es ist keine Alles-oder-Nichts-Entscheidung wie bei einem kompletten Onlineshop. Ein weiterer Vorteil ist die Mengenbegrenzung: Sie können genau einstellen, wie viele Artikel Sie auf Lager haben und sofort liefern können. Gerade, wenn Sie noch nicht viel Kontakt mit der Online-Welt hatten, können Sie sich vorsichtig herantasten und Ihre internen Abläufe nach und nach optimieren. Sie müssen weder für stetigen Nachschub sorgen, noch können Sie plötzlich mit hunderten Bestellungen überflutet werden, wenn ein Produkt im Fernsehen beworben wird. Ein weiterer Vorteil für Einsteiger: Sie können Ihre Angebote pausieren, wenn es die personelle Situation in der Apotheke gerade erfordert. Niemandem wird auffallen, wenn Ihre Apotheke zwischendurch mal offline ist.

Wie Sie als Amazon-Kunde wahrscheinlich wissen, ordnet der Online-Riese die Produktseiten nicht nach Händlern wie bei Idealo, sondern es gibt nur eine Seite pro Produkt. Bestellt ein Kunde, wählt Amazon mit einem Algorithmus den aus seiner Sicht qualifiziertesten Lieferanten dafür aus. Dieser Händler erhält die sogenannte „Buybox“. Auch wenn sich im Internet wilde Mythen ranken, wie man möglichst häufig den begehrten Buybox-Platz ergattert, gibt es hierzu keine simple Antwort. Klar ist nur: Der billigste Preis alleine entscheidet nicht. Amazon führt intern ein Punktesystem für jeden Anbieter und beobachtet genau,

  • wie schnell ausgeliefert wird,
  • wie schnell auf Kundennachfragen reagiert wird,
  • ob es zu Kundenbeschwerden kommt und wie diese behandelt werden,
  • ob Sie regelmäßig Produkte listen
  • und berücksichtigt noch weitere, unbekannte Punkte.

Wenn Sie an diesem Punkt zurückschrecken und sich darin bestätigt sehen, dass Amazon eine riesige Datenkrake ist: Ja, das ist richtig! Tatsache ist aber auch, dass Amazon dieses Wissen perfekt nutzt, um das Kauferlebnis laufend zu verbessern. Nichts anderes sollten Sie schließlich tun, wenn Sie einen eigenen Onlineshop betreiben! Keine Angst müssen Sie haben, dass Amazon Ihnen die Kunden wegnimmt, denn die gehören dem US-Konzern ja längst ... Bieten Sie etwas nicht an, bekommt die Bestellung eben jemand anderes.

Was kostet jetzt dieses Komplettpaket von Amazon, das aus einem 24/7 Kundenstrom inklusive kompletter Infrastruktur besteht? Neben einer Grundgebühr von 39 verdient Amazon an jeder Bestellung mit – und das nicht zu knapp. Der Online-Riese verlangt ganze 15 % vom Umsatz. Da dies die typische Apothekenmarge gar nicht hergibt, schlagen Verkäufer diese Summe vorher auf den Verkaufspreis auf. Kalkulieren Sie hier genau! Amazon verdient an jedem Aufschlag wieder mit. Auch die Versandkosten sollten Sie in den Verkaufspreis einberechnen, damit Sie das Produkt dann „versandkostenfrei“ anbieten können. Hier zeigt sich einmal mehr: Der typische Onlinekunde kauft nicht aus Preisgründen, sondern aus Bequemlichkeit. Trotzdem ist der Preiskampf extrem hart.

Mehr Chance oder mehr Risiko?

Es gibt also gute Gründe, sich den Verkauf über Amazon einmal näher anzusehen, und genauso viele, es nicht zu tun. Wenn Sie online ein paar Erfahrungen sammeln möchten und etwas Computerwissen, Neugier und Zeit mitbringen, können Sie damit tatsächlich Geld verdienen. Reich werden Sie wahrscheinlich aber nicht. Der größte Nachteil ist die Anonymität: Sie treten als Apotheke so gut wie gar nicht in Erscheinung und können daher auch keine Stammkunden aufbauen. Der Kunde glaubt, er hätte wieder einmal eine perfekte Amazon-Lieferung erhalten. Eine Überlegung wert ist es vor allem für Randsortimente, die nicht jede Apotheke anbietet. Auch können Sie Einkaufsvorteile nutzen und überschüssige Ware über Amazon verkaufen.

Die stärkste Bremse ist aktuell aber der Datenschutz – zu Recht. Jeder Amazon-Kunde sollte eigentlich wissen, dass er vollständig durchleuchtet und analysiert wird. Abzuschrecken scheint es aber kaum jemanden. Bei Arzneimittelverkäufen liest Amazon ebenfalls den Warenkorb aus und kann so Gesundheitsprofile der Käufer erstellen. Es laufen daher zurzeit Verfahren gegen Apotheken, da diese als Verkäufer auf dem Marktplatz die Verantwortung tragen. Vor einem Einstieg sollten Sie den Verlauf dieser Verfahren daher unbedingt abwarten – oder mit anderen Produkten als Arzneimitteln starten.

Es ist gut möglich, dass Amazon in Deutschland irgendwann selbst zur echten Versandapotheke wird. Einige Apotheker befürchten, dass der Ver-sandriese durch viele Marktplatz-Apotheken schneller auf diesen Zug aufspringt. Vermutlich ist es aber eher andersherum: Wenn Amazon schon über den Marketplace gut an Arzneimitteln mitverdient, besteht wenig Handlungsbedarf. Erst wenn keine Apotheken mehr darüber verkaufen würden, wird Amazon sich diesen Markt zurückholen.

Simon Nattler, Apotheker und Gründer der apocollect Team-Software 45896 Gelsenkirchen E-Mail: simon@apocollect.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(07):8-8