Digitale Gamechanger vor den Apothekentüren

KI – zwei Buchstaben zum Fürchten?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

KI – künstliche Intelligenz oder AI (Artificial Intelligence) sorgen seit Jahren für ein Rauschen im Blätterwald, waren aber eher was für Experten und weit weg vom Alltagsgeschehen. Zudem wurde (und wird) der Begriff überstrapaziert. Selbst ein Heizungsventil oder eine Warenlageroptimierung basiert heute vermeintlich auf KI. Erkenntnistheoretisch kann man zuerst die Diskussion aufmachen, was überhaupt Intelligenz ist. Schon da gehen die Einschätzungen munter auseinander. Basierend auf dieser bereits unsicheren Begriffsgrundlage werden nun künstliche Pendants geschaffen. Kein Wunder, dass eine regelrechte KI-Inflation herrscht, vielfach nichts weiter als ein Marketing-Gag. „KI sells“, ganz einfach.

Und dennoch hat die Buchstabenfolge ChatGPT für enormes Aufsehen gesorgt, und nicht nur das: Bedenkenträger aller Art und Profession sahen und sehen ihren schon länger erwarteten Niedergang nun endgültig in Form solcher Systeme gekommen. Nebenbei sei erwähnt, dass es eine Reihe anderer KI-Plattformen gibt, und selbst im gestalterisch-künstlerischen Bereich legt KI heute Hand und digitalen Pinsel an (z. B. Midjourney oder Stable Diffusion Online). Was ist davon zu halten, insbesondere für unsere Profession der Pharmazeuten?

Nun, eine ganze Menge. Jeder von uns kennt das alte Bonmot: Sage dem Pharmazeuten, er soll das Telefonbuch auswendig lernen, und er fragt, bis wann. Trage es einem Mediziner (Physiker, Chemiker …) auf, und er erwidert: Warum? Das Apothekerdasein gehört zu den Wissensberufen im engeren Sinn, zudem zu den eher teuren. Anwälte mit enormen Stundensätzen, diverse Berater oder andere „menschliche Zeilengeneratoren“ mögen noch stärker im Fokus stehen, auch überbezahlte Tätigkeiten im (Investment-)Banking. Mit Devisen, Wertpapieren und Krediten handelt eine KI wohl rationaler, billiger und zuverlässiger.

Die nun alltagstauglich werdende KI ist für uns insofern misslich, als wir uns erst jetzt (anders als z. B. die Pharmazeuten in USA oder Holland) mit großer Verspätung Themen wie patientenorientierter Pharmazie und Medikationsmanagement wirklich intensiv widmen. Wir steigen erst jetzt in ein Geschäftsfeld ein (und drohen, dafür unsere bisherige Honorarbasis schleifen zu lassen), welches ein Einfallstor für „kluge“ IT-Systeme ist, die nebenbei von Ärzten, Pflegekräften oder Hinz und Kunz genutzt werden könnten. Hat man das bei der ABDA erkannt und auch deshalb eine derart selbstbewusste Forderung nach einer Anpassung des Packungshonorars erhoben?

„Aber, die Software kann doch kaum was in unserem Bereich“, mögen Sie, nach ersten eigenen Gehversuchen auf ChatGPT, einwenden. Das mag sein, wobei man hier die richtigen Fragen stellen und Schlüsselbegriffe eingeben muss, eine Kunst für sich. Tatsächlich lassen sich IT-Entwickler selbst umfangreiche Code-Sequenzen über ChatGPT erstellen. Hinter universitären Haus- oder Seminararbeiten heutiger Prägung stehen dicke Fragezeichen. Das, was unsere Apotheken-Datenbanken können, lernt eine KI, mit Milliarden-Investitionen und gigantischen Rechnerkapazitäten im Hintergrund, im Rekordtempo. Notfalls wird eben Know-how für den attraktiven Healthcare-Markt schlicht zugekauft, nur: von wem? Auf der anderen Seite kann der Logistikpart der Apotheken ebenfalls weitgehend automatisiert werden. Richtig spannend wird es (nicht nur in der Apotheke), wenn sich KI und Robotik verbinden. Es hatte schon nachvollziehbare Gründe, warum eine Automaten- und Video-Apotheke von seinerzeit DocMorris in Hüffenhardt mit Zähnen und Klauen (im Moment erfolgreich) abgewehrt wurde. Das ist aber kein Blankoscheck auf die Ewigkeit.

Fazit: Apotheken stehen auf der Liste möglicher Digitalisierungs- und KI-Opfer sicher nicht ganz, aber eher weiter oben. Perspektivisch gesichert sind dagegen Tätigkeiten, die manuelle, technisch schwer darstellbare Anteile mit hohen intellektuellen Kompetenzen verbinden, wie z. B. bei Chirurgen (wenn auch zunehmend High-Tech-assistiert) und vielen Handwerkern, aber keineswegs allen. Politische und rechtliche Abwägungen sowie Bedenken können und werden vieles wohl verzögern und modifizieren, aber langfristig nicht grundsätzlich aufhalten. Pharmazeuten werden sich in den nächsten Jahren stärker wandeln (müssen) als je zuvor in der Historie.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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