Ausufernde Gesundheitskosten

Sind weniger Krankenkassen die Lösung?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Verena Bentele, ehemals höchst erfolgreiche Paralympionikin und Vorsitzende des größten deutschen Sozialverbands VdK, hat das Fass gerade wieder aufgemacht: Wir haben zu viele Krankenkassen! Es ließen sich hohe Summen sparen, würde man die Zahl erheblich reduzieren. Das geht runter wie Öl bei den geplagten „Leistungserbringern“: Ran an den (Kassen-)Speck, an die vielen Posten und Pöstchen und überbezahlten (?) Vorstandsstellen! Das streichelt die Seele, aber brächte es auch Nennenswertes in die Kasse? Und selbst bei bedeutsamem Sparpotenzial – wäre der Kassenschwund überhaupt so einfach umsetzbar?

Werfen wir einen Blick auf die Fakten. 96 gesetzliche Krankenkassen mit gut 74 Millionen Versicherten wies die Statistik für Anfang 2023 aus: Die allermeisten davon, nämlich 71, sind Betriebskrankenkassen BKK, gefolgt von 11 AOKen, 6 Ersatzkassen, 6 Innungskrankenkassen IKK, einer Knappschaft und einer Landwirtschaftlichen Krankenkasse, jetzt sperrig unter SVLFG geführt. 1991 hatten wir noch 276 AOKen, 721 BKKen, 174 Innungskassen und 38 Sonstige. Es hat bereits eine starke Konzentration stattgefunden. Nebenbei: Um nur 8,7 Mio. privat Vollversicherte (PKV, die durch 28 Mio. neben der GKV lediglich Zusatzversicherte ergänzt werden) buhlen über 45 Versicherungsgesellschaften.

12,6 Mrd. € wurden seitens der GKV im Jahr 2022 an Netto-Verwaltungskosten ausgewiesen, das sind rund 170 € je Versicherten und Jahr. In der Privatversicherung finden wir im letzten PKV-Zahlenbericht 2,9 Mrd. € Abschluss- und Vertriebskosten und ziemlich genau eine Milliarde Euro an Verwaltungskosten. Pro Vollversicherten sind das beinahe 450 € pro Jahr, zudem sind AXA, Allianz, Debeka und Co. keine karitativen Vereinigungen, Firmengewinne wären also ebenfalls noch einzupreisen. Wer hat, dergestalt spezifisch betrachtet, also den größeren Wasserkopf und die höheren „Weichkosten“, die nicht den Versicherten zugutekommen? Nun heilt man Missstände nicht, indem man mit dem Zeigefinger auf andere Probleme hindeutet. Dennoch sollte man um die Relationen wissen.

Wir kennen die alte Beraterweisheit: „10 % gehen immer!“ Das dürfte ziemlich unbesehen für die Krankenkassenverwaltung gelten. Wer sucht, wird fündig, und würde somit ebenjene 1,3 Mrd. € herausschütteln können, bei rund 300 Mrd. € Gesamtausgaben. Schön, aber wirklich entscheidend? Und Vorsicht, Glashaus: Könnten die Kassen das nicht auch von uns so unbesehen behaupten?

Die Haupansatzpunkte wären, wie übrigens fast überall, die Prozessorganisation und Digitalisierungspotenziale. Am Ende würde es aber Arbeitsplätze treffen müssen, die bei den Krankenkassen recht sicher und kurzzeitig schwer abbaubar sind. Rund 134.000 aktiv Mitarbeitende Mitte 2020 weist die letzte, greifbare offizielle Statistik (KG1 und KJ1) aus, mit Personalgesamtkosten von 10,3 Mrd. €. 1993 waren es noch 155.000 Mitarbeitende, in 2003 147.000 mit 7,0 Mrd. € Kosten, wobei unterschiedliche Teilzeitquoten, früher niedriger, heute höher, für eine gewisse Verzerrung sorgen. Jedenfalls ist der Personalstand nicht annähernd so stark gesunken wie die Zahl der Kassen, und die Personalkosten sind absolut von 2003 bis 2020 im Schnitt um 2,3 % pro Jahr gestiegen. Das würde man bei der Sachlage vielleicht anders erwarten. Es zeigt jedoch: Weniger Kassen bedeuten nicht automatisch proportional sinkende Kosten.

Nebenbei liegt der Hase bei den vielen Betriebskrankenkassen im Pfeffer, und hier hätten die jeweiligen Firmen sowie die häufig traditionell stark an ihren Arbeitgeber und „ihre“ Krankenkasse gebundenen Versicherten ein Wörtchen mitzureden. Ähnlich fruchtlos verläuft die Diskussion um die Vorstandsgehälter. Maximal sind das rund 400.000 €, meist weit darunter – man vergleiche das einmal mit den Einkünften auf „C-Level“ vergleichbar kapitalisierter Firmen.

Somit bleibt als durchwachsenes Fazit: Ja, sicher geht bei der Kassenverwaltung noch etwas. Aber man sollte sich dadurch keinen wirklich durchgreifenden Beitrag zur Gesamtkostensenkung erwarten. Viel entscheidender ist die gefolgte Verwaltung und Bürokratie an der Basis, geschätzt um oder über 25 % der Gesamtkosten. Hier lassen sich enorme Potenziale heben – hinsichtlich finanzieller und zudem knapper personeller Ressourcen!

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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