Interview mit Prof. Dr. Hendrik Schröder und Dr. Christian Knobloch

„Von einer Neiddebatte halte ich gar nichts!“


Dr. Hubert Ortner

Nach dem Blick aus der Apothekenpraxis sowie einer modellhaften Kalkulation fehlt noch die Sicht der Ökonomik auf die kontroverse Honorarverteilungsdebatte. Lesen Sie dazu unser Exklusivinterview mit Prof. Dr. Hendrik Schröder vom Lehrstuhl für Marketing und Handel und Dr. Christian Knobloch, dem Leiter der Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft, jeweils an der Uni Duisberg-Essen.

Was lehrt uns die Ökonomik zur Honorarverteilungsdebatte...? Das Interview mit Prof. Schröder und Dr. Knobloch liefert einige interessante Antworten auf diese Frage. (© AdobeStock_Miha Creative)

Beginnen wir das Interview mit einem Einwand von Herrn Fehske auf Ihren Artikel im letzten AWA: „Herr Schröder hat die Besonderheiten der Apothekenbranche – Stichworte Kontrahierungszwang, eingeschränkte Preisgestaltungsmacht – in seiner rein betriebswirtschaftlichen Betrachtung überhaupt nicht berücksichtigt.“

Hendrik Schröder: Für solche Fragen des Rechnungswesens gibt es allgemein gültige Grundlagen – sozusagen das kleine „Einmaleins“. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit Apotheken. Davor habe ich 20 Jahre für ein Pharmaunternehmen gearbeitet und dort detaillierte Einblicke in das externe und interne Rechnungswesen sowie die Investitions- und Liquiditätsrechnung bekommen. Dass ich die Besonderheiten dieser Branche angemessen berücksichtige, ist insofern eine Selbstverständlichkeit. Man könnte auch sagen eine „Conditio sine qua non“ – also eine unabdingbare Voraussetzung.

Christian Knobloch: Die Aussagen von Hendrik Schröder zur Eignung der Umsatzrendite und zu den kalkulatorischen Kosten sind unabhängig vom Kontrahierungszwang.

Dann lassen Sie mich diesen Punkt konkretisieren: Als Apotheker unterliege ich dem Kontrahierungszwang und bin insoweit verpflichtet, auch Leistungen zu erbringen, die unzureichend vergütet und damit defizitär sind – etwa in der Hilfsmittelversorgung. Das schmälert letztlich meinen Gewinn.

Hendrik Schröder: Apotheken bewegen sich in einem stark regulierten Markt mit stark eingeschränkter Vertragsfreiheit – das gilt aber gleichermaßen auch für andere Handelssegmente: So gibt es beispielsweise eine Preisbindung für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen. Einschränkungen von Freiheiten in der Marktwirtschaft sind keine Besonderheit des Apothekenmarktes.

Prof. Hendrik Schröder

Christian Knobloch: Ich kann den Unmut und die Empörung vieler Apotheker durchaus verstehen, weil man sich in diesem hochgradig regulierten Markt wie ein Spielball vorkommt – in extremer Abhängigkeit von den politischen Vorgaben. Da entsteht leicht ein Gefühl der Ohnmacht.

Wenn morgen eine Anfrage aus dem Bundesgesundheitsministerium käme, Sie sollten ein Modell für eine Apotheken-Honorarreform entwickeln. Wie würden die Eckpunkte einer solchen Reform aussehen?

Hendrik Schröder: Der grundsätzliche Fehler bei all diesen Debatten liegt meines Erachtens darin, dass immer nur isolierte Einzelbausteine betrachtet werden. Das führt aber letzten Endes völlig am Ziel vorbei und mündet nur in eine emotionale Debatte, bei der kaum noch ein Austausch auf der Sachebene stattfindet. Mein Plädoyer lautet: Wir müssen größer denken! Wir müssen ein Gesamtpaket schnüren, das alle wichtigen Punkte enthält – von den Roherträgen über die Kosten in den Apotheken bis hin zu Rabatten und Abschlägen, wie z. B. den Kassenabschlag. Anderenfalls werden immer wieder Gegenargumente zu Punkten kommen, die nicht berücksichtigt wurden.

Hendrik Schröder: „Es gibt keine Alternative dazu, als dass sich die Vertreter des DAV und des GKV-Spitzenverbandes an einen Tisch zusammensetzen und alle wichtigen Punkte ausdiskutieren. Wenn solche Debatten auf polemische Art und Weise ersatzweise in den Medien geführt werden, dann kann das in der Sache nur schädlich sein.“

Christian Knobloch: Ich würde folgende Gegenfragen stellen: Was soll mit der Honorarreform überhaupt erreicht werden? Geht es um eine bessere Vergütung von Apothekenleistungen? Oder primär um die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit? Oder sollen letztlich nur Kosten eingespart werden?

Dr. Christian Knobloch

 

Selbstverständlich wäre ein solch allumfassendes Gesamtpaket wünschenswert, aber wie soll das angesichts der zerrütteten Beziehung zwischen DAV und GKV-Spitzenverband funktionieren? Die müssten ja schon die Schiedskommission anrufen, um sich zu einigen, ob ein Treffen vormittags oder nachmittags stattfinden soll …

Hendrik Schröder: Es gibt meines Erachtens aber keine Alternative dazu, als dass sich die Vertreter des DAV und des GKV-Spitzenverbandes an einen Tisch zusammensetzen und alle wichtigen Punkte ausdiskutieren. Wenn solche Debatten auf polemische Art und Weise ersatzweise in den Medien geführt werden, wie wir das gerade erleben, dann kann das in der Sache nur schädlich sein.

Christian Knobloch: „Rein wissenschaftlich lässt sich sehr gut messen, ob die Arzneimittelversorgung gefährdet ist oder nicht. Kombiniert man die Zahlen des neuen Zensus mit den vorliegenden Geodaten, dann kann man exakt berechnen, in welchen PLZ-Bereichen eine Unterversorgung besteht.“

Lassen Sie uns konkret werden: Sind 14 Mrd. € Rohertrag für knapp 18.000 Apotheken, die mit ca. 150.000 Beschäftigten die wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen, grundsätzlich ausreichend? Oder besteht hier – wie allseits gebetsmühlenartig gefordert – tatsächlich akuter Korrekturbedarf nach oben?

Hendrik Schröder: Das kann ich Ihnen nicht ohne Weiteres beantworten – das ist für mich eine Wertungsfrage. Allerdings halte ich es für grundsätzlich bedenklich, öffentlich darüber zu diskutieren, was ein „ausreichender Gewinn“ ist, oder gar eine Gewinnbegrenzung in Erwägung zu ziehen. Das mündet ganz schnell in eine Neiddebatte, und von einer solchen halte ich gar nichts.

Halten Sie es vonseiten der ABDA für taktisch klug, die Zahlen zur Gewinnverteilung bei Apotheken unter Verschluss zu halten?

Hendrik Schröder: Der Durchschnittsgewinn wird ja veröffentlicht und in den Medien auch aufgegriffen. Allerdings sind Durchschnittswerte fast immer mit methodischen Problemen behaftet und führen dann schnell zu falschen Schlussfolgerungen. Betriebsergebnisse einzelner Apotheken sollten meines Erachtens nur freiwillig erhoben werden, um in einen anonymisierten Betriebsvergleich einzufließen. Das sehe ich allerdings völlig losgelöst von der ABDA. Überhaupt halte ich es für grundlegend falsch, wenn die Standesvertretung der Apotheken eine solche „Gate Keeper“-Funktion für sich beansprucht. Davon sollten wir wegkommen. Sinnvoll ist eine unabhängige neutrale Institution.

Christian Knobloch: Ich höre immer wieder von Apothekern, die sich daran stoßen, dass die Höhe des Durchschnittsgewinns durch die Medien geht. Ihr Argument: Für den wirtschaftlich mäßig begabten Bürger seien die Zahlen missverständlich. Ich teile diese Ansicht nicht und sehe ein berechtigtes öffentliches Interesse an Zahlen zur Gewinnverteilung, also an differenzierten Ertragszahlen.

Andere Freiberufler wie z. B. die Ärzte haben kein Problem damit, dass ihre Einkommenszahlen – sogar aufgeschlüsselt nach Facharztrichtung – frei zugänglich sind. Warum diese Geheimniskrämerei bei Apothekern?

Hendrik Schröder: Das ist meines Erachtens eine Güterabwägung, die sich auf die einfache Frage reduzieren lässt: Besteht ein ausreichend starkes öffentliches Interesse an diesen Zahlen, das einen solchen Eingriff in die persönliche Sphäre rechtfertigt? Ich bin da eher skeptisch.

Christian Knobloch: Das sehe ich anders. Ich finde, die Öffentlichkeit hat, wie gesagt, ein durchaus berechtigtes Interesse, da es sich um ihre Krankenkassenbeiträge handelt. Was mich in diesem Kontext irritiert: Etliche Standesvertreter wissen auf den Euro genau Bescheid, wie viel die Krankenkassen-Vorstände verdienen. Wenn es um differenzierte Apotheken-Ertragszahlen geht, dann geben sie sich jedoch extrem bedeckt. Da wird von Seiten der ABDA eine Mauer hochgezogen und dicht gemacht. Das ist schon merkwürdig …

Hendrik Schröder: „Letzten Endes gilt es abzuwägen, wie viel uns eine wohnortnahe, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln wert ist. Wahrscheinlich existiert im Bundesgesundheitsministerium ohnehin bereits eine Zielgröße, auf welche die Apothekenzahl abgeschmolzen werden soll …“

Und wie bewerten Sie die ABDA-Forderung nach einer Erhöhung des Rx-Fixums von 8,35 € auf 12 € in ihrer Höhe – eine überfällige Finanzspritze für notleidende Unternehmer oder Ausdruck von fortgeschrittenem Realitätsverlust?

Hendrik Schröder: Ich kann mich da nur wiederholen. Eine solche isolierte Einzelbetrachtung des Rx-Festzuschlags führt letztlich nur zu einer emotionalen Debatte und in der Sache damit am Ziel vorbei. Wir brauchen ein umfassendes Gesamtpaket!

Christian Knobloch: Angesichts begrenzter Budgets sollten wir zumindest genau hinschauen, welche Auswirkungen eine solche Erhöhung für alle Beteiligten hätte. Wir reden hier immerhin über 3,2 Mrd. € brutto. Herr Herzog hat das nach Bekanntwerden der ABDA-Forderungen ja auch gemacht und im AWA 6/2023 eine entsprechende Modellrechnung aufgestellt.

Hendrik Schröder: „Der grundsätzliche Fehler bei diesen Honorardebatten liegt meines Erachtens darin, dass immer nur isolierte Einzelbausteine betrachtet werden. Mein Plädoyer lautet: Wir müssen größer denken! Wir müssen ein Gesamtpaket schnüren, das alle wichtigen Punkte enthält – nicht nur die Höhe des Rx-Festzuschlags.“

Was lehrt uns die Ökonomik zu einer Umverteilung von ertragsstarken auf ertragsschwache, aber versorgungsrelevante Apotheken?

Hendrik Schröder: Die unterschiedliche Honorierung identischer Leistungen ist letztlich nichts anderes als eine Subvention. Und solange wir uns der Marktwirtschaft verpflichtet fühlen, ist jede Subvention erst einmal schädlich. Meines Erachtens wäre die Subvention ertragsschwacher Apotheken nur dann gerechtfertigt, wenn die wohnortnahe Arzneimittelversorgung gefährdet ist. In dem Fall wäre ein staatliches Eingreifen durchaus angezeigt, schließlich handelt es sich bei der wohnortnahen Arzneimittelversorgung um ein hohes gesellschaftliches Gut.

Die Frage nach einer passgenauen Arzneimittelversorgung – zwischen teurer Über- und gefährlicher Unterversorgung – fundiert zu beantworten, klingt nach einer echten Herkulesaufgabe.

Christian Knobloch: Die Antwort auf diese Frage ist aber von zentraler Bedeutung, denn wenn die Versorgung gefährdet ist, müssen wir auch die Honorardebatte anders führen. Das ist direkt miteinander verknüpft.

Rein wissenschaftlich lässt sich sehr gut messen, ob die Arzneimittelversorgung gefährdet ist oder nicht. Kombiniert man die Zahlen des neuen Zensus mit den vorliegenden Geodaten, dann kann man exakt berechnen, in welchen PLZ-Bereichen eine Unterversorgung besteht. Vorab muss man nur definieren, welche Wegstrecke zur nächsten Apotheke zumutbar ist.

Und ich teile diesbezüglich die Einschätzung von Hendrik Schröder, dass ein Subventionssystem erst gerechtfertigt ist, wenn ein höheres Gut verletzt ist. Die wohnortnahe, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist zweifelsohne ein solches. Ist diese nicht mehr gewährleistet, dann sind Subventionen meines Erachtens durchaus angemessen.

Hendrik Schröder: Letzten Endes gilt es abzuwägen, wie viel uns eine wohnortnahe, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln wert ist. Wahrscheinlich existiert im Bundesgesundheitsministerium ohnehin bereits eine Zielgröße, auf welche die Apothekenzahl abgeschmolzen werden soll …

Wenn es zu einer Umverteilung – ergänzend zu einer angemessenen Grundvergütung – kommen sollte, dann betrifft das vor allem das „Oberhaus“. Wie repräsentativ ist vor diesem Hintergrund Herr Fehske mit seiner Kernaussage, wonach große Apotheken genauso unterfinanziert seien wie kleine für die Big Player in der Branche?

Hendrik Schröder: Was meint Herr Fehske mit unterfinanziert? Reden wir von 100.000 €, 300.000 € oder 600.000 € Gewinn (nach dem internen Rechnungswesen)? Ohne exakte Zahlen bewegen wir uns hier im rein spekulativen Bereich.

Christian Knobloch: „Was mich irritiert: Etliche Standesvertreter wissen auf den Euro genau Bescheid, wie viel die Krankenkassen-Vorstände verdienen. Wenn es um differenzierte Apotheken-Ertragszahlen geht, dann geben sie sich jedoch extrem bedeckt. Da wird von Seiten der ABDA eine Mauer hochgezogen und dicht gemacht. Das ist schon merkwürdig …“

Zum Schluss möchte ich doch noch eine Lanze für die Apotheker brechen: Die Kosten sind im letzten Jahr durch die Decke gegangen, und die letzte „echte“ Honorarerhöhung liegt knapp 20 Jahre zurück. Insofern sollte sich niemand wundern, dass in den letzten 15 Jahren rund 3.500 Apotheken hierzulande aufgegeben haben.

Hendrik Schröder: Das gehört selbstverständlich mit auf den Tisch – als wichtiger Bestandteil des zu schnürenden Gesamtpakets! Die Politik hat in den letzten 20 Jahren viele wichtige Entscheidungen verschleppt. Und jetzt sind die Fehlentwicklungen im Gesundheitssektor sowie bei Apotheken sichtbar.

Christian Knobloch: Ich möchte hierzu abschließend anmerken, dass Apotheker hervorragend in Pharmazie ausgebildet sind – Betriebswirtschaft und Unternehmensführung im Studium aber nicht verpflichtend vorkommen. Das sollte angesichts der sinkenden Rentabilität und des sich verschärfenden Fachkräftemangels dringend geändert werden (siehe auch Kasten).

 

Sozialistische Gleichmacherei oder Ausstieg aus der Traumtänzerei …?

Wenn das „Erregungspotenzial“ zu einem Thema ein Maßstab für dessen Relevanz ist, dann wäre das allein schon Grund genug, die von uns angestoßene Honorarverteilungsdebatte weiter zu vertiefen. Es gibt aber auch noch andere durchaus gewichtige Gründe (s. u.).

Den Stein ins Rollen gebracht hatte das Titelthema im AWA 13/2023 „Die Gießkanne hat ausgedient!“ mit dem Vorschlag einer gestaffelten Erhöhung des Rx-Festbetrags, abhängig von der wirtschaftlichen Stärke einer Apotheke. Die Reaktionen darauf waren zweigeteilt: auf der einen Seite der erwartbare Aufschrei in den Kommentarspalten („sozialistische Gleichmacherei“, „Blödsinn“). Auf der anderen Seite aber auch viel Zustimmung, die jedoch (warum wohl …?) fast ausschließlich nicht öffentlich geäußert wurde. Dazu exemplarisch ein Ausschnitt aus einer Mail: „Ihre Kritik an den ABDA-Forderungen kann ich nur unterschreiben. Nutzen Sie bitte Ihren Einfluss als AWA und holen Sie die ABDA, Verbände und alle in Traumwelten lebenden selbständigen Apotheker zurück in die Realität, bevor wir uns mit unseren unrealistischen Forderungen vollends lächerlich machen!“

Es folgte das Interview mit Dr. Christian Fehske im AWA 15/2023 („Das ist offene Misshandlung unseres Berufsstandes“) mit der Kernaussage, dass große Apotheken aus verschiedenen Gründen genauso unterfinanziert seien wie kleine. Parallel dazu errechnete Prof. Dr. Reinhard Herzog das potenzielle Umverteilungsvolumen und entwickelte ein konkretes Modell für eine Umverteilung als Ergänzung (!) zu einer auskömmlichen Grundfinanzierung (AWA 14 und 15/2023). Erneut gab es zahlreiche Reaktionen, die diesmal deutlich differenzierter ausfielen. Damit stand einerseits die These im Raum, es gäbe ausreichend Substanz im Apothekenoberhaus für eine gewisse Umverteilung nach unten – und die Gegenthese, dass Oberhaus wie Unterhaus gleichermaßen notleidend seien.

Aus journalistischer Sicht gilt es nun, folgende Fragen zu beantworten:

  • Wie verteilen sich die insgesamt 14 Mrd. € Rohertrag auf die verschiedenen Apothekentypen und Standorte?
  • Welche Korrelationen bestehen zwischen Apothekengröße, Umsatzrendite und (internem) Betriebsergebnis?
  • Wie plausibel ist es, dass die Erträge der Big Player relativ niedriger ausfallen als deren Umsätze?
  • Wie ist das Kräfteverhältnis von echten „Fat Cats“ (nach Gewinn) zu renditeschwachen Unternehmen im Apotheken-Oberhaus?

Dazu braucht es repräsentative Zahlen zur Einkommensverteilung im Apothekenmarkt. Erstaunlicherweise wurde uns ein Blick in die entsprechenden Zahlen vonseiten der markführenden Steuerberatungsgesellschaft, die über das mit Abstand breiteste Datenpanel verfügt, aus politischen Gründen verwehrt. Als wenn es noch eines finalen Anreizes bedurft hätte, an dem Thema dranzubleiben ... Wer nichts zu verbergen hat, der braucht seine Zahlen auch nicht zu verstecken. Das gilt in erster Linie nicht so sehr für die Steuerberatungsgesellschaften, die es sich verständlicherweise mit niemandem verscherzen wollen. Diese Kritik geht direkt an die Adresse unserer Standesvertretung: So war es von jeher die Linie der ABDA gewesen, die Branche mit wenig aussagekräftigen Umsatzzahlen „abzuspeisen“ und die tatsächlich interessanten Zahlen – zur Verteilung der Gewinne – unter Verschluss zu halten. Auch dazu ein Ausschnitt von einem Leserkommentar: „Wenn die ABDA-Forderungen gut begründbar sind, warum dann nicht in eine offene Diskussion einsteigen und damit den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen? Oder sind die Argumente der ABDA so schwach, dass sie eine solche Diskussion nicht aushalten …?“

Erst wenn wir solche Daten vorliegen und ausgewertet haben, wird sich abschließend beurteilen lassen, welches Prädikat das Konzept einer die Grundvergütung ergänzenden Umverteilung tatsächlich verdient: „sozialistische Gleichmacherei“ oder „Rückkehr aus der Branchen-Traumwelt in die Realität“. Die Ärzte haben übrigens überhaupt kein Problem damit, dass ihre Einkommensverteilung – sogar nach den verschiedenen Facharztrichtungen aufgeschlüsselt – frei zugänglich ist (im sogenannten ZI-Praxis-Panel des Zentralinstitus Kassenärztliche Versorgung).

Dass die Ausgestaltung einer (wie immer gearteten) Umverteilung ggf. eine höchst diffizile Angelegenheit wäre – ein in der Tat berechtigter Kritikpunkt – steht freilich auf einem anderen Blatt. Manchmal müssen eben dicke Bretter gebohrt werden. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hatte die ABDA ja bekanntlich vor zwei Jahren ersucht, einen Vorschlag für eine Honorarreform zu entwickeln. Das Ganze ist in einer Arbeitsgemeinschaft (AG) versickert, die irgendwann still und leise wieder aufgelöst wurde. Ist ja auch viel einfacher, laut nach (viel) mehr Geld zu schreien, als einen konstruktiven Vorschlag zu entwickeln. Da sollte man sich dann aber auch nicht wundern, wenn die Glaubwürdigkeit unseres Berufsstandes im politischen Berlin leidet ...

Das Interview führte Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(18):6-6