Corona und Konsorten

Totgesagte leben länger – was haben wir gelernt?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Selbst wenn der Begriff „Leben“ im Kontext von Viren schwierig ist, denn sie leben im Grunde ja nicht: Abseits solcher Haarspaltereien hat sich das Thema Corona nunmehr ins mediale Dunkelfeld verschoben. Es ist nicht mehr schlagzeilen- und clickträchtig genug, während wir über quälende fast drei Jahre hinweg kaum etwas anderes gehört haben. Sicherlich ist gerade an sonstigen Krisen kein Mangel, was dazu beitragen dürfte. Hin und wieder poppt noch eine Meldung über eine weitere Mutation auf. Bislang leiten die sich aber alle von der „Omikron-Variante“ ab und stellen sich zwar als höchst ansteckend, doch als eher harmlos dar. Aus einer „Erkältung XXL“ ist sozusagen die Kleidergröße L geworden.

Um den Jahreswechsel waren aber immerhin wieder teils über 100 Aufnahmen täglich auf die Intensivstationen zu verzeichnen, und die Fallzahl von COVID-19-Intensivpatienten bewegte sich kurzzeitig bundesweit um 1.200. Zu Corona-Spitzenzeiten waren es gut 5.000 Fälle, hier wie da überwiegend Ältere. Die 7-Tages-Inzidenzen werden nur noch geschätzt, hier wurden Werte deutlich jenseits 1.000 je 100.000 Einwohner vermeldet, was bedeutet, dass sich wöchentlich 1 % bis 2 % der Bevölkerung infiziert haben. Zwei, drei Jahre zuvor wären solche Werte weltuntergangsverdächtig gewesen. Somit bleiben Todesfälle auch heute nicht aus. Sie dürften 2023 im niedrigen fünfstelligen Bereich gelegen haben, 2021 verzeichneten wir über 70.000. Gemessen daran, wie im Verkehr, bei der Kriminalität oder im Alltagsgeschehen einzelne Todesfälle hochstilisiert werden, gehen wir mit Corona nunmehr recht gelassen um. Es ist in der Gesellschaft angekommen („endemisch geworden“), und reiht sich in die Vielzahl anderer infektiöser Plagen ein, vorrangig allerlei Atemwegsinfekte, deren Todesraten man nach wie vor eher schätzt als präzise ermittelt.

Selbst Influenza-Todeszahlen wurden nur grob aus der Übersterblichkeit abgeleitet, und über die Folgen so manch schwerer „Erkältung“ würde man sich womöglich wundern. Den ökonomischen Impact des Schniefens und Hustens nimmt man wieder recht unbekümmert hin; er dürfte sich über die aktuelle, heftige „Saison“ hinweg im deutlich zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich bewegen. In personell auf Kante genähten Berufen wird das am sichtbarsten. Selbst gar nicht so wenige Zugausfälle, von Streiks abgesehen, sind auf akute respiratorische Infektionen zurückzuführen. Betriebe allgemein leiden unter hohen Krankenständen. Apotheken können ebenfalls ein Lied davon singen, während andererseits dort wenigstens etwas die Kasse klingelt.

Abstands- und Hygieneregeln, Masken zumindest bei erkennbar bestehender Erkrankung, aktive Prävention durch Immunstärkung, Nutzung von Tests – weitgehend vergessen und vorbei. Sorglosigkeit bis Rücksichtslosigkeit ist in der Breite der Bevölkerung wieder eingekehrt. Vitamin D, Zink und Selen, die drei Top-Kandidaten der Immunstärkung durch Supplemente, bei denen es darauf ankommt, einen signifikanten Mangel zu verhindern, müssen aufpassen, nicht wieder zum Ladenhüter zu werden. Angesichts der Kosten je ausgefallenem Arbeitstag von im Schnitt mindestens 250 € liegt der ökonomische Nutzen einer stringenten Prävention auf der Hand, neben verhinderbaren schweren und bisweilen tödlichen Krankheitsverläufen im vier- bis fünfstelligen Bereich.

Doch wie sagt der Kölner: „Et is noch immer jot jejange“. Für Corona, zumindest die SARS-CoV-2-Generation, dürfte das gelten. Es sollte sich unter immunologischen Aspekten dergestalt „ausmutiert“ haben, dass der Wiedererkennungswert hoch ist und bleibt. Doch die nächste Pandemie kommt garantiert. Mein Favorit: H5N1, die „Vogelgrippe“, welche nun auch ganze Säugetierpopulationen (vom Marder bis zu Seelöwen und Eisbären) dahinrafft. Ein paar Mutationsschritte sind schon noch zu gehen, und dann muss zudem eine hohe Infektiosität (wie viele steckt ein Erkrankter an, der bekannte R-Wert) hinzukommen. Sehr hohe Letalität plus Infektiosität – dagegen verblasst Corona. Was werden wir dann gelernt haben? Werden wir frühzeitig Infektionsketten konsequent auch unter Inkaufnahme von Einzelschicksalen stoppen? Oder heißt es dann vor dem Hintergrund von Klimawandel und Umweltzerstörung fatalistisch: „Nature strikes back“?

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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